In der xywiki findet sich zu diesem Fall folgende Info:
SF4 Kapo Zürich: Fahndung nach Reinhard L. (Rauschgifthandel, mehrere Mittäter gefaßt, Kokain und Haschisch)
Ergänzend hierzu ein aktueller Bericht einer Schweizer Zeitung:Entzauberung eines Drogenkönigs
Von Marius Huber, Buchs SG . Aktualisiert am 04.06.2010
Das ganze Quartier wusste es – und nach seiner Verhaftung wusste es ganz Stäfa: Reinhard Lutz, einst der berühmteste Dealer der Schweiz, hatte im Kehlhof ein neues Geschäft aufgezogen. Jetzt stand er vor Gericht.
Alle scheinen sie an diesem Juni-Morgen in Erwartung einer aussergewöhnlichen Geschichte. Sogar die Natur, die ein Bühnenbild wie für eine morbide «Heidi»-Adaption entworfen hat: Wolkenfetzen ziehen tief über das Rheintal und verfangen sich an den steilen Hängen in den Tannen. Am Bahnhof des St. Galler Landstädtchens Buchs rattert ruhelos ein Billettautomat, obwohl weit und breit niemand in Sicht ist. Und oben, vor dem klassizistischen Gebäude des Kreisgerichts, erklärt einer im Nieselregen: «Für eine hundskommune Verhandlung wäre ich doch nicht extra die 40 Kilometer hierhergefahren.»
Denn vor dem Richter sitzt der Mann, den sie früher mal den Schneekönig genannt haben. Nicht wegen alpiner Höchstleistungen, sondern wegen solcher im Drogengeschäft: 100 Kilogramm Kokain hat er in den frühen Neunzigerjahren aus Brasilien in die Schweiz geschmuggelt – einer der grössten Fälle, den es hier je gab.
Ein wohlbehüteter Männedörfler Bub, der an der Zürcher Langstrasse zur grossen Milieufigur aufgestiegen war. Ein junger Mann mit Geltungsdrang, der knapp 30-jährig plötzlich eine TV-Berühmtheit wider Willen war, als in der Sendung «Aktenzeichen: XY . . . ungelöst» nach ihm gefahndet wurde. Der nach Paraguay floh und dort bei Alt-Nazis unterkam, die Hitlers Geburtstag feierten – so zumindest erzählte er selbst es unlängst in einem Interview mit Radio DRS. Da ist es zur Legendenbildung nicht mehr weit.
Jetzt muss er sich «durekämpfe»
Doch am Donnerstag hat Reinhard «Reini» Lutz, inzwischen 55 Jahre alt, den Kragen seiner Windjacke hochgezogen, obwohl es warm und stickig ist im Saal. «Es muess halt . . .», beginnt der gross gewachsene Mann, in seinen Sessel geduckt; eine prominente Nase im massigen Gesicht, kurze, ungezähmte Haare auf dem Kopf. «Me muess sich halt durekämpfe.» Er meint sein Leben im vorzeitigen Strafvollzug. Das ist seine Realität, seit die Polizei sein Haus an der Ebnetstrasse im Stäfner Kehlhof im letzten Frühjahr bei einer Razzia auf den Kopf gestellt und dabei Kokain gefunden hat. Es ist bei weitem nicht sein erster Aufenthalt im Gefängnis: Sein halbes Erwachsenenleben hat er dort verbracht – es ist der hohe Preis für ein Leben, das er ziemlich konsequent auf der schiefen Bahn geführt hat.
Schnell wird klar: Die suggestive Chiffre vom Schneekönig, die nach filmreifem Glamour-Gangstertum klingt, führt in die Irre. Vor Gericht verhandelt wird eine ernüchternd normale Schweizer Milieugeschichte mit den erwartbaren Milieufiguren als Protagonisten: Neben Lutz sind dies etwa Patrick L.*, seine rechte Hand in Stäfa, und der auch schon über 50-jährige Dealer Max B.* Auch der als Milieuanwalt bekannte Zürcher Jurist Valentin Landmann hat einen Auftritt. Es wird ausgiebig um Kilogramm und Gramm gestritten, um Streckmittel, guten Stoff und schlechten Stoff. Darum, wer wann was getan und gewusst habe.
Nur für den Staatsanwalt scheint der Fall klar: «Die Beweislage ist komfortabel.» Lutz habe seit 2007 in seinem Haus in Stäfa unter anderem über 6 Kilogramm Kokain verkauft. Aufmerksam darauf wurden die Ermittler wegen des frisch aus dem Gefängnis entlassenen Max B., den Lutz als Filialleiter seiner Handelsfirma Rinnova in Landquart einstellte. Weil Max B. dort bald erneut mit Drogen zu dealen begann, zapfte man sein Telefon an. Prompt wurden die Ermittler Zeugen merkwürdiger Telefonate mit Lutz oder Patrick L. in Stäfa: Auffällig oft ging es um «Etiketten». Mit solchen Codewörtern bestellte Max B. Kokain, so die Vermutung. Das bestätigte sich, als ein verdeckter Ermittler von ihm zweimal Kokain verkauft bekam. Es folgte die Razzia in Stäfa, in deren Verlauf fast ein Kilogramm Kokain, zweieinhalb Kilogramm Cannabis und ein kleines Waffenlager entdeckt wurden.
Mit falschem Kokain getrickst?
Lutz bestreitet vor Gericht diese Darstellung, und er erklärt auch gleich warum: Mit dem Kokainverkauf habe er erst kurz vor der Razzia begonnen, und zwar auf massiven Druck des verdeckten Ermittlers hin. «Davor war es kein Kokain, sondern reines Koffein.» Mit diesem Placebo habe er seine Abnehmer hinters Licht geführt.
Dass sich so etwas schlecht mit seinem eigenen Ehrenkodex vertragen würde, dessen er sich im Radio jüngst noch rühmte («Ich habe nie jemanden betrogen»), scheint in diesem Moment nebensächlich. Denn es geht für ihn um viel: Der Staatsanwalt hat sich explizit für einen «sehr hohen Strafantrag» von 13 Jahren Gefängnis entschieden. Nicht zuletzt, weil die Probezeit von Lutz, der 2004 bedingt aus dem Gefängnis entlassen worden war, noch lief, als er bereits wieder gedealt haben soll. Im Fall von Koffein sähe die Sache natürlich anders aus.
Strategie vorweg genommen
Lutz nimmt mit seiner Version der Geschichte im Wesentlichen bereits die Strategie vorweg, der sich die Verteidigung danach in ausführlichen Plädoyers widmet – bis hin zu einem kulturhistorisch anmutenden Exkurs von Valentin Landmann über die Wirkung von Placebos, über Wunderglaube und Albert Einstein. Die Luft im Saal ist längst zum Schneiden dick, die Lider werden schwer, und hinter den Wappenscheiben an den Fenstern hat es wieder zu nieseln begonnen. Der Staatsanwalt schüttelt amüsiert den Kopf und erhebt sich: «Ich will diese kunstvoll erzeugten Nebelschwaden lichten.» Die Geschichte mit dem Koffein, betont er, sei erst spät aufgetaucht, nachdem Lutz mit einem Geständnis seines Partners Max B. konfrontiert worden war. Zudem frage er sich, warum Lutz selber für ein Pulver, das bloss Koffein war, exorbitant hohe Einkaufspreise bezahlt haben sollte.
Dennoch bleibt ein zentraler Einwand der Verteidigung im Raum stehen: Die Staatsanwaltschaft stützt sich für den Grossteil der behaupteten Drogendeals auf Indizien statt auf Beweise. Das ist dem Angeklagten nicht entgangen. Er bittet das Gericht in seinem Schlusswort um ein faires Urteil, das sich ausschliesslich nach den Beweisen richte – «auch wenn ich Reini Lutz heisse».
Düstere Aussichten
Zwar hat das Gericht noch nicht entschieden, trotzdem ist schon jetzt klar: Auf den Karneval in Brasilien, die Wohnung auf Mallorca, die schönen Frauen, das üppige Leben in grossen Zügen, das ihm so wichtig ist (und das er sich ohne seine kriminelle Karriere nie hätte leisten können) – auf all das wird er für einige Jahre verzichten müssen. Und auch nach dem Gefängnis warten harte Zeiten auf ihn – das sieht sogar jener Mann so, der ihn dort hinbringen will. Lutz sei zwar ein umgänglicher Typ, sagt der Staatsanwalt, «aber seien wir ehrlich: Er hat kaum eine Chance, eine Arbeit zu finden, wenn er rauskommt.»
Der Mann mit dem miserablen Leumund nimmt es vordergründig gelassen: «Ich mache das Beste draus», sagt er. Und: Ihm werde schon wieder etwas einfallen. An die Ebnetstrasse in Stäfa zurückkehren wird er aber voraussichtlich nicht mehr. Das Haus sei zu hoch mit Hypotheken belastet, die Bank ziehe es im August ein. Es ist der letzte Rest des Königreichs von Reinhard Lutz.
Quelle: http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/rechtes-ufer/Entzauberung-eines-Drogenkoenigs-/story/19552157