Dass die Behörden bei laufenden Entführungen nicht alle Erkenntnisse und schon gar nicht ihre Taktik an die Öffentlichkeit geben (gerade auch aus Gründen des Opferschutzes), dürfte jedem einleuchten. Umstritten ist in solchen Fällen jedoch, ob man nur schweigt oder bewusst falsch informiert. Dies wird aktuell auch im Fall Bögerl deutlich. Hierzu ein interessanter Bericht aus der Südwest-Presse:Autor: ROLAND MÜLLER | 22.05.2010
Wo liegt die Grenze der Fehlinformation?
Heidenheim. In Heidenheim haben die Ermittler die Öffentlichkeit belogen, um das Leben der Entführten zu schützen. Ein Ausnahmefall. Doch allzu restriktive Informationspolitik kann auch vieles an Glaubwürdigkeit zerstören.
Mehr als eine Woche lang hat die Polizei nur spärliche Informationen zum Entführungsfall in Heidenheim veröffentlicht. Mit Hinweis auf die Ermittlungstaktik gab es kaum Details, die über das Bitten um Hinweise hinausgingen. Nun ist klar, dass ein großer Teil der Darstellung falsch war: Am Donnerstag räumte die Polizei offiziell ein, dass sie von Anfang an eingeschaltet war - und der Ehemann der entführten Maria Bögerl nicht, wie anfangs behauptet, das Lösegeld zunächst auf eigene Faust übergeben wollte.
Dürfen Polizei und Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit belügen, wenn es um Ermittlungstaktik geht? "Bei uns gilt als oberste Priorität, das Leben der Frau nicht zu gefährden", sagt Carsten Horn von der Staatsanwaltschaft Ellwangen, die federführend ermittelt. "Es handelt sich hier um einen ganz besonderen Fall." Schließlich wäre es möglich gewesen, dass die Entführer aus Ärger darüber, dass sich der Ehemann nicht an die Absprache hielt, die Entführte "bestrafen". Dass durch die wenigen und teils unplausiblen Informationen der Polizei die Gerüchteküche erst recht angekurbelt wurde, sei das kleinere Übel. "Bauchschmerzen hätte ich nur, wenn durch unsere Informationen die Frau zu Schaden kommen könnte", sagt Horn.
Beobachter des Falls bewerten dies als Grenzüberschreitung. Ein erfahrener Staatsanwalt spricht von einer "kriminalistischen List", die nur in absoluten Extremfällen gerechtfertigt sei. "Es ist aber ein sehr schmaler Grat. Meistens ist es besser, man sagt zu einem Thema lieber gar nichts, als etwas Falsches." Mit Hinweis auf Ermittlungstaktik könne man "nicht alles rechtfertigen". Am Ende steht die Glaubwürdigkeit der Behörden auf dem Spiel.
Der Umgang mit der Öffentlichkeit ist bei den Ermittlungsbehörden vor allem Sache der Staatsanwaltschaften. Wie viel wann nach außen dringt, hängt von den einzelnen Verantwortlichen ab - ihr Ermessensspielraum ist groß. "Viele Polizeidienststellenleiter und Staatsanwälte sind noch immer der Meinung, dass sie am besten fahren, wenn sie möglichst gar nichts nach außen geben", sagt ein Polizeibeamter, der diese Einstellung für falsch hält. Hinter dem Hinweis auf "ermittlungstaktische Gründe" könne man je nach Auslegung "alles mögliche verbergen". Nicht immer klappt auch die Abstimmung zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft. Mitunter blockieren sich deren Verantwortliche gegenseitig. Was dann nach außen dringt, ist nur der kleinste gemeinsame Nenner.
Diese restriktive Haltung kann schlimme Folgen haben, etwa wenn unterdrückte Informationen dennoch durchsickern. "Irgendwann passiert das meist sowieso", sagt ein Ermittler.
Was etwa in der Aufarbeitung des Amoklaufs von Winnenden und Wendlingen passierte, gilt bei der Polizei in Baden-Württemberg bis heute als eine Art Supergau: Innenminister Heribert Rech (CDU) verschwieg dem Innenausschuss noch Wochen nach der Tat eine gravierende Änderung der Ermittlungsergebnisse zum Ablauf des Amoklaufs im Wendlinger Industriegebiet. Der Amokläufer Tim K. war bereits vor den zwei Morden in einem Autohaus von der Polizei gestellt und angeschossen worden - und nicht, wie es zuerst hieß, danach. Keine zwei Wochen nach Rechs Auftritt deckte der "Focus" die wahren Abläufe auf. Unter der Überschrift: "Polizei ließ Tim K. entkommen" spekulierte das Magazin darüber, ob die Morde im Autohaus bei beherzterem Eingreifen der Polizeibeamten hätten verhindert werden können.
Die Opposition schäumte - und die Polizei stand in dem schlechten Licht da, einen Fehler kaschieren zu wollen. "Dabei haben damals Leute in der Polizei dafür gekämpft, dass man mit diesen Informationen offen umgeht und sie schnell öffentlich macht", sagt ein Kenner der Vorgänge. Doch diese Stimmen konnten sich nicht durchsetzen, weil die Staatsanwaltschaft Stuttgart und das Innenministerium auf die Bremse traten. "Die Politik setzte sich durch." Umso größer waren der Schaden und der Verlust der Glaubwürdigkeit hinterher. "Das wird dem Einsatz der Beamten, die am Tatort ihr Leben riskiert haben und schwer verletzt wurden, nicht gerecht", sagt ein Polizist.
Quelle:
http://www.swp.de/ulm/nachrichten/politik/art4306,492379