9.2.1979 FF2 (Kripo Bad Homburg) Taunuswanderung
Sprecher: Wolfgang GrönebaumAus dem an XY-Klassikern ja nicht gerade armen Sendejahr 1979 (Gewehrfalle; Spukhaus; Donaubeil; Hochsitz; Nasses Dreieck/"Moustache" - die Stichworte kennt jeder XY-Fan) stammt auch dieser Filmfall, der sich in die Reihe unvergeßlicher (weil memotechnisch perfekt inszenierter) Aufbereitungen nahtlos einreiht. Er lief unter dem ZDF-internen Arbeitstitel "Taunuswanderung".
Das Opfer: Ein junges Mädchen, daß "in seinem Bekanntenkreis als äußerst entschlußfreudig und zielstrebig galt. Vielleicht sind ihr aber gerade diese Eigenschaften zum Verhängnis geworden, denn sie hat bei einer Wanderung den Tod gefunden, von der ihr alle Bekannten und auch ihre Mutter dringend abgeraten hatten. Aber es war nun einmal nicht ihre Art, sich von Plänen abbringen zu lassen, die sie sich einmal in den Kopf gesetzt hatte..." (Eduard Zimmermann in seiner ebenso klassisch zu nennenden Einleitung).
Krass ist schon der Auftakt des FF - Fotos aus dem Familienalbum werden der Kamera vorgeblättert, dazu gibt es Wolfgang-Text, der die lebenslustige junge Frau portraitiert, die "immer zu einem Scherz aufgelegt" war: Unvermittelt kommt das letzte Foto, und das ist von ihrem Grabstein, denn "Eva Nelke ist tot, seit dem 8. Mai 1978" (Wolfgang).
Einen Tag vorher, wie die nächste Szene zeigt, war sie noch Zaungast bei einem Fußballspiel eines Amateurklubs, in dem ihr gleichaltriger Freund mitspielt und wo sie von der Seitenlinie aus "kein Blatt vor den Mund nimmt" (Wolfgang), womit der harmlose XY-Poesiealbumssatz "Mensch, gib doch ab, das wird doch so nix!" gemeint ist
.
(Netter Kameraschwenk dabei: Die Kamera verfolgt einen Angriff von links nach rechts, und oben im Hintergrund fährt im gleichen Tempo ein Laster auf der nahen Autobahn in dieselbe Richtung - darin zeigt sich gutes Filmerhandwerk!)
Aber "Mist! Das war die letzte Chance", und der Schiri pfeift ab. Der (mit getönter Brille) sieht ein wenig aus wie Moshammer, aber auch ein wenig wie Dieter Reith (ZDF-Bigband), ist ers am Ende sogar?
"Aber die sportlichen Aktivitäten des Mädchens beschränken sich nicht nur aufs Zuschauen" (Wolfgang). Früher war sie Schwimmerin, jetzt hat sie sich aufs Wandern verlegt und hat gerade 2 Wochen Urlaub. Ihren Freund ("ich war nicht so besonders heute") kann sie aber nicht zu einer gemeinsamen Wanderung am nächsten Tag überreden, denn er steckt gerade mitten im Abitur.
"Obwohl: Ein bischen Konditionstraining würde Dir auch guttun!"
- Er: "Was meinst'n damit?
Woraufhin sie betont lange auf seinen leichten Bauchansatz schaut, bevor sie sagt: "Na, zum Beispiel so ein Spaziergang im Taunus!"
Eva will sich dann einen anderen Begleiter für die geplante Wanderung suchen, aber vergebens, "denn bei allen, die sie fragt, gibt es triftige Hinderungsgründe", wie uns Wolfgang versichert. Auch die Mutter der jungen Frau lehnt während des XY-Abendessens (Tee und natürlich Wurstufschnitt!) ab, mit Verweis auf den Wetterbericht, der unfreundliches naßkaltes Wetter mit dichtem Nebel voraussagt, und versucht ihr Kind von dem Plan abzubringen.
Vergeblich - "und so konzentriert sich ihre mütterliche Fürsorge schließlich nur noch auf die Ausrüstung für die unabwendbare Wanderung ihrer Tochter" (genialer Wolfgang-Text!)
"Soll ich Dir vielleicht noch ein Wurstbrot streichen?"
- "Nee, das mach ich mir vielleicht morgen früh selber."
(beide sprechen mit vollem Mund)
Vom Falkenstein über den Fuchstanz zur Hohemark will die junge Frau gehen. "Naja die Strecke kennst Du ja wenigstens, aber bei Nebel schaut das ein bißchen anders aus!" - "Ach, Mutti..." Den "Zug um 8" will sie nehmen.
Am nächsten Morgen steht die junge Frau tatsächlich früh auf, ohne daß ihre Mutter davon etwas merkt. Wolfgang: "Da sie nicht mehr viel Bargeld besitzt" (und der Zuschauer rätselt ein wenig: Warum hat sie relativ zu Monatsanfang eigentlich "nicht
mehr" viel Bargeld?), "nimmt sie doch von zuhause Proviant mit: Ein belegtes Brot" (natürlich ein Wurstbrot!!), "einen Apfel, und eine Dose Bier, die sie im Kühlschrank vorfindet".
Bierdose Billigmarke EKU, wie Grimms Kameraschwenk gekonnt einfängt. (Ausgleichende Gerechtigkeit zur EKU-Schleichwerbung nebenher: Im Kühlschrank sichtbar ist auch eine Dose "Bärenmarke". Genau, nichts geht über die "zum Kaffee". So unschuldig war das damals, bevor "Product Placement" erfunden wurde).
Netter FF-Fehler: Die junge Frau verläßt leise die Küche, macht dort aber nicht das Licht aus...
Wischblendenschnitt, und der ist genial: Die nächste Szene nämlich startet direkt in einer nebligen Waldlandschaft, denn "das Wetter hält, was Evas Mutter vorausgesagt hat: Der 8. Mai ist ein ausgesprochen nasser, unfreundlicher und beinahe etwas unheimlicher Tag" (genialer Wolfgang-Text). "Und so wandern nur wenige Unverdrossene auf den sonst so belebten Wegen rund um Bad Homburg und Oberursel". Dazu tolle "Nebeleinstellungen".
Ein Ehepaar sieht die junge Frau in rotem Anorak, gefolgt in einiger Entfernung von einem jungen Mann.
"Ob die zesammegehöre?"
- "Isch weiß net, dann wüdde die doch zesammegehe!"
- "Der guckt awa so komisch!"
- "Vielleicht gefällt ihm das Meedsche!"
- "Na, is ja auch nich so wichtich".
Dann Wolfgangs Sprechertext als Hammer: "Wie wichtig ihre Beobachtung gewesen ist, erfahren die beiden Eheleute erst viel später. Denn sie dürften die letzten gewesen sein, die Eva Nelke lebend gesehen haben."
Wischblende. Am Abend machen sich Evas Mutter und Evas Freund (der vor einer irren 70er-Küchentapete sitzt), mit dem sie sich für 19 Uhr daheim verabredet hatte, große Sorgen. Man verabredet für den nächsten Morgen eine Suchaktion.
Wischblende. "Eeevaaa!" hallt es durch den Wald. Ihr Freund und einige seiner Kumpel suchen nach der Vermißten. Dabei treffen sie auf zwei Waldarbeiter ("mir sinn hier am Ausforste"), die aber ebenfalls nichts beobachtet oder bemerkt haben ("aber mir passe nadürlich auch nich so uff auf die Leut'"). So bleibt die Suche ohne Erfolg.
Wischblende: "Auch weitere Aktionen der jungen Leute und der Polizei fördern in den nächsten Tagen keine Spur der Vermißten zutage"; zum Wolfgang-Text werden originale Zeitungsmeldungen aufgeblättert.
Erneute Wischblende: "Mehr als zwei Monate später: Die Waldarbeiter sind immer noch in dem Gelände bei Oberursel beschäftigt" und gehen im Juli 1978 daran, einen jungen Fichtenwald durchzuforsten, "in dem die Bäume besonders dicht stehen. Als sie an diesem Vormittag eine leere Bierdose finden" (Kamera geht auf die Dose: Marke EKU... und dem Zuschauer schwant böses...), "messen sie dem zunächst keine Bedeutung bei. Sie halten ihn für Abfall, wie ihn Spaziergänger leider in großen Mengen in den Wäldern zurücklassen." So landet sie erstmal auf dem Stapel bereits gesammelten Unrats.
"Dann aber" - genialer Wolfgang-Text zum Gruselmoment der Entdeckung - "stellt sich heraus, daß die Bierdose nur der Vorbote eines schrecklichen Fundes ist: Versteckt unter jungen Zweigen liegt unmittelbar daneben die Leiche eines jungen Mädchens. Sie trägt einen roten Anorak".
Wischblende. Die Ermittler sichern den Tatort, dazu setzt das "Schifferklavier" ein (eine der besten alten XY-Spannungsmusiken). Schnell drängt sich die Vermutung auf, daß es sich bei der Toten um die vermißte Eva Nelke handeln könnte. "Nachdem der Polizeifotograf seine Arbeit beendet hat" (Wolfgang), suchen Kriminalbeamte und die Gerichtsmedizerin nach Hinweisen auf Identität und Todesursache; dabei wird rasch der Personalausweis gefunden. Auch steht fest, daß das Opfer erschlagen worden ist.
Geniale XY-Poesieszene hier: Die Gerichtsmedizinerin ("OK, wir können jetzt, Frau Doktor") marschiert neben den jeansbehosten Kripobeamten im schicken Kostüm mit Rock(!) zur Leiche - das gibts ja wohl nur im XY-Film, oder? LOL! Ist auch noch mal zu sehen, als sie den Ort wieder verläßt ("Darf ich se bidde, Frau Doktor").
Zunächst ergeben sich am Tatort aber keine weiteren Hinweise zum Tatwerkzeug. Dann aber "hat die Kriminalpolizei doch noch unerwartet Glück" (geniale Wischblende vom Sarg, der an den Tatort getragen wird, zum Zeitsprung mit dem einfahrenden orangenen VW Passat), als 14 Tage später einer der beifrn Waldarbeiter, der gerade krankgeschrieben ist, privat zum Pilzesuchen wieder in das Waldstück kommt, weil er dort "vor einiger Zeit besonders viele Pilze gesehen hat. Dort macht er jedoch dann einen ganz andern Fund".
Er findet einen halb vergrabenen Hartgummihammer und ist sich dessen möglicher Bedeutung für den Kriminalfall sogleich bewußt, bringt ihn zur Polizei.
Hier endet der Filmfall; einer von Grimms besten (meiner Meinung nach). Die "nebelverhangenen" Sequenzen (geschickt durch Aufnahmetechnik verstärkt) sind unvergeßlich, wenn man sie einmal gesehen hat, und vor allem sind sie authentisch.
"Das ist der Hammer, der von dem Waldarbeiter gefunden worden ist", so präsentiert Ede anschließend das Werkzeug im Studio. Die kriminaltechnischen Untersuchungen haben demnach ergeben, daß Eva Neske höchstwahrscheinlich mit diesem Hammer erschlagen worden ist.Im Studio zu Gast ist Oberkommissar Lotz von der Kripo Bad Homburg.
Im eher kurzen Fahndungsgespräch wird auf Hinweise auf den Hammer gebeten, der außer in Karosseriewerkstätten auch vielfältig andere Verwendung findet. Mithilfe einer Übersichtskarte wird das Gebiet im Taunus skizziert, in dem das Opfer an jenem Tag gewandert ist. Markante Eckpunkte (wie Falkenstein, die Gaststätte Fuchstanz und die damalige Straßenbahn-Endhaltestelle Hohemark) werden hervorgehoben.
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Der Fall ist bis heute (meines Wissens nach) nicht geklärt. Wie haben sich die Ermittlungen seither entwickelt? Vielleicht hat jemand Informationen dazu?
Bernhard.