aktueller Bericht der Badischen Zeitung zum Mordfall Welsche aus dem April 1981, der bis heute nicht aufgeklärt werden konnte.
Tausende von Spuren – und kein Täter
DIE KRIPO IM ORTENAUKREIS (5): Der Fall Welsche / 1981 wurde der Freistetter Arzt entführt und umgebracht.
ORTENAU. Was tut die "Kripo", wofür ist sie zuständig, wie ist sie gegliedert? Antworten auf derlei Fragen gibt eine Serie, die einen Blick hinter die Kulissen dieser so wichtigen Abteilung der Polizeidirektion Offenburg wirft. Die Serie über die Kriminalpolizei geht heute weiter, nachdem sie wegen der Bildung der "Soko Feld" unterbrochen werden musste. Die Bluttat im November 2012 in Oberschopfheim hatte über Monate hinweg viele polizeiliche Einsatzkräfte zusätzlich gebunden. Die "Soko" wurde unlängst aufgelöst.
TAUSENDE VON SPUREN
Selten hat ein Mordfall in der Ortenau die Kriminalpolizei mehr beschäftigt als der Fall Welsche. Er gehört zu jenen ganz wenigen Fällen, die sich in den vergangenen gut 30 Jahren ereigneten und bis heute nicht aufgeklärt werden konnten. Und auch wenn die damals gebildete Sonderkommission ("Soko") längst aufgelöst wurde und zahlreiche weitere Bluttaten die Mitarbeiter der Kripo beschäftigt haben, "ist der Fall Dr. Welsche noch immer nicht aus dem Hinterkopf raus", sagt Hans-Jürgen Klinger vom Dezernat 1.1., zu dessen Arbeitsgebiet vor allem auch schwere Kapitalverbrechen zählen.
Seit 1981 arbeitet der heutige Erste Kriminalhauptkommissar in Offenburg, in dieser Zeit gab es im Ortenaukreis rund 50 Tötungsdelikte. Doch so viel Stoff, so viele Spuren, so viele Ermittlungspapiere kamen wohl bei keinem anderen Fall zusammen. Die Leitz-Ordner füllen acht Meter Regal. "Wir haben damals Tausende von Spuren überprüft", erinnert sich auch Wolfgang Scheidgen noch gut, ab 1980 Dienststellenleiter der Kriminalpolizei in Offenburg und auch Leiter der "Soko", seit 2000 im Ruhestand.
Hautnah dabei in der Aufklärungsarbeit war auch Franz Huber, Inspektionsleiter und legendärer Offenburger Ermittler. Klinger: "Bis zu seiner Zurruhesetzung 1999 hat die Akte Welsche sein Büro nicht verlassen." Der Fall beschäftige Huber bis heute. Längst im Ruhestand, habe Huber Klinger im Herbst 2012 angerufen und gebeten zu überprüfen, ob der Franzose, der kurz zuvor in Karlsruhe vier Menschen umgebracht hat, gut 30 Jahre vorher nicht auch Welsche getötet haben könnte. Doch Fehlanzeige: "Wir mussten ihn ausschließen."
Doch auch sonst sind in den vergangenen Jahren immer wieder Hinweise bei der Polizei eingegangen, eine heiße Spur aber, die zum Mörder des Arztes führte, war nicht darunter – so wie auch die mitunter 60 Mann starke "Soko" keine zu Tage fördern konnte, obwohl sie bis weit in das Jahr 1982 hinein tätig war. Auch ein Schlüssel, der im Sommer 2007 in Bremen aufgetaucht war und eine identische Nummer aufwies wie ein anderer Schlüssel, den Welsche zuletzt bei sich führte, brachte nicht den gewünschten Erfolg. Auch die Sendung "Aktenzeichen XY" brachte keinen Durchbruch.
DIE ENTFÜHRUNG
Bei Karl-Heinz Welsche klingelte am 4. August 1981 abends das Telefon. Der damals 48-Jährige war Arzt im Rheinauer Stadtteil Freistett. Der unbekannte Anrufer bat Welsche, zur Gaststätte "Ratz" zu kommen: Er sei Binnenschiffer, das Schiff liege im Rhein vor Anker, die Ehefrau habe eine Nierenkolik, brauche dringend ärztliche Hilfe. Welsche eilt zum "Ratz. Doch der Notruf, so viel stand rasch fest, war vorgetäuscht: Er wurde entführt.
Bereits am Tag nach der Entführung erhielt eine Sprechstundenhilfe in Welsches Praxis den Anruf eines Unbekannten, der für die Freilassung des Familienvaters ein Lösegeld von 500 000 Mark forderte. Am selben Tag folgten weitere Anrufe: Trotz Fangschaltung konnte deren Herkunft nicht lokalisiert werden. Der Anrufer wollte immer nur wissen, ob das Geld "bereit" sei. Bei seinem fünften Anruf wurde die Frage bejaht. Welsches Ehefrau, die noch in derselben Nacht die Polizei eingeschaltet hatte, erhielt die Anweisung, auf der Autobahn über Karlsruhe in Richtung Mannheim zu fahren, die Autobahn in Lorsch zu verlassen und dort eine bestimmte Gaststätte aufzusuchen.
Sie tat wie geheißen, einer ihrer Söhne begleitete sie. In jenem Lokal trafen weitere Anrufe ein. Frau Welsche erhielt die weitere Anweisung, eine bestimmte Stelle am Ortsrand aufzusuchen, wo sie ein Päckchen vorfinden würde. Dem aber war nicht so. Der Kontakt mit den Entführern brach vorübergehend ab. Am 11. August 1981 – es ist der 49. Geburtstag des Entführten – richtete die Ehefrau in den "Heute"-Nachrichten des ZDF um 19.20 Uhr einen eindringlichen Appell an die Unbekannten, ihren Mann freizulassen. Kurz darauf, noch am selben Abend, gingen bei Frau Welsche weitere Anrufe ein. Ein Unbekannter meldete sich, dass ihr Mann erschossen worden sei. Zynisch der Halbsatz: Er habe sich "gewehrt".
Zwei Tage später, am 13. August, wurde die Leiche von Karl-Heinz Welsche im Kofferraum seines Autos auf einem Parkplatz unweit des Hauptbahnhofs in Frankfurt entdeckt. Die OG-Kennzeichen waren durch gestohlene KA-Kennzeichen ersetzt. Die Ermittlungen ergaben, dass Welsche bereits in der Entführungsnacht mit zwei Kugeln erschossen wurde. Sie stammten aus einer spanischen Pistole.
POLITISCH MOTIVIERT?
Bis heute, weiß Hans-Jürgen Klinger, sind viele Fragen offen. Etwa die nach der Zahl der Täter. Oder der Herkunft des oder der Anrufer: Mehrere Sprachexperten wurden eingespannt. Alemannisch wollten einige heraushören, andere auch Französisch und Holländisch. Auch der Frage wurde nachgegangen, ob Welsche ein Zufallsopfer war. In Rheinau standen damals drei Ärzte im Telefonbuch, an erster Stelle eine 67-Jährige. Auch sie hatte einen abendlichen Anruf erhalten, lehnte aber aus grundsätzlichen Erwägungen Einsätze zu später Stunde ab.
Auch einem möglichen Tatmotiv widmete die Polizei viel Zeit. Keine Anhaltspunkte gab es für Mord aus Eifersucht oder aus Rache. War es dann vielleicht erpresserischer Menschenraub, die Tat also genau so geplant, wie sie auch ausgeführt wurde? Oder war es ein politischer Mord?
Welsche stammte aus der DDR, saß wegen geplanter Republikflucht im Gefängnis, wurde vorzeitig freigelassen und kam in den Westen. Das Gerücht, dass er als Spion in die Bundesrepublik gekommen sei, hier aber der Stasi seine Mitarbeit aufgekündigt habe und deshalb sein Leben lassen musste, konnte laut Polizei nie ganz ausgeräumt werden.
Quelle Badische Zeitung Artikel vom 11. April 2013
http://www.badische-zeitung.de/ortenaukr...--70723281.html