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03.12.1993 FF 3 (Kripo München) Mord an Jonny W.

in Filmfälle 13.11.2012 01:22
von bastian2410 • 1.662 Beiträge
Zu diesem Fall sind ja nicht viele Fakten bekannt. Da ich jetzt schon mehrmals angefragt wurde, die wiki die Hintergründe der Tat auch nicht zu 100% durchleuchtet und auch das Strafmaß nicht bekannt ist, hier ein paar Sätze meinerseits zu diesem Thema.


Das Opfer Jonny W. ist 48 Jahre und lebt mit seinem Freund in einer Wohnung im bayerischen Taufkirchen in der Nähe von Unterhaching- gut 8 Kilometer von München entfernt. Sein Lebensunterhalt verdiente W. lange Zeit mit dem Handel von Antiquitäten- bezieht jedoch jetzt Sozialhilfe, als er Anfang 1992 seinen Führerschein verlor. Zu seiner Familie hat Jonny W. aufgrund seiner Homosexualität nur spärlichen Kontakt, die nur wenig Verständnis für seine Neigung zeigt.

Am Tattag verlässt W. seine Wohnung in der Ulmenstraße um die Mittagszeit. An diesem 3. März 1993 hält er sich zwischen 14 bis 16 Uhr an einem Kiosk am S- Bahnhof in Taufkirchen auf, danach besucht er seine Stammkneipe in der Münchner Innenstadt. Hier suchte der 48- Jährige regelmäßig Kontakte zu seinen Sexualpartner, vorwiegend Strichjungen, in öffentlichen Bedürfnisanstalten, im Szenejargon 'Klappen' genannt, der Innenstadt und in Giesing, hauptsächlich am Nockherberg.

An diesem Abend muss Jonny W. einen jungen Mann kennengelernt haben und mit nach Hause genommen haben. Kurz nachdem die beiden Männer die Wohnung betreten haben, muss es zu einer tödlichen Auseinandersetzung gekommen sein. Jonny W. wurde mit mehreren Gegenständen erschlagen, die Rechtsmediziner zählen später bei der Obduktion insgesamt 27 wuchtige Schläge gegen den Kopf des Opfers.

Gegen 19.30 Uhr geht bei der Taxizentrale in München ein Anruf eines jungen Mannes ein, der sich Rebeck nennt und ein Taxi in die Ulmenstraße 4 mit dem Fahrtziel Ostbahnhof bestellt. Eine halbe Stunde später fällt der junge Mann Nachbarn im Treppenhaus auf. Auffällig: Der Mann war modisch und jugendlich mit einer Baseball-Cap bekleidet und hatte mehrere Koffer und Taschen bei sich. Um diese Zeit war laut Obduktionsbefund Jonny W. bereits tot. Auch vor dem Haus wird der Mann nur wenige Minuten später von einem Zeugen beobachtet: Er bittet einen Autofahrer, ihn für 50 DM zum Ostbahnhof nach München zu fahren. Der Zeuge lehnt jedoch ab und sieht, wie der mutmaßliche Täter ein Taxi besteigt.

Auch dem Taxifahrer fällt das viele Gepäck auf. Der Mörder von Jonny W. hatte nach der Tat alles mitgenommen, was er finden konnte. Neben sechs Gepäckstücken, ein lila Lederblouson und einem grauen Stoffmantel nahm der Täter auch ein Videorekorder der Marke Philips, eine Mikro-Stereoanlage von JVC, ein Aywa- Walkman, ein Vivanco- Kopfhörer sowie etwa 40 Jazz- und Soul- CDs mit. Auf der Taxifahrt zum Ostbahnhof erwähnt der junge Mann, dass er mit dem Zug nach Köln will. Ob der Taxigast am Ostbahnhof wirklich nach Köln wollte, konnte zunächst nicht geklärt werden. Um diese Zeit fuhr auf keinen Fall ein Zug nach Köln. Aufgrund der Zeugenaussagen der Nachbarn und des Taxifahrers kann die Polizei ein Phantombild des jungen Mannes erstellen.

Eine bundesweite Öffentlichkeitsfahndung bleibt jedoch ohne Erfolg. Auch mit Ermittlungen in Münchner Homosexuellen-Lokalen, die auch von Strichern frequentiert werden, kommt die Polizei nicht weiter. 9 Monate nach der Tat bittet die Kripo München die Zuschauer in Aktenzeichen xy um Mithilfe. Im Mittelpunkt stehen neben der Identifizierung des Phantombildes auch die geraubten Gegenstände aus dem Besitz von Jonny W. Hinweise auf den Täter erhofft sich die Kripo vor allem über die vier geraubten Baseball- Caps, die alle in den USA gekauft wurden und in Deutschland sehr selten sind.

Die TV- Ausstrahlung wird ein voller Erfolg. Bereits kurz nach der Sendung geht im Münchner Aufnahmestudio der entscheidende Hinweis ein. Ein Mitarbeiter einer Detektei in München gibt dem Phantombild einen Namen und berichtet, dass dieser Mann nur wenige Wochen nach dem Mord in seinem Detektivbüro eine Arbeit erhielt und die in der Sendung gezeigte lila Lederjacke trug. Zudem versuchte er, die Stereoanlage der Marke JVC an einen Mitarbeiter zu verkaufen. Nach 14 Tagen wurde der junge Mann jedoch wegen Unzuverlässigkeit wieder entlassen.

Durch die Identifizierung kann die Kripo München schnell den Aufenthaltsort des mutmaßlichen Täters ermitteln. 52 Stunden nach der Sendung wird ein 21-jähriger Gelegenheitsarbeiter am Dachauer Schlossplatz nordwestlich von München festgenommen. Dort hatte der Mann in einen Wohnwagen gelebt.

Noch in der Nacht seiner Festnahme gesteht der 21- Jährige die Tat. Er hatte sein Opfer in der Toilette des Münchner Stachus- Untergeschoßes kennengelernt, einem bekannten Treffpunkt für homosexuelle Freier und Stricher. Jonny W. bot dem jungen Mann 50 Mark für seine sexuellen Dienste an. In der Taufkirchener Wohnung tranken Täter und Opfer gemeinsam zunächst eine Flasche Wodka. Als er das Opfer nackt sah, habe er sich geekelt, sagte der 21jährige der Polizei. Er habe sich geweigert, Sex zu machen. Der Kaufmann habe ihn darauf beschimpft, er sei „keinen Fünfziger wert“. Er sei dann ausgerastet und habe auf sein Opfer erst mit der Hand, dann mit einer Karaffe eingeschlagen. Danach sei er mit einem Taxi zum Ostbahnhof gefahren und habe den Eilzug nach Mühldorf bestiegen. Nach einer Schlägerei im Zug wurde er jedoch in Schwindegg vom Schaffner des Zuges verwiesen.

Das Amtsgericht München erlässt an nächsten Tag Haftbefehl wegen Mordes und Raub mit Todesfolge. Mitte Dezember 1994 wird in München der Prozeß gegen den Gelegenheitsarbeiter vor der Jugendkammer eröffnet.

Am ersten Prozeßtag berichtet der Angeklagte über die Erlebnisse in seiner Kindheit. Der aus einer früh geschiedenen Ehe stammende Angeklagte hat seine vor 14 Jahren gestorbene Mutter nicht gekannt und ist zum großen Teil bei den Eltern seines Vaters aufgewachsen, zeitweise auch bei diesem. Er sei Alkoholiker gewesen, habe seinen ganzen Frust an ihm ausgelassen. Auch habe er nie „Bock“ auf Schule gehabt, sein Vater hat ihm so und so geschlagen. Die zweite Frau seines Vaters sei für ihn eine Stiefmutter gewesen, wie sie im Buch steht. So kam er schließlich in die Heckscher-Klinik (eine Jugendpsychiatrie in München), wo er es - obwohl er immer wieder abhaute - sogar zum Hauptschulabschluss brachte.
Von einem Bekannten ließ sich der Angeklagte gegen Geld zu homosexuellen Handlungen verleiten, hatte aber ansonsten nacheinander mit drei Frauen längere Verhältnisse, von denen eines nicht ohne Folgen blieb. Sein Geld verdiente er zumeist als Einräumer in Großmärkten.

Am Tattag kam er nach München, suchte vergeblich nach Arbeit und wurde schließlich in der Toilette im Stachus- Untergeschoß von W. angesprochen, ob er 50 Mark verdienen wolle. Der Angeklagte war einverstanden, wollte aber nicht gewußt haben, worin seine Gegenleistung bestehen sollte. In der Wohnung des Opfer sollte er –nachdem Alkohol getrunken wurde- duschen. Als er zurückkam, lag das Opüfer auf dem Bett und fing an, in den Haaren des Angeklagten „zu wursteln“. Er habe sich den Zärtlichkeiten widersetzt- es sei zum Streit gekommen und zu einem Handgemenge. Das Opfer stand auf, zog sich die Hose an und schrie, dass er noch nicht mal die 50 Mark wert sei. Dann habe der Angeklagte nach einen Gegenstand gegriffen und zugeschlagen. Was das für ein Gegenstand war, wisse er nicht. Er habe damit jedenfalls drei Schläge geführt, und dann lag W. bewusstlos am Boden. Umbringen wollte er Jonny W. nicht. Danach suchte er die Wohnung nach den 50 Mark ab und packte dabei alles ein, was er finden konnte. Beim Weggehen habe W., der nach Aussage des Angeklagten „sehr blutig“ aussah, noch regelmäßig, wenn auch röchelnd, geatmet.

Kurz nach Weihnachten 1994 verurteilt die Jugendkammer beim Landgericht München I den Angeklagten wegen Totschlags und Diebstahls zu siebeneinhalb Jahre Jugendstrafe und bleibt damit unter dem Antrag der Anklage, die wegen Mordes die Höchststrafe von 10 Jahren Jugendstrafe gefordert hatte. Die Verteidigung hatte ebenfalls für eine Verurteilung wegen Totschlags plädiert. Die Kammer glaubte den Angeklagter, dass dieser nicht mit dem Opfer in die Wohnung ging, um diesen zu töten. Erst durch die Auseinandersetzung sei es zur Tötung von Jonny W. gekommen. Danach fasste der Angeklagte den Entschluß, das Opfer zu berauben. So geht die Kammer von einen Totschlag aus, obwohl die Aussagen des Angeklagten widersprüchlich waren- denn schließlich wurde das Opfer mit vier verschiedenen Gegenständen mit mindestens 27 wuchtigen Schlägen gegen den Kopf erschlagen.
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