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Studiobesuch bei der XY-Sendung 403 vom 02.08.07

in XY-Hauptsendungen 06.02.2008 19:52
von tim • 8 Beiträge
Servus zusammen,

es ist schon eine Weile her, aber zwischen dem Studiobesuch und dem heutigen Bericht standen noch eine ganze Reihe beruflicher Projekte sowie eine dicke Erkältung und Exitus meines PCs, und … Anyway, nun möchte ich einen unvergessenen Tag Revue passieren lassen.

Dazu muss ich bis in die frühen 1980er zurück. Genau genommen ist es Freitag, der 26.06.1981 um 20:15 Uhr in Haan, einem Städtchen zwischen Düsseldorf und Wuppertal, als ein noch nicht einmal 6 Jahre alter Junge heimlich in seiner Hochhauswohnung die aktuelle XY-Sendung ansieht. Heimlich deshalb, weil seine Eltern ihm in diesem Alter wohl nie erlaubt hätten, diese "Räuberpistole" anzusehen. Der Abend, den der Junge mit einem Loewe-Schwarzweißfernseher verbringt, wird Folgen haben - auch ohne dass er die braune Studiodeko wahrnehmen kann. Nach dem ersten Filmfall für die Kantonspolizei Zürich wird der Junge "zur Strafe" mehrere Nächte unruhig träumen: Die Szene, in der das Opfer den Täter im Auto - leider vergeblich - zu überwältigen versucht, geht ihm nicht aus dem Kopf und bleibt als kleines traumatisches Erlebnis zurück. Doch einmal neugierig geworden, nutzt der Junge jede Gelegenheit, die sich bietet, um die unheimliche Sendung wieder zu sehen. Zunächst ergibt sich diese nicht so häufig, aber mit der Zeit weiß er, dass er bei seinen Omas nur ein wenig betteln muss und alsbald am Ziel ist…
Dass er aber 26 Jahre später einmal freiwillig "in der Höhle des Löwen", im XY-Studio, sein würde, kann er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen.


Zurück ins Jahr 2007 und in die Ich-Form. Seit 1995 arbeite ich als freier Mitarbeiter beim Fernsehen, in erster Linie für den WDR-Rockpalast, und mache dort Script und/oder Regie-Assistenz. Daneben war ich im Bereich Musik-TV und -DVD einige Male als Aufnahmeleiter tätig. Beim Rock-am-Ring-Festival 2007 kam ich in einer der seltenen Pausen mit einer freundlichen Kamerafrau ins Gespräch und outete mich als XY-Fan. Dies hat sie sich gemerkt und mich mit dem Studioregisseur bekannt gemacht. Und so kam es, dass mein Bekannter Manni und ich dank des Regisseurs und auch der Securitel bei den Dreharbeiten im Studio dabei sein durften. Wir waren natürlich begeistert, aber doch sehr aufgeregt, obwohl zumindest mir durch meine Arbeit das Fernsehen auch hinter seinen Kulissen nicht ganz unbekannt ist.


Gegen 12:00 Uhr kamen wir am ehrwürdigen Studiokomplex in Unterföhring bei München an. Ein Ort, an dem schon seit Jahrzehnten Fernsehgeschichte geschrieben wird. Nachdem wir uns beim Pförtner angemeldet und eine Wegbeschreibung bekommen hatten, öffneten wir schließlich vorsichtig eine alte Stahltür: Wir standen direkt im XY-Studio und schauten uns und die Deko erst mal ungläubig an. War es tatsächlich wahr, dass wir auf der Kommandobrücke des Raumschiffes waren, das nun schon seinen 403. Einsatz gegen das Böse hatte? Und da kam das anfangs beschriebene Kind wieder hervor, das nicht nur in jedem Manne steckt. Und es freute sich unheimlich, denn welches Kind spielt nicht gerne "Räuber und Gendarm"? Nachdem wir uns im richtigen Büro angemeldet hatten, machte uns die Redaktionsassistentin mit dem Praktikanten bekannt, der die Requisiten betreute und für uns eine kleine Führung machte. Zu den Requisiten dieser Sendung gehörten unter anderem die Reproduktionen bzw. Vergleichsstücke von Tat-relevanten Gegenständen, z. B. einem orangefarbenen Softballschläger oder zwei mysteriösen Briefen, die bei der Polizei eingegangen sind. Denn die Originale sind vermutlich aus spurensicherungstechnischen Gründen in den Asservatenkammern der Polizeidienststellen verblieben. Und neben den ganzen Replikationen von Gegenständen, die mit kapitalen Verbrechen in Zusammenhang stehen, stand ein Symbol für das Gute: Auch der XY-Preis wurde sorgsam in dem großen rollbaren Requisiten-Case gehütet.


Wie immer wirkt im Fernsehen alles größer, als es dann in Wirklichkeit ist, aber das tat unserer Begeisterung keinen Abbruch, und so fühlten wir uns nach wie vor wie die kleinen Jungen im groooßen Fernsehstudio. Zwischendurch durften wir uns auch auf einen der Plätze setzen, auf denen sonst die "Zuschauerreaktionen" entgegengenommen werden, und bekamen einen Ablaufplan der Proben und die Texte leihweise in die Hand. Bestens versorgt, ging es auch schon mit den "heißen Proben" los, das heißt, Rudi Cerne war nun bei fast allen Anmoderationen und Gesprächen dabei. Und so bekamen wir schon vor der Sendung mit, welche Fälle dieses Mal behandelt werden würden. Doch dazu später mehr.


Bald schon wurde nicht nur geprobt, sondern einige Anmoderationen und auch die Gespräche mit den Kommissaren direkt aufgezeichnet. Wieso das?
Eine Sendung 100% live zu fahren, birgt immer ein gewisses Risiko. Daher ist es üblich, möglichst viel vorher zu produzieren und in der Sendung "live from tape" zu senden.
Und so wurden neben den bereits abgedrehten Filmfällen viele "Takes" (in diesem Falle alles, was in der Sendung im Studio stattfindet), vorab aufgezeichnet. Aber vieles ist eben auch nicht alles.


Obwohl alles sehr professionell und routiniert vonstattenging, waren doch meist mehrere Versuche vonnöten. Mal gab es einen Zungenbrecher im Namen eines Tatverdächtigen, mal war die Kamerafahrt oder Einstellung noch nicht ganz optimal. Dies ist aber bei einer Fernsehproduktion ganz normal, denn jeder Take erfordert höchste Konzentration, und es gibt viele potenzielle Fehlerquellen bzw. Möglichkeiten, wo man etwas noch besser machen kann. Sowohl beim Menschen als auch bei der Technik kann es immer mal "haken". Und vieles ergibt sich erst genau in dem Moment, in dem es geprobt wird. Besonders hat uns Rudi Cerne beeindruckt, dem man einerseits eine ungeheure Professionalität anmerkte, der aber andererseits keineswegs emotionslos sein Programm abspulte, sondern für eine sehr gute Stimmung sorgte. Man merkte, er macht seine Sache nicht nur sehr gut, sondern auch sehr gerne. Aber das galt auch für alle Mitarbeiter hinter den Kameras. Schnell wurde uns auch klar, dass das Team die Sendung beileibe nicht zum ersten Mal gemacht hat und dass alles sehr routiniert ablief. Und doch war von Festgefahrenheit keine Spur. Sehr überrascht hat uns, dass die Kriminalbeamten ihren Text ohne Hilfsmittel sprachen. Wahrscheinlich, weil sie ihre Fragen und Informationen nicht mehr wie früher in die Kamera stammeln müssen, sondern durch Rudi Cernes Art und Moderationsstil eine Gesprächssituation entsteht, bei der die Zuschauer im wahrsten Sinne des Wortes zuschauen.


Nachdem die erste Etappe zurückgelegt und viele Einzeltakes aufgenommen waren, ging es zur Stärkung in die Kantine. Schließlich standen allen noch die Generalprobe und natürlich die Sendung bevor. Und gerade XY sollte man nicht mit leerem Magen machen! So durften wir auch Sabine Zimmermann persönlich kennenlernen, die - wie der werten Leserschaft dieses Berichts sicherlich bekannt ist - hinter den Kulissen weiterhin als Produktionsleiterin für XY tätig ist. Und bei ihr und allen anderen, von der Redaktionsleiterin der Securitel über die Regieassistentin bis zum Regisseur, hatte man es nur mit freundlichen und aufgeschlossenen Menschen zu tun, von denen man nie im Traum denken würde, dass Mord und Totschlag "ganz normal" zu ihrem Beruf gehören.


Für die Kriminalbeamten war ein eigener Stammtisch reserviert, wo vermutlich nicht nur der Stand der jeweiligen Ermittlungen, sondern auch Erfahrungen ausgetauscht wurden. Dort saßen auch zwei Beamte aus dem "Crimewatch"-Land Großbritannien, die wie wir auch "very impressed" von der XY-Produktion waren. So sehr, dass sie XY eindeutig der Machart der englischen Schwestersendung vorzögen, wie sie uns erzählten.


Frisch gestärkt ging es dann in die Generalprobe, die wir diesmal im Regieraum verfolgen durften. Wie bei vielen älteren Studios befindet sich der Regieraum hoch oben, fast unter der Decke Und so mußten wir einige Treppen außerhalb des Studios steigen. Außer mit Kameras auf rollbarem Pumpstativ wird die Sendung auch mit der Steadicam aufgezeichnet. Letztere trägt ein Kameramann mit einer ausgeklügelten Konstruktion an seinem Körper. Dank dieser Konstruktion kann man mit ihr Kamerafahrten machen, für die die "Pumpen" nicht schnell und wendig genug wären. Sie ist zum Beispiel ganz am Anfang und Ende der Sendung für die Kamerafahrten zuständig und verleiht der Sendung mehr Dynamik. In der Zeit von 1975-97 kam nach dem Vorspann in klassischem Stil eine recht statische Einstellung von Eduard Zimmermanns Anfangsmoderation, heute greift die Steadicam Rudi Cerne aus dem Dunkeln ab, und der Kameramann läuft rückwärts, bis er am Moderationstisch angekommen ist. Und am Ende der Sendung verabschiedet sich der Moderator nicht mehr vor dem XY-Logo, bevor der Abspann eingeblendet wird. Heute vollzieht die Steadicam einen Rundgang im Halbkreis und zeigt noch einmal, was so alles im Studio los ist.


Wem dies nun nicht nostalgisch genug sein sollte, der sollte sich einmal wieder die schwarz-weißen Sendungen ansehen, in denen für die damalige Zeit die "Pumpen" doch recht häufig durch die Gegend gefahren werden, oft auch wenn sich in der Aussage des Ansagetextes etwas ändert.
Mit der Generalprobe war also große Konzentration angesagt, und wir waren still wie die Mäuschen. Die Vorspann-MAZ lief ab. Und wie zu Hause vor dem Fernseher bekamen wir eine Gänsehaut. Aber hier war alles noch unmittelbarer, und es gab keine Decke, unter der man sich verkriechen konnte.


Und dann ging es Schlag auf Schlag: Rudi Cernes Begrüßung, dieses Mal ohne eine Kurzvorstellung der Fälle. Aber gleich wurde klar, dass diese Sendung eine außergewöhnliche werden würde: Einer der ersten Mordfälle in XY, ein Anhaltermord an einem 13-jährigen Mädchen von 1962, würde neu behandelt werden. Natürlich erst am Ende, schließlich möchte man, dass der Zuschauer die ganze Zeit mit dem Zweiten besser sieht.


Anschließend folgten die Filmfälle im Schnelldurchlauf, von denen wir nur Anfang und Ende in Echtzeit mitbekamen. Doch das schien schon auf eine spannende Sendung hinzudeuten.
Dazwischen wurden manche Takes nun final aufgenommen, alle live-live-Takes ein letztes Mal generalgeprobt.
Es folgte die Verabschiedung der Zuschauer und der Abspann.


So weit die Generalprobe. Nun wurden noch einmal einige Details für die Sendung durchgegangen. Obwohl es immer heißt, dass eine gute Sendung bzw. Aufführung erst nach einer misslungenen Generalprobe möglich ist, waren doch alle zufrieden, und es gab wieder eine Pause. Diese Zeit nutzen wir und schauten uns vorsichtig im Erdgeschoss um. Direkt neben dem XY-Studio befand sich ein sehr kleines Studio, in dem der Homeshopping-Kanal 1-2-3 TV live sendete. Doch hier ging es legal zu, und wenn mal Schmuckstücke gezeigt wurden, so waren sie nicht geklaut oder anderweitig ergaunert. Kaum zu glauben, dass zwei (Fernseh-)Welten oft nur durch eine Mauer oder Tür voneinander getrennt sind.


Nachdem wir uns noch ein wenig mit den Kommissaren und dem XY-Team unterhielten, nahte schon die magische Uhrzeit 20:15, und alle gingen einige Minuten vorher auf Stand-by.
Auch wenn wir nun mit Ausnahme der Filmfälle alles, was "live from tape" kommen sollte, kannten, waren wir doch seeehr aufgeregt, denn live bleibt live, mit seinen eigenen Gesetzen. Vor allem aber konnten wir es immer noch nicht fassen, bei einer unserer absoluten Lieblingssendungen "live" und hautnah dabei zu sein.


Dann die ersten Vorwarnungen aus dem Regieraum, und je näher der Start rückte, desto aufgeregter wurden wir. Noch schnell einen Schluck Wasser, und schon fuhr der Vorspann ab, und höchste Konzentration war angesagt, denn die Anfangsmoderation war live-live. Und nun kam ein besonderes Gefühl hinzu: Jetzt sahen wir zusammen mit allen Zuschauern "da draußen im Fernseh-Universum" die Sendung.


Alles klappte bei der Live-Sendung wie am Schnürchen.
Der Vorspann lief ab und ließ auch unseren Adrenalinspiegel steigen, und anschließend folgte Rudi Cernes Anfangsmoderation.


Und schon ging es in den ersten Filmfall. Das Opfer, eine Mutter bzw. Oma, ist zusammen mit der Tochter und dem Enkelkind im Kinderwagen in einem idyllischen, teils bewaldeten Park unterwegs. Bei schönem Wetter unterhalten sich die Frauen über harmlose Themen. Dies bleibt allerdings nicht unbeobachtet.
Nein, wir sind nicht zu Gast bei der Schwarzwaldklinik, sondern bei XY. So stimmten uns dann auch schnell Michael Brennickes Sprechertexte sowie der gelungen und unscharf im Vordergrund in Szene gesetzte längliche hölzerne Gegenstand auf das Unvermeidliche, was noch kommen würde, ein.
Nachdem sich der Täter maskiert hat, lauert er noch einen kurzen Moment, springt aus seiner Deckung hervor und streckt die ältere Frau plötzlich von hinten mit einem wuchtigen Schlag nieder. Auch beim Schreiben dieser Zeilen fühlen wir uns noch schlecht, wenn wir daran zurückdenken.
Jäh werden die Tochter und wir aus der sommerlichen Idylle gerissen, und schon machen wir uns Sorgen, ob nun auch die Tochter niedergeschlagen wird. Doch zum Glück flieht der Täter. Doch was er angerichtet hat, ist beklemmend genug. Zurück bleibt die Tochter mit ihrem Kinderwagen. Wir fanden insbesondere die Umsetzung ihrer Verzweiflung sehr gelungen.
Leider kommt für das Opfer jede Hilfe zu spät, die Frau stirbt noch am Tatort.


Auch wenn es ein im wahrsten Sinne des Wortes harter Schnitt ist, zurück ins Studio. Während uns der Fall mehr und mehr naheging und sich seinem traurigen Ende näherte, zeigte eine rückwärts laufende Uhr die verbleibende Zeit bis zum Ende des Falles an. In dieser Zeit wurde aber nicht etwa eine gemütliche Pause im Regieraum eingelegt, sondern nocheinmal durchgegeben, was man spätestens in der Generalprobe abgesprochen hatte: Wie würde man wieder zum Studiogespräch reingehen, weich oder mit einem harten Schnitt? Und bei anschließenden live-live Teilen: Zusätzlich mit oder ohne Kamerafahrt oder -schwenk?
Nun ging es zum Gespräch von Rudi Cerne mit der Kriminalkommissarin. Es ist sicherlich jedes Mal nicht leicht, von der Betroffenheit, die wohl jeden nach Ansicht eines solchen Filmfalles ergreift, zu den Sachfragen zu kommen. Und bei aller Professionalität und trotz "The show must go on": Unser Eindruck war, dass niemand im Team dem gleichgültig gegenüberstand.


Doch es gibt auch Erfreuliches zu vermelden: Die Arbeit vorangegangener Sendungen hat sich gelohnt, und so kann in "XY gelöst" die Festnahme mehrerer Gesuchter vermeldet werden. Alleine das beantwortet wohl jede Frage nach dem Sinn dieses Formates.


Wir kommen zu Filmfall 2, wie auch schon in "alten Tagen" meist "harmloser". Dieses Mal: Bankraubserie in Ostdeutschland. Es wurden zwei Fälle näher vorgestellt. Der erste spielt in Chemnitz, auch wenn dem ein oder anderen Münchner die blauen Haltestellenhäuschen sicher bekannt vorkommen. Ein "Standard-Überfall" mit zwei Tätern, wie wir ihn aus XY kennen. Wie so oft wirkt alles glaubwürdig, auch dank der Beschimpfungen, die fallen. Doch im zweiten Überfall, bei dem nur ein Täter auftritt, gibt es endlich mal etwas zu lachen: Die unbeholfenen Versuche des kurzhaarigen Azubis, eine der weiblichen Angestellten zum Mittagessen einzuladen, scheitern. Stattdessen bekommt er neben einem Korb von einer Kollegin sogar noch Arbeit in Form eines Überweisungsträgers! Doch dies war keine bloße Herumalberei des Regisseurs, sondern ein geschicktes Mittel, um den Azubi menschlich darzustellen, denn "dieser Tag wird der schlimmste seines Lebens".
Als der Täter in die Bank stürmt, spricht er als Einziger mit ihm und nutzt nicht die sich bietende Gelegenheit zur Flucht. Damit nicht genug, nein, er muss leider auch noch den Helden spielen und bezahlt dies mit einem Bauchschuss, der ihn das Leben hätte kosten können. Da war es dann doch schnell wieder mit dem Schmunzeln vorbei.
Es folgte ein Gespräch mit dem Sachbearbeiter der Polizei. Auch mithilfe eines Phantombilds eines der Täter versucht man, den gefährlichen Bankräubern auf die Spur zu kommen.


Dass XY auch nach dem Ausscheiden vom Schweizer Fernsehen und dem ORF immer noch internationale Kriminalfälle behandelt, wurde im folgenden Studiofall deutlich. Der Augenblick für die beiden britischen Kriminalbeamten war gekommen, und sie nickten kurz höflich in die Kamera. Doch es wurde regelrecht multinational. Das Tötungsdelikt geschah zwar in Großbritannien, der Täter könnte aber in Deutschland untergetaucht sein und ist vietnamesischer Herkunft. Daher wurde jetzt ein vietnamesischer Dolmetscher vorgestellt, und darauf verwiesen, dass heute die Zuschauerhinweise auch in dieser Sprache entgegengenommen werden.


War der erste Filmfall schon sehr unbegreiflich und brutal, so sollte nun der traurige Höhepunkt an grausamer Brutalität folgen: Der (Raub-?)Mord an einem Supermarktleiter in Coburg.
Den Beginn des Filmfalles kann man als "XY-klassisch" bezeichnen: Das Opfer nimmt die Lebensmittelbestellung seiner betagten Nachbarin auf. Denn wie Michael Brennicke erklärt, hat er vor einigen Jahren einen neuen Markt aufgebaut und den alten in seinem Haus geschlossen. Und weil viele gerade betagtere Menschen den Weg in den benachbarten Ort nicht ohne Weiteres zurücklegen können, bringt er ihnen die Lebensmittel eben mit. Und so lernen wir das spätere Opfer als einen sympathischen Menschen mit sozialem Bewusstsein kennen. Im Markt gibt es dann ein Wiedersehen mit einer alten Bekannten unter den XY-Darstellern: Roswitha Dircks spielt seine Frau, die ebenfalls im Markt arbeitet. Da sie eine Magenverstimmung zu haben scheint, fährt er sie nach Hause. Und - ganz Familienbetrieb – es arbeitet auch der Sohn im Markt, soll er seinem Vater doch einmal nachfolgen. Zusammen mit einem Steuerberater geht er durch den Laden. Dabei stößt der Steuerberater gegen einen orangefarbenen Softballschläger, der, wie Michael Brennicke uns erzählt, zur Selbstverteidigung gedacht ist, aber noch nie eingesetzt werden musste. Wir ahnten natürlich sofort, dass dies ein geschickter Vorgriff auf das ist, was da noch folgen würde. So erfuhren wir auch, dass die Personaleingangstür seit einiger Zeit ein Sicherheitsproblem hat: Sie schließt nicht mehr richtig. Und dann passiert es: Der Marktleiter bleibt abends allein im Markt und erhält ungebetenen Besuch. Als der Täter auch der Aufforderung, den Markt zu verlassen, nicht nachkommt, flieht der Leiter ins Büro. Doch bevor er die Polizei verständigen kann, benutzt der Täter den eigentlich zur Verteidigung des Personals gedachten Softballschläger und setzt damit das Telefon außer Gefecht. Anschließend schlägt er eiskalt den Marktleiter nieder und bemächtigt sich des Tresorschlüssels. Während er sich am Tresor zu schaffen macht, möchte der Marktleiter fliehen, doch der Täter bemerkt dies. Es beginnt ein dramatischer Wettlauf, aber dem Opfer gelingt es nicht, die Türe zu verschließen und das rettende Telefon rechtzeitig zu erreichen. Es wiederholt sich dasselbe, was auch schon beim ersten Mal geschah.
Und nun wird es richtig schaurig: Das Opfer rappelt sich ein zweites Mal auf, und eine blutverschmierte Hand versucht, den Telefonhörer zu erreichen, doch der Täter bemerkt dies und stößt einen Wutschrei aus. Nach einem weiteren wuchtigen Schlag ist der Marktleiter (man möchte nun fast schon sagen: hoffentlich) tot. Denn was jetzt passiert, ist erschütternd.
Das Opfer sinkt in den Tresor. Der Täter scheint (endlich!) zu fliehen, doch er kommt mit dem Softballschläger und einem Messer zurück. Die darauf folgende Erklärung des Kriminalkommissars mit einem zweiten Gang des Täters Richtung Teeküche und einem zweiten abgebrochenen Messer sowie die eigene Vorstellungskraft reichen völlig aus, um sich ein Bild von dem weiteren Verlauf zu machen.
Anschließend fällt bei der Flucht des Täters ein blutverschmiertes Messer auf den Boden, und man sieht ihn im Hintergrund fliehen. Zur gleichen Zeit hören wir von Michael Brennicke "(…) ist tot. Aus dem Tresor fehlt das gesamte Geld". Gerade die Kombination vom auf den Boden fallenden blutverschmierten Messer, dem flüchtenden Täter und Michaels Schlusssätzen bilden den schaurigen Höhepunkt dieses Falles. Auch wenn uns der Atem stockte, waren wir uns sofort einig: Kompliment für diese gelungene Umsetzung!


Gleich zwei alte XY-Fälle kamen uns beim Ansehen dieses Falles in Erinnerung. Im ersten aus der Februarsendung 1993 war es ein Pförtner, der sich den Tätern in den Weg stellte und insgesamt drei Mal von ihnen brutal zusammengeschlagen und dann äußerst grausam erstochen wurde. Auch er griff vergeblich nach dem Telefonhörer. Und angesichts der zerbrochenen Messer natürlich auch der Klassiker "Akazienweg". Leider hat auch dieser Fall das Zeug zum Klassiker. Eine derartig brutale Tatausführung war selten in XY zu sehen. Durften und wollten wir uns am Mittag noch das Vergleichsstück der in knalligem Orange lackierten Tatwaffe näher ansehen, so war uns nun begreiflicherweise nicht mehr danach zumute. Und auch wenn teilweise im Forum kritisiert wurde, dass man nicht am Originalschauplatz gedreht hatte, von uns gibt es für diesen Fall die höchste Punktzahl.


Gut, dass nach dem Gespräch mit dem Kriminalbeamten die Dramaturgie wieder etwas Erfreulicheres bot: den XY-Preis. Wieder wurde ein Beispielfilm gezeigt.
Dieses Mal ging es um das Nicht-Wegsehen beim leider immer wieder aktuellen Thema Kindesmissbrauch, unserer Meinung nach gut in Szene gesetzt. Vor allem der Darsteller des gewalttätigen Vaters überzeugte.


Zum Schluss wurde es nicht nur für alle Nostalgiker interessant. Unser Raumschiff beamte zurück ins XY-Jahr 1968. Raumschiff Enterprise war damals schon farbig, doch wir beamten in den Film Noir, in mehr schwarze und weniger weiße XY-Zeiten. Kriminalistisch sogar ins Jahr 1962, in dem dieser Anhaltermord geschah.


Eine MAZ mit Eduard Zimmermanns schon damals dramatischer Moderation wurde abgefahren. Rudi Cerne nahm gekonnt den Ball auf und brachte uns auf den aktuellen Stand der Dinge. Was ist in der Zwischenzeit geschehen? Zwar ist der Täter immer noch nicht ermittelt, scheint aber bis heute sehr unter der Tat zu leiden und wendet sich in einem anonymen Brief an die Polizei. Nach dieser Einleitung geht es in den Filmfall:
Ein Kriminalbeamter a. D., der den Fall seinerzeit bearbeitet hatte, bekommt Besuch von einem jungen Kollegen, der ihm von einem anonymen Brief berichtet.
War schon die erste Szene, die dank einer schönen Kameraarbeit lange ohne Zwischenschnitt auskam, sehr gelungen, so sollten noch einige Kunstgriffe neben dem XY-Archivmaterial diesen Filmfall zum XY-Klassiker machen.
Als der junge Kriminalbeamte seinem Kollegen a. D. den Brief zeigt, wird in einen schummrigen Raum mit Kaffee, Zigarettenrauch und einem älteren, kränklichen Mann übergeblendet. Es ist der Verfasser des besagten Briefes, dessen Stimme wir aus dem Off hören, während er seine Gedanken zu Papier zu bringen versucht. So bekommt man eine emotionale Einführung, bis es wieder zurück in den Garten zu den Kriminalisten geht. Kurz darauf erzählt der ältere, wie sich damals alles zugetragen hat. Wir bleiben in 16:9, werden aber schwarz-weiß. Originalszenen aus dem Filmfall von 1968 werden gezeigt, zum Beispiel die Mordkommission am Tatort oder die Zeugenaussage eines belgischen Lkw-Fahrers, teilweise unterlegt mit der Stimme des pensionierten Beamten. Im Anschluss gehen wir nach einem Dialog zwischen den Ermittlern noch einmal in das Zimmer des Täters, und wieder wird aus seinem Brief zitiert. Am Ende des Falles wünscht sich der pensionierte Beamte, dass dieser Fall endlich geklärt wird. Dabei sieht man eine längere Großaufnahme seines Gesichts, und er sieht eindringlich in die Kamera. Wie schon im Filmfall zuvor ein bewegender Schluss.


Ein sehr aufrührender Fall, bei dem wir sogar etwas Mitleid mit dem Täter verspüren, der nicht ganz gewissenlos zu sein scheint. Neben der kriminalistisch hoch interessanten und bewegenden Geschichte ist es der Regie zu verdanken, dass dieser Fall nicht nur uns, sondern offensichtlich auch vielen im Forum in "angenehmer" Erinnerung bleiben wird. Die Regie hat es hier hervorragend verstanden, inhaltlich und ästhetisch eine Brücke vom alten zum neu gedrehten Material zu schlagen. Daran kann auch der Ford Capri aus den 1980er-Jahren nichts ändern, den man beim einzigen schwarz-weißen Neudreh benutzt hat.


Anschließend wurde Rudi Cerne und dem Bielefelder Kriminalbeamten natürlich etwas Zeit gegeben, die Zuschauer mit weiteren Informationen zu versorgen und Fragen zu stellen.



Richtig spannend wurde es noch einmal am Ende. Würde die Zeit noch für eine Abfrage der ersten Ergebnisse reichen?
Wir waren bei fast 58 Minuten, doch die Zeit reichte nicht mehr für die ersten Ergebnisse. Rudi Cerne verabschiedete sich, und die Steadicam verschaffte uns einen letzten Überblick über das ganze Studio und die Aktivitäten. Während der Abspann lief, merkte man, wie Telefone läuten, E-Mails eingingen und viele Menschen damit beschäftigt waren, die eingehenden Hinweise zu bearbeiten.


Dass man nicht die kompletten 60 Minuten, die immer in den Programmzeitschriften vermerkt sind, nutzt, liegt an den heutzutage üblichen Trailern, die bis zur nächsten Sendung laufen.
So muss z. B. eine 60-Minuten-Sendung im Zeitfenster von 57:30 – 59:30 beendet sein, damit sie in das durchformatierte Programm passt. Auch hier soll schließlich der Zuschauer nicht vergessen, dass er mit dem Zweiten besser sieht.


Nach getaner Arbeit hatte das Team natürlich eine Belohnung in Form eines ebenfalls wieder sehr schmackhaften Abendessens verdient. Zuvor wurden noch Erinnerungsfotos mit Rudi Cerne und den Polizeibeamten geschossen und das Studio teilweise bereits rückgebaut.


Wir hatten so noch die Gelegenheit, uns weiter mit dem Team zu unterhalten und versuchten, uns mit einer alten Ausgabe von konkret ein wenig zu revanchieren, jenem Heft, in dem Ulrike Meinhof einst eine Kolumne gegen XY schrieb. Unser Heft stammte bereits aus einer Zeit, als sie längst RAF-Mitglied war. Und auf der Titelseite dominierten nicht mehr politische, sondern andere Inhalte … Aber neben diesen anderen Inhalten fand sich dort auch ein Hinweis zu einem weiteren kritischen Artikel über XY, mitsamt Bild von Eduard Zimmermann.


Unser Dank gilt der Securitel und allen festen und freien Mitarbeitern, den Kommissaren und vor allem einigen ganz bestimmten Personen. Wir wissen nicht, ob sie namentlich genannt werden möchten, aber sie werden wissen, dass sie gemeint sind.


Es wird für uns ein unvergesslicher Tag bleiben, vor allem deshalb, weil es sich auch noch um eine solche Ausnahmesendung handelte! Nicht, dass wir die bisherigen Sendungen schlecht finden. Aber nach 2002 ließen unserer (natürlich subjektiven) Meinung nach die Sendungen etwas nach, bis sie ab etwa 2005 wieder an Spannung gewannen. Unserem Eindruck nach flog das Raumschiff aufgrund von Wartungs- und Modernisierungsarbeiten mit etwas verminderter Kraft. Doch nun erstrahlt es in neuem Glanz, verfügt über einen hervorragenden schwarz-weiß-kompatiblen Beamer und ist nun schneller, als die Polizei erlaubt! Und Hand aufs Herz: War wirklich jede Kurt-Grimm-Sendung ein Meilenstein? Wie im richtigen Leben auch, gibt es doch überall Aufs und Abs. Schließlich sind es Menschen, die diese Sendung produzieren, und Menschen, die diese ansehen und dann eine Meinung dazu haben.


Also bis zum nächsten Mal, wenn es wieder heißt: "Jetzt bittet die Kriminalpolizei wieder um Ihre Mithilfe!"


Tim und Manni
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#2

Re: Studiobesuch bei der XY-Sendung 403 vom 02.08.07

in XY-Hauptsendungen 07.02.2008 19:14
von bdvogel (gelöscht)
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Vielen Dank Euch beiden für den ausführlichen Bericht - ist ja grad so, als sei man selbst dabei gewesen!

Besonders interessant fand ich den fachmännischen Einblick in die "Machart" der Sendung, also in die Art und Weise, wie voraufgezeichnetes und "echtes live" zusammengebastelt werden.

***Sehr überrascht hat uns, dass die Kriminalbeamten ihren Text ohne Hilfsmittel sprachen. Wahrscheinlich, weil sie ihre Fragen und Informationen nicht mehr wie früher in die Kamera stammeln müssen, sondern durch Rudi Cernes Art und Moderationsstil eine Gesprächssituation entsteht, bei der die Zuschauer im wahrsten Sinne des Wortes zuschauen.***

Das glaube ich ehrlich gesagt weniger... ich denke, die Ursache ist eher allgemeiner Natur bzw. generationsbedingt: Auch die Beamten sind heute einfach insgesamt "lockerer" im Umgang mit modernen Medien, weil wie wir alle größtenteils schon damit aufgewachsen. Das galt für die Generation zumal der Schwarz-Weiß-Ära und bis in die 80er Jahre hinein sicher zu einem weit geringeren Maße.
Aber letztlich ist es m.E. auch gar nicht sp wichtig, wie "telegen" die Beamten sind bzw. wie verkrampft oder entkrampft die Infos rüberkommen - wichtig ist, daß sie rüberkommen (also ausführlich genug sind, die Bilder lange genug eingeblendet werden, Fundstücke usw. lange genug präsentiert werden, usw.). Da hatte das "neue XY" durchaus seine Schwächen, die ich im "alten" XY viel seltener entdecke.

Aber das nur am Rande - nochmal danke für den spannenden Blick hinter die Kulissen!

Viele Grüße,
Bernhard.
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