Es scheinen - soweit bisher bekannt - wohl doch nur ganz vereinzelt XY-Gesuchte in die DDR geflohen zu sein.
Losgelöst von XY:
Auch wäre es mal interessant zu erfahren, wie die DDR-Behörden ganz allgemein mit kriminellen Einwanderern aus dem Westen umgegangen sind (wenn sich deren Straffälligkeit herausgestellt hat).
Hier noch ein Bericht aus der WELT vom 27.02.10 über ein Buch, das sich wohl u.a. auch mit dieser Thematik beschäftigt:
Die Flucht von West nach Ost
Bernd Stöver untersucht, warum die DDR für nicht wenige Menschen attraktiv war
von Thomas Speckmann
Bis zum Mauerbau 1961 emigrierten mehr als eine halbe Million Westdeutsche in die DDR. Ihnen folgten bis zum Fall der Mauer 1989 jedes Jahr immer noch mehrere Tausend. Welche Motive hatten diese Übersiedler? Was erträumten sie sich? Wovor flohen sie? Bernd Stöver hat sich auf die Suche nach Antworten begeben. Der Potsdamer Historiker ist dafür der richtige Autor. Bereits vor zwei Jahren hat er sich mit einer nicht nur überaus lesenswerten, sondern darüber hinaus brillant komponierten und geschriebenen Darstellung des Kalten Krieges einen Namen gemacht. Dies gelingt ihm nun ein zweites Mal.
Den "Rübermachern" in die DDR haftete mehr als vierzig Jahre lang der Verdacht an, mit ihnen stimme irgendetwas nicht. Nach Abschluss seiner Recherchen steht für Stöver fest: Man kann diesen Verdacht mit der gleichen Berechtigung als weit übertrieben verstehen oder auch als exakt zutreffend bestätigt bekommen. Die Übersiedler sahen sich bis zur Wiedervereinigung dem Vorwurf ausgesetzt, hier gingen die Verlierer des Wirtschaftswunders, jene also, die in der Bundesrepublik keine Arbeit gefunden hatten, weil sie zu schwach oder zu unflexibel, auf jeden Fall aber nicht geeignet für den freien Wettbewerb der Marktwirtschaft gewesen seien. Eine andere Variation mit gleichem Tenor war die Vermutung, dies seien die Kriminellen, die Asozialen der westdeutschen Gesellschaft.
Unabhängig von diesen Mutmaßungen waren nach Stövers Analysen einige Übersiedler tatsächlich kriminell oder aber wirkliche Agenten der einen oder anderen Seite. Dass ein in der Bundesrepublik straffällig gewordener Deserteur wie Bundeswehrhauptmann Adam Gliga sich nur wenige Jahre nach seiner Übersiedlung in die DDR 1960 dem Bundesnachrichtendienst zur Verfügung stellte und dann dort verurteilt wurde, bevor er wieder nach Westdeutschland ausreisen durfte, wertet Stöver als Beleg für die wechselseitigen Vorwürfe.
Zwar wurden die Übersiedler in der DDR unterschiedslos als Sicherheitsrisiko angesehen, doch blieben sie zugleich ein Teil ihrer politischen Legitimierung. Im Systemkonflikt mit dem kapitalistischen Nachbarn waren sie so begehrt, dass Ostberlin in erheblichem Ausmaß um Zuwanderung warb. Die Motive der Übersiedler aus dem Westen zwischen 1949 und 1989 - um die 550 000 Menschen - waren meist persönlicher Natur. Es handelte sich, wie Stöver anhand von übereinstimmenden Erhebungen ost- und westdeutscher sowie alliierter Stellen zeigt, in erster Linie um familiäre Gründe, wozu allerdings auch die Flucht vor Strafen und Schulden gezählt wurde. An zweiter Stelle und nur mit geringem Abstand kam dann bereits das wirtschaftliche Motiv, die Annahme, sich durch den Umzug ökonomisch verbessern zu können. Erst weit dahinter folgten die engeren politischen Motive, wie sie etwa Wolf Biermann 1953 angab: Die DDR habe entschiedener mit den Naziverbrechen abgerechnet als die Bundesrepublik.
Entsprechend dieser Motiv-Rangfolge fällt auch Stövers Fazit aus: Erstens bildeten Übersiedlungen in die DDR keinen Sonderfall der Migrationsgeschichte. Entkleidet der politischen Konnotationen des Kalten Krieges und verglichen mit anderen Auswanderungen, etwa der westdeutschen in die USA, erweisen sie sich als höchst "normale" Entscheidungen. Zweitens machen die Übersiedlungen nach Stövers Studien deutlich, dass der Kalte Krieg für den menschlichen Alltag eine eher marginale Rolle spielte. Insofern betrachtet Stöver die vorhandene, wenn auch begrenzte Anziehungskraft der DDR, die sich in der West-Ost-Migration zeigte, vor allem als einen Teil der Erwartungsgeschichte nach der Katastrophe des "Dritten Reiches". Dies korrespondiert in seinen Augen auch damit, dass sich die Akzeptanz der Demokratie in der Bundesrepublik erst durchsetzte, als sich die zunächst skeptisch beurteilte Marktwirtschaft mit dem "Wirtschaftswunder" als langlebig und sogar als Erfolg erwies.
Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall gebührt Stövers dritter Schlussfolgerung besondere Aufmerksamkeit: "Verpasste Chancen" hat die DDR trotz ihrer Anziehungskraft für über eine halbe Million Westdeutsche nicht gehabt. Moskaus Entscheidung, die SBZ als eine Diktatur sowjetischen Typs aufzubauen und dies trotz einiger marginaler Veränderungen so zu belassen, bedeutete zugleich, dass sie ein Staat wurde, der massiv in das von den Bürgern gewünschte "normale Leben" eingriff. Und eben dies erwies sich als Problem für die Zuwanderung aus dem Westen. Die Ironie dieser Geschichte: Heute sind es ebenfalls vor allem ökonomische und private Motive, die Menschen von Ost nach West ziehen lassen. Oder anders ausgedrückt: Spätestens seit 1989 wird zurückgewandert.
Bernd Stöver: Zuflucht DDR. Spione und andere Übersiedler. C. H. Beck, München. 383 S., 24,90 Euro.
Quelle: http://www.welt.de/die-welt/kultur/literatur/article6583380/Die-Flucht-von-West-nach-Ost.html