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15.06.1973 FF3 (LPD Stuttgart) Mord an Ursula Schlosser

in Filmfälle 03.06.2020 08:36
von Metropolis 1971 • 70 Beiträge

Gericht: BGH
Datum: 24.11.1992
Aktenzeichen: 1 StR 643/92
Bundesgerichtshof
Urt. v. 24.11.1992, Az.: 1 StR 643/92
Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebes als Mordqualifikationen
hinsichtlich der Verweigerung des Geschlechtsverkehrs; Rechtliche Bedenken
gegen die Annahme der Nähe zum Verdeckungsmord
Entscheidungsform: Urteil
Referenz: JurionRS 1992, 17882
Verfahrensgang:
vorgehend:
LG Stuttgart - 02.04.1992
Rechtsgrundlage:
§ 21 StGB
Verfahrensgegenstand:
Totschlag

BGH, 24.11.1992 - 1 StR 643/92

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. November 1992, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Gribbohm,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ulsamer, Dr. Maul, Dr. Granderath, Dr. Wahl als beisitzende Richter,
Bundesanwalt ... in der Verhandlung, Richter am Amtsgericht ... bei der Verkündung als Vertreter der
Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt Dr. ... als Verteidiger,
Justizamtsinspektor ... als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 2. April 1992 mit den
Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
1 Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil
des Amtsgerichts Vaihingen an der Enz vom 25. Juli 1990 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben
Jahren und sieben Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, die das Urteil mit der Sachrüge
angreift, hat Erfolg.
2 1.
Der Angeklagte hat eingeräumt, im Jahre 1973 Ursula Schlosser getötet zu haben. Jedoch hat das
Landgericht dem Angeklagten seine Schilderung, wie es zu dieser Tat gekommen sei, nicht geglaubt. Es
sieht vielmehr den Anlaß der Tat darin, daß Ursula Sch. den Wunsch des Angeklagten nach
Geschlechtsverkehr im Auto abgelehnt, sich aber auch geweigert habe, das Fahrzeug zu verlassen.
Hierüber sei der Angeklagte, weil ihm die Frau über sein Verhalten mit wenig schmeichelhaften Worten
die Meinung gesagt habe, derart in Wut geraten, daß er sie mit einem textilen Werkzeug erwürgte (UA
S. 15).
3 Die Revision beanstandet zu Recht, daß dieses Ergebnis der Beweiswürdigung einer festen
Tatsachengrundlage ermangelt (vgl. BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 7, Vermutung 3, 4, 7, 8).
4 Insoweit erscheint schon das, was das Landgericht zur Widerlegung der Einlassung des Angeklagten
anführt, anfechtbar. Zur Darstellung des Angeklagten, Frau Sch. habe ihn sofort in seine Wohnung
begleitet und dort einverständlich zweimal mit ihm den Geschlechtsverkehr ausgeführt, meint das
Landgericht, die Charakterisierung, die geschiedener Ehemann, Schwägerin und früherer Geliebter
über das Opfer abgegeben hätten, widerspreche dieser Darstellung. Danach habe sich Ursula Sch. auf
solche Männerbekanntschaften allenfalls mit älteren Männern mit Niveau und Geld eingelassen, wobei
"das ganze in stilvoller Umgebung habe stattfinden müssen" (UA S. 30). Dem stehe nicht entgegen,
daß die Getötete in früheren Jahren Verwahrlosungstendenzen gezeigt und flüchtige sexuelle Kontakte
zu Männern in Hotels gesucht habe. In der Zwischenzeit sei bei ihr eine Wandlung eingetreten. An
dieser Beurteilung ändere auch nicht, daß sie wenige Tage vor der Tat mit einem Mann, den sie gerade
kennengelernt habe, eine Nacht in einem "kleinen, süßen Hotel" zugebracht habe. Hier habe, anders als
beim Angeklagten, "das 'Ambiente' gestimmt" (UA S. 34). Schon insoweit ist der Revision einzuräumen,
daß es sich bei dem Ausschluß freiwilliger sexueller Beziehungen der Getöteten mit dem Angeklagten in
Anbetracht ihrer insgesamt freizügigen sexuellen Haltung um nicht mehr als eine Vermutung handelt.
Der Beschwerdeführer weist insoweit zutreffend darauf hin, daß die Getötete neben der bereits
erwähnten Nacht im Hotel auch in den Wochen vor der Tat eine intime Beziehung mit dem Zeugen E.
unterhielt. Insgesamt ist der Schluß des Landgerichts, es wäre der Getöteten persönlichkeitsfremd
gewesen (UA S. 30), dem Angeklagten in seine Wohnung zu folgen, nicht tragfähig. Ähnliche Bedenken
bestehen hinsichtlich der Verwerfung der Einlassung des Angeklagten, die Getötete habe am frühen
Morgen des 9. April 1973 nochmals mit ihm den Geschlechtsverkehr im Auto ausüben wollen. Das
Landgericht übersieht nicht, daß sie auch schon mit dem Zeugen W. in einem Kraftfahrzeug
Geschlechtsverkehr hatte, meint jedoch, wegen des Bestrebens der Getöteten, an ihre Arbeitsstelle zu
gelangen, wegen der ungünstigen Witterungsverhältnisse am Tattag und der ungünstigen Lage des
angeblich dafür gewählten Ortes unmittelbar neben einer Straße das ausschließen zu können.
5 Soweit der Angeklagte schließlich geltend macht, der Streit sei über den dringenden Wunsch der
Getöteten entstanden, von ihm geheiratet zu werden, ist einzuräumen, daß alle Umstände gegen diese
Darstellung sprechen. Doch wäre damit nur bewiesen, daß darin nicht die Ursache der Tat lag. Schon
daß die Getötete freiwillig dem Angeklagten in dessen Wohnung folgte, wäre damit noch nicht
widerlegt. Anzumerken ist insoweit aber, daß diese Einlassung den Angeklagten insoweit belastet, als
sich daraus nicht ergibt, Frau Sch. habe den Angeklagten zurückgewiesen, ein Umstand, aus dem das
Landgericht neben anderen die Voraussetzungen des § 21 StGB entnommen hat.
6 Auf diese Mängel käme es nicht entscheidend an, wenn der vom Landgericht tatsächlich festgestellte
Sachverhalt auf fester Beweisgrundlage beruhte; dann wäre jedenfalls dadurch die Einlassung des
Angeklagten widerlegt. Doch ist auch das nicht der Fall.
7 Schon für die Annahme, die Tat stehe im Zusammenhang mit einem vom Angeklagten gewollten, von
der Getöteten verweigerten Geschlechtsverkehr (UA S. 40), fehlen Beweise. Das Landgericht meint,
weil der Angeklagte am selben Abend bereits von einer anderen Frau abgewiesen worden war, habe er
ein gesteigertes Interesse "am Erfolg des Geschlechtsverkehrs" gehabt, so daß er versucht habe, mit
Worten oder körperlicher Gewalt zu seinem Ziel zu kommen. Dieser Schluß könnte allenfalls als
tragfähig angesehen werden, wenn andere Gründe, die zu den Auseinandersetzungen und schließlich
zur Tat führten, ausgeschlossen wären. Damit befaßt sich das Landgericht aber nicht. Es versteht sich
auch nicht von selbst, daß eine lediglich verbale Auseinandersetzung über die Durchführung von
Geschlechtsverkehr - und von mehr geht das Landgericht nach dem Zweifelssatz nicht aus - dazu
führte, daß der Angeklagte nun versuchte, die Frau mit brutaler Gewalt aus dem Fahrzeug zu
befördern. Weiter ist es auch nur eine Vermutung, daß die später Getötete nun mit wenig
schmeichelhaften Worten ihre Meinung sagte, worauf er sie schließlich erdrosselte.
8 Insgesamt sind die Feststellungen zum Tatablauf zwar möglich, aber nicht ausreichend mit Tatsachen
belegt. Das Landgericht hätte zwar auch, wenn es sich ganz oder teilweise nur auf das Geständnis des
Angeklagten gestützt hätte, zum selben Schuldspruch gelangen können. Doch wird der Schuldspruch
durch die nicht rechtsfehlerfrei festgestellten Umstände der Tat derart geprägt, daß er keinen Bestand
haben kann.
9 2.
Durchgreifende Bedenken bestehen auch gegen die Strafzumessung.
10 Das Landgericht lastet dem Angeklagten insoweit insbesondere an, er habe dem Opfer einen
qualvollen, langsamen Tod beschert; zudem komme die Tat wegen ihres Bezugs zu sexuellen
Handlungen wider Willen des Opfers den Mordqualifikationen "zur Befriedigung des Geschlechtstriebs"
oder "zur Verdeckung einer Straftat" sehr nahe.
11 Für einen qualvollen, langsamen Tod des Opfers läßt sich aus dem Urteil jedoch nichts entnehmen.
Dort ist nur festgestellt, der Angeklagte habe die Frau mit aller Kraft so lange gedrosselt, bis sie tot war
(UA S. 15). Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß er mit seinem Werkzeug nicht ständig in
einer festen Position auf den Hals eingewirkt hatte, sondern mehrfach ansetzte und zuzog (UA S. 27),
denn bei einer Drosselung kann in jedem Fall sehr schnell Bewußtlosigkeit eintreten (Luff in
Handwörterbuch der Rechtsmedizin Bd. I S. 211, 213). Das läßt das Landgericht unerörtert. Weiter ist
eine Nähe zu den genannten Mordqualifikationen nicht erkennbar. Der Streit entbrannte letztlich darum,
daß der Angeklagte die Getötete aus seinem Wagen schaffen wollte und sie sich dagegen wehrte;
selbst wenn diesem Verhalten des Angeklagten die Verweigerung des Geschlechtsverkehrs zugrunde
lag, bringt dieser Umstand die Tat noch nicht in die Nähe zu einer Tötung zur Befriedigung des
Geschlechtstriebes, denn der Angeklagte hatte gerade seine geschlechtsbezogenen Absichten
endgültig aufgegeben. Rechtliche Bedenken bestehen gleichfalls gegen die Annahme der Nähe von
Verdeckungsmord; anscheinend will das Landgericht insoweit auf seine alternativ getroffene
Feststellung abheben, der Angeklagte habe eine Vergewaltigung versucht, sei aber davon
zurückgetreten, als die später Getötete mit Anzeige drohte (UA S. 14, 41). Diese Annahme hält das
Landgericht jedoch selbst nicht für nachweisbar; vielmehr geht es zu Gunsten des Angeklagten davon
aus, über die Frage des Geschlechtsverkehrs habe es nur verbale Auseinandersetzungen gegeben (UA
S. 14, 41).
Gribbohm
Ulsamer
Maul
Granderath
Wahl
Von Rechts wegen


zuletzt bearbeitet 03.06.2020 08:38 | nach oben springen


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