|
|
Diskussion XY »
Filmfälle »
16.01.1998 FF3 (Kripo Chemnitz) "Sachsen-Zug" (Mordfall Andrea Dittrich)
#1
von Peter Poppy Köhler • 244 Beiträge
16.01.1998 FF3 (Kripo Chemnitz) "Sachsen-Zug" (Mordfall Andrea Dittrich)
in Filmfälle 30.06.2008 08:33von Peter Poppy Köhler • 244 Beiträge
In der von Laniol gestalteten Umfrag ("Welcher FF hat euch am meisten verfolgt?") wird sowohl der "Sachsenexpress" als auch o.g. Filmfall zur Abstimmung angeboten. Ich dachte allerdings immer, "Sachsenexpress" sei eben dieser Mord an Andrea D. vom Januar 1998. Wenn das nicht so ist, welcher FF ist dann "Sachsenxpress"?
nach oben springen
#4
von bastian2410 • 1.678 Beiträge
Re: FF3 vom 16.01.1998, Mord an Andrea D.
in Filmfälle 02.01.2011 06:40von bastian2410 • 1.678 Beiträge
ich habe doch tatsächlich etwas gefunden in den zahlreichen Fallsammlungen der Landgerichte aus Sachsen.
Jens W. wurde ja in der ersten Instanz in Chemnitz wegen Mordes und Vergewaltigung zur lebenslanger Haft verurteilt. Auch die besondere Schwere wurde festgestellt.
Der BGH hob im Dezember 2001 das Urteil jedoch auf. Begründung: Es sei nicht zweifelsfrei bewiesen worden, dass der Angeklagte die damals 20-jährige Andrea im Regioexpress vorsätzlich getötet hat.
Im Februar 2002 wurde der Fall in Dresden neu verhandelt. Hier das Urteil erneut lebenslange Haft, aber nur wegen versuchten(!!!) Mordes in Tateinheit mit Vergewaltigung mit Todesfolge.
Egal, sagen jetzt vielleicht ein paar Leute. Eben nicht. Bei Mordversuch wird die besondere Schwere der Schuld idR nicht festgestellt, der Täter kann nach 15 Jahren frei kommen. Das hängt auch von den Vorstrafen des Angeklagten natürlich ab, die jetzt noch nicht im Blick habe.
Habe mir ein paar Seiten kopiert und werden daraus ein kleines Prozeßreview basteln. Premiere im Forum: Ich hänge das an Heimo´s Fallreview dran.
Jens W. wurde ja in der ersten Instanz in Chemnitz wegen Mordes und Vergewaltigung zur lebenslanger Haft verurteilt. Auch die besondere Schwere wurde festgestellt.
Der BGH hob im Dezember 2001 das Urteil jedoch auf. Begründung: Es sei nicht zweifelsfrei bewiesen worden, dass der Angeklagte die damals 20-jährige Andrea im Regioexpress vorsätzlich getötet hat.
Im Februar 2002 wurde der Fall in Dresden neu verhandelt. Hier das Urteil erneut lebenslange Haft, aber nur wegen versuchten(!!!) Mordes in Tateinheit mit Vergewaltigung mit Todesfolge.
Egal, sagen jetzt vielleicht ein paar Leute. Eben nicht. Bei Mordversuch wird die besondere Schwere der Schuld idR nicht festgestellt, der Täter kann nach 15 Jahren frei kommen. Das hängt auch von den Vorstrafen des Angeklagten natürlich ab, die jetzt noch nicht im Blick habe.
Habe mir ein paar Seiten kopiert und werden daraus ein kleines Prozeßreview basteln. Premiere im Forum: Ich hänge das an Heimo´s Fallreview dran.
nach oben springen
#6
von bastian2410 • 1.678 Beiträge
Re[2]: FF3 vom 16.01.1998, Mord an Andrea D.
in Filmfälle 02.01.2011 23:49von bastian2410 • 1.678 Beiträge
Heimo>Prima.
Heimo>Für mich ist nun wichtig, ob es hier was Definitives gibt. Scheint ja der Fall zu sein.
jo, gibt es. Die Sächsische Zeitung hat den Fall mit ein paar Beiträgen begleitet. Leider sind die Seiten kostenpflichtig. Da die wirklich verdammt viel Knete haben wollen(5 € für 24h Internetrecherche) habe erstmal alle Artikel der Zeitung kopiert. Ich sortiere die Artikel in den nächsten Tagen etwas und fasse den Fall mit eigenem Material zusammen.
Hier aber vorab der Artikel der SZ- Zeitung bzgl. des Urteilspruchs der Zweitinstanz in Dresden vom 23.02.2002
Bis zuletzt keine Reue
Zugmord: Lebenslang für den Angeklagten
Von Lars Rischke
Kurz nach 11 Uhr stand das Urteil fest: Wegen versuchten Mordes und Vergewaltigung mit Todesfolge verurteilte das Dresdner Schwurgericht Jens W. am Freitag zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Der 30-Jährige verzog keine Miene. Bis zuletzt zeigte er keinerlei Reue. W. hat nach Überzeugung des Gerichts kurz vor Weihnachten 1995 im Regionalexpress Dresden - Zwickau die damals 20-jährige Andrea D. auf der Zugtoilette brutal vergewaltigt. Um Gegenwehr und Hilferufe zu unterbinden, fesselte und knebelte er sein Opfer. Danach, so der Vorsitzende Richter, würgte er sie mit Tötungsvorsatz und warf sie aus dem Zug, um die Tat zu verdecken. Laut Gerichtsmedizin hatte die Knebelung zum Tod durch Ersticken geführt. Das Gericht schloss nicht aus, dass das Opfer bereits tot war, als W. versuchte, es umzubringen. Die Kammer ging daher "nur" von einem Mordversuch aus. Das Chemnitzer Gericht hatte W. in einem ersten Prozess wegen Mordes verurteilt, war dabei aber offenbar nicht mit der gebotenen Sorgfalt vorgegangen. Der Bundesgerichtshof kassierte das Urteil und sprach von einer ungewöhnlich nachlässigen juristischen Aufarbeitung. Stotz deutete an, dass seine Kammer unter Einbeziehung einer weiteren Verurteilung wegen Raubmordes an einer schwangeren Frau in Karlsruhe eine besondere Schwere der Schuld bejaht hätte. Nach der umstrittenen Chemnitzer Entscheidung war dies nun allerdings nicht mehr möglich. Der Vater des Opfers sagte, seine Tochter könne ihm niemand wiedergeben. Er hoffe, dass der Angeklagte zum Schutz der Bevölkerung für immer im Gefängnis bleibe. Ob das Dresdner Urteil Bestand hat, ist unklar. Die Verteidigung prüft eine erneute Revision.
Anm. von mir: Das Urteil wurde 8 Monate später rechtskräftig. Fall damit auch juristisch geklärt!
Heimo>Für mich ist nun wichtig, ob es hier was Definitives gibt. Scheint ja der Fall zu sein.
jo, gibt es. Die Sächsische Zeitung hat den Fall mit ein paar Beiträgen begleitet. Leider sind die Seiten kostenpflichtig. Da die wirklich verdammt viel Knete haben wollen(5 € für 24h Internetrecherche) habe erstmal alle Artikel der Zeitung kopiert. Ich sortiere die Artikel in den nächsten Tagen etwas und fasse den Fall mit eigenem Material zusammen.
Hier aber vorab der Artikel der SZ- Zeitung bzgl. des Urteilspruchs der Zweitinstanz in Dresden vom 23.02.2002
Bis zuletzt keine Reue
Zugmord: Lebenslang für den Angeklagten
Von Lars Rischke
Kurz nach 11 Uhr stand das Urteil fest: Wegen versuchten Mordes und Vergewaltigung mit Todesfolge verurteilte das Dresdner Schwurgericht Jens W. am Freitag zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Der 30-Jährige verzog keine Miene. Bis zuletzt zeigte er keinerlei Reue. W. hat nach Überzeugung des Gerichts kurz vor Weihnachten 1995 im Regionalexpress Dresden - Zwickau die damals 20-jährige Andrea D. auf der Zugtoilette brutal vergewaltigt. Um Gegenwehr und Hilferufe zu unterbinden, fesselte und knebelte er sein Opfer. Danach, so der Vorsitzende Richter, würgte er sie mit Tötungsvorsatz und warf sie aus dem Zug, um die Tat zu verdecken. Laut Gerichtsmedizin hatte die Knebelung zum Tod durch Ersticken geführt. Das Gericht schloss nicht aus, dass das Opfer bereits tot war, als W. versuchte, es umzubringen. Die Kammer ging daher "nur" von einem Mordversuch aus. Das Chemnitzer Gericht hatte W. in einem ersten Prozess wegen Mordes verurteilt, war dabei aber offenbar nicht mit der gebotenen Sorgfalt vorgegangen. Der Bundesgerichtshof kassierte das Urteil und sprach von einer ungewöhnlich nachlässigen juristischen Aufarbeitung. Stotz deutete an, dass seine Kammer unter Einbeziehung einer weiteren Verurteilung wegen Raubmordes an einer schwangeren Frau in Karlsruhe eine besondere Schwere der Schuld bejaht hätte. Nach der umstrittenen Chemnitzer Entscheidung war dies nun allerdings nicht mehr möglich. Der Vater des Opfers sagte, seine Tochter könne ihm niemand wiedergeben. Er hoffe, dass der Angeklagte zum Schutz der Bevölkerung für immer im Gefängnis bleibe. Ob das Dresdner Urteil Bestand hat, ist unklar. Die Verteidigung prüft eine erneute Revision.
Anm. von mir: Das Urteil wurde 8 Monate später rechtskräftig. Fall damit auch juristisch geklärt!
nach oben springen
#7
von bastian2410 • 1.678 Beiträge
Re: FF3 vom 16.01.1998, Mord an Andrea D.
in Filmfälle 06.01.2011 22:49von bastian2410 • 1.678 Beiträge
Der Prozeßreview
Zugfahrt ohne Heimkehr/ Der grausame Mord im Sachsenexpress
16.01.1998 FF 3 (Kripo Chemnitz) Mord an Andrea Dittrich
Es ist einer der brutalsten Morde in der Geschichte von Aktenzeichen xy. Eine junge Frau freut sich auf ihren Freund und auf die Weihnachtstage mit ihrer Familie. Am 22. Dezember 1995 wird das Glück einer ganzen Familie zerstört. Andrea Dittrich wird auf dem Heimweg im Regionalexpress 4412 von Dresden nach Zwickau brutal überfallen, mit ihrem Gürtel gefesselt und geknebelt und auf grausame Art und Weise vergewaltigt. Dann passiert das Unfassbare: Der Täter wirft das Opfer danach zwischen Hohenstein-Ernstthal und Glauchau aus dem fahrenden Zug. Am nächsten Tag entdeckt ein Lokführer gegen 9.30 Uhr die Leiche des Mädchens an der Bahnstrecke unweit der Ortschaft Rüsdorf. Eine Tat von unvorstellbarer Brutalität, die als Konsequenz nur eine Strafe nach deutschem Recht zur Folge haben kann. Unvermögen der Richter und der Staatsanwaltschaft in der ersten Instanz verhindern dies jedoch.
Der Prozeßreview beginnt diesmal mit dem Ende der TV Ausstrahlung in Aktenzeichen xy und beschreibt den Weg der Ermittlungen der Kripo bis zur Festnahme des Täters. Danach folgt eine Zusammenfassung der Prozesse der ersten und zweiten Instanz. Das Tatgeschehen vor der Ausstrahlung fasst Heimo in seinem Fallreview zusammen, an das ich sehr gerne angeknöpft habe. Also quasi eine Co- Produktion.
(Hinweis: Ich habe mir angewöhnt, die richtigen Opfer- bzw. Täternamen zu verwenden. Das habe ich auch hier beibehalten. Aus Grit im Fallreview wird Andrea im Prozeßreview. Ich hoffe, dass geht in Ordnung)
Der Fallreview vom Heimo
33. Sachsenzug
Tatzeit: 22. Dezember 1995
Tatort: Regionalexpress/Bahngleise zwischen Chemnitz und Glauchau
Zuständig: Kripo Chemnitz
XY-Ausstrahlung: 16. Januar 1998
Der Fall:
Grit W. (20) arbeitet als Röntgenassistentin in einer Dresdener Rehabilitationsklinik. Weil ihre Arbeitstelle ungefähr 110 Kilometer von ihrem Heimatort Crimmitschau entfernt liegt, bewohnt sie ein Zimmer des Schwesternwohnheims der Klinik. Am Wochenende oder über Feiertage fährt sie gelegentlich nach Hause zu ihren Eltern und zu ihrem Freund, der auch dort lebt. Für den Weg nach Crimmitschau, der quer durch das Bundesland Sachsen führt, nutzt sie in der Regel den Schienenverkehr.
Am 22. Dezember 1995 absolviert sie ihren letzten Arbeitstag vor dem Weihnachtsfest. Danach will sie den Regionalexpress 4412 Dresden – Zwickau nehmen, um nach Hause zu fahren. Genau um 20.36 Uhr, bei planmäßiger Ankunft des Zuges am Bahnhof Glauchau, ist sie mit ihrem Freund verabredet, der sie am Bahnsteig abholen möchte. Vereinbarungsgemäß wird er dort an der Stelle warten, wo der erste Waggon bei der Zugankunft halten wird. Niemand der beiden kann jedoch zum Zeitpunkt der Verabredung ahnen, dass diese Abmachung eine sehr fatale Auswirkung haben wird, die ihr Glück zerstören wird. Folglich findet sich die junge Frau rechtzeitig an der Bahnhofstation Freital-Deuben ein und wartet auf den Zug, der in Dresden um 18.55 Uhr gestartet ist.
In dem ersten Waggon befinden sich seit der Abfahrt aus der sächsischen Landeshauptstadt zwei Personen: Eine Geschäftsfrau sowie ein Mann im Alter von 25 bis 30 Jahren. Zunächst setzt er sich im leeren Waggon so hin, dass er sie ausgiebig beobachten kann. Mehrfach macht er sich danach durch rüpelhafte Verhaltensweisen bemerkbar. Der Mann scheint sich an ihrer Anwesenheit zu erregen und verärgert sie mit obszönen Gesten. Sie fühlt sich in der Gegenwart des Fahrgasts verständlicherweise zunehmend unwohl.
An der Haltestelle Freital-Deuben plant sie, den Platz zu wechseln und ein belebteres Abteil aufzusuchen. Weil aber weitere Personen – darunter auch Grit – um 19.15 Uhr in den Waggon einsteigen, ändert sie ihren Entschluss, um doch auf dem alten Platz zu bleiben. Der Bahnschaffner, der überprüft, ob alle Nutzer des Zuges auch ein Ticket gelöst haben, stellt keine Auffälligkeiten in dem Wagen fest, als er die neuen Fahrgäste kontrolliert. Die Lage scheint sich beruhigt zu haben.
In Chemnitz steigt die Geschäftsfrau schließlich aus und entfernt sich somit aus der ihr unangenehmen Situation. Auch andere Personen müssen den Zug in diesem Ort verlassen, so dass sich Grit nach dem Stopp ab 20.07 Uhr alleine mit dem Fremden im Abteil befindet. Sie ist wahrscheinlich ein wenig eingenickt und wegen der Musik aus ihrem Walkman noch zusätzlich abgelenkt, weshalb ihr die Vorgänge im Waggon verborgen blieben. Auch von dem eigenartigen Betragen des Mannes dürfte sie bislang keine Notiz genommen haben.
Irgendwann in der Zeit bis 20.23 Uhr, das ist der Zeitpunkt, als der Zug die Haltestelle Hohenstein-Ernstthal erreicht, kommt es zum Übergriff des Fremden auf Grit. Er nutzt wahrscheinlich aus, dass sie von der nahenden Bedrohung nichts ahnt. So hat sie keine Chance, um Hilfe zu rufen oder sich zur Wehr zu setzen, als er auf sie zukommt und zunächst brutal niederschlägt. Anschließend knebelt er die junge Frau und fesselt sie mit ihrem Gürtel. Dann vergewaltigt er das wehrlose und vermutlich bewusstlose Opfer.
Der Schaffner bemerkt von dem tödlichen Kampf nichts, da er entgegen seiner Gewohnheiten, nicht in jedem Waggon erneut kontrolliert, ob weitere Personen zugestiegen sind. Dass er dadurch einen Mörder bei seinem brutalen Vorhaben begünstigt, weiß er nicht.
Vor dem Halt in Glauchau geschieht das Unfassbare. Der Mann wirft Grit aus dem Fenster, wo sie später bei einem Bahndamm in Rusdorf tot aufgefunden wird. Ihr Freund wartet somit vergeblich am Bahnhof zum verabredeten Zeitpunkt auf ihre Ankunft.
Später fällt der Mörder am Bahnhof Zwickau Passanten auf. An einem Verkaufsstand wird er nicht umgehend bedient, weshalb er sich lauthals über die „Benachteiligung“ beschwert. Seine Spur verliert sich auf dem Bahnhofsvorplatz, wo er das letzte Mal Zeugen bewusst auffällt.
Da der Täter von mehreren Personen gesehen wurde, verfügt die Polizei über eine der Einschätzung nach gute Personenbeschreibung. Demnach wird er als recht kräftiger Mann mit dunkelblonden Haaren beschrieben und er sei Träger eines Oberlippenbartes. Zudem stamme er wohl aus dem Raum Zwickau, wie sein Dialekt aus den Gesprächen mit der Geschäftsfrau sowie mit anderen Zeugen vermuten lässt.
Es wird keine Phantomzeichnung von ihm angefertigt, sondern ein Polizist wird so gekleidet, dass er dem Mörder in seiner Aufmachung ähneln soll. Aber auch diese ungewöhnliche Maßnahme führt nicht zu dem erhofften Erfolg – der Täter wird nicht identifiziert.
Die Ermittler suchen nach weiteren Zeugen, die möglicherweise am Bahnhof in Hohenstein-Ernstthal auffällige Beobachtungen zu den Geschehnissen in dem besagten Waggon gemacht haben. Damit mögen sich besonders Insassen des Interregio Dresden – Oberstdorf angesprochen fühlen. Dieser Zug stand auf einem Parallelgleis neben dem Regionalexpress 4412, als dieser planmäßig in dem Bahnhof hielt. Zudem hat der Täter den auffälligen Walkman des Opfers entwendet, so dass auch nach dem gegenwärtigen Inhaber gesucht wird.
Die Sendung
Butz Peters leitet den Fall mit der Diktion „eine ganz harte Nuss“ ein. Er verweist auf die bisher vergeblichen Bemühungen der Polizei, des Mörders habhaft zu werden.
Im Film wird die Zugfahrt mit den Entwicklungen chronologisch meisterhaft rekonstruiert. Detailliert werden die Geschehnisse in dem Waggon wiedergegeben, die sich zu der fraglichen Zeit zugetragen haben dürften. Wichtige Uhrzeiten und Ortsnamen werden gezielt eingeblendet. Von der polizeilichen Ermittlungstätigkeit ist im Film hingegen nichts zu sehen.
Die Hauptpersonen in der szenischen Darstellung sind im Zug der Täter und die Geschäftsfrau. Das spätere Opfer gerät am Schauplatz des Verbrechens eher zur Statistin, da sie kaum durch Handlungen im Abteil auffällt. Vor dem Betreten des Zuges wurde sie kurz an ihrem Arbeitsplatz vorgestellt. Eine genauere Vorstellung ihrer Person bedarf es nicht, da sie Zufallsopfer ist. Der Mörder kommt nicht aus ihrem Umfeld; es hätte auch ein anderes Opfer treffen können. Der Täter hingegen bietet so viele Verhaltensauffälligkeiten, so dass er die zentrale Figur im Film wird.
Die Abneigung und die Empörung der Geschäftsfrau wirken im Film ebenso authentisch wie einige Aktionen des fremden Mannes. Die Erregung des Täters erscheint allerdings manchmal übertrieben dargestellt. So entsteht beim Betrachter die Frage, weshalb sich überhaupt jemand länger in seiner Nähe aufhalten mag, wenn er sich doch recht auffällig und obszön gebärdet. Dennoch kann man davon ausgehen, dass die filmische Umsetzung dem tatsächlichen Verlauf dieser Zugfahrt nahezu entspricht.
Als Mörder und Opfer alleine im Abteil sitzen, erklingt das Schifferklavier. Damit ist klar, dass der negative Höhepunkt des Filmfalls bevorsteht. Der Täter greift die Frau an und die brutalen Handlungen werden angedeutet. Am meisten Ekel erregt sich, als der Mann das Opfer kaltblütig und gleichgültig aus dem Fenster auf die Gleise wirft.
Der Film endet mit dem Bild, dass Grits Freund am Bahnsteig wartet. Der Zuschauer weiß längst, dass seine Vorfreude bald von der Gewissheit, dass seine Freundin nicht mehr lebt, abgelöst wird, ohne dass diese Erkenntnis des jungen Mannes noch im Film gezeigt wird. Der Zuschauer fühlt mit, dass dieses Weihnachtsfest das traurigste für ihn und für einige andere Menschen sein wird.
Im Übrigen wird weder im Film noch im Studio erläutert, welches die exakte Todesursache von Grit ist. Es wäre denkbar, dass sie am Knebel erstickt ist oder erwürgt wurde. Eventuell wurde sie aber auch durch die Schläge schwer verletzt oder sie ist an den Gleisen erfroren. Möglicherweise wird die Ursache aus ermittlungstaktischen Gründen bewusst verheimlicht.
Nach der Sendung- Ermittlungen der Kripo und Festnahme des Täters (Teil 1)
Nach der Ausstrahlung in Aktenzeichen xy im Januar 1998 gehen ungewöhnlich viele Hinweise bei der Kripo ein. Ca. 100 Hinweise beziehen sich hauptsächlich auf das Phantombild und auf den Walkman des Opfers. Grund für die hohe Anzahl von Hinweisen ist die Tatsache, dass der Täter Zeugen im Zug bzw. später am Bahnhof durch sein Verhalten aufgefallen ist, die Polizei somit ein genaues Phantombild anfertigen konnte. Ein Kripobeamter stand für das veröffentliche Phantomfoto „Modell“, dessen Aussehen wurde dem mutmaßlichen Aussehen des Täters angepasst. Trotzdem verlaufen alle Hinweise ins Leere, die heiße Spur ist nicht dabei.
Die Polizeiarbeit steht auch 1998 nicht still. Die Polizei findet einen genetische Fingerabdruck auf einer Pizza, die der Täter in Dresden gekauft, aber im Zug nicht aufgegessen hatte. An den Resten findet die Kripo Speichelspuren. Insgesamt 400 Männer müssen sich einem DNA-Test unterziehen. Alle Tests verlaufen negativ. Auch alle unnatürlichen Todesfälle der vergangenen drei Jahre aus dem Umkreis werden überprüft, um die Möglichkeit auszuschließen, der Täter habe evt. Selbstmord begangen. Der Täter von Andrea ist jedoch nicht darunter.
Der „Zugmörder“ gehört inzwischen zu den zehn meistgesuchten Personen, nach denen auch das Bundeskriminalamt im Internet fahndet. Auch weitere TV- Fahndungen folgen. Die MDR- Sendung „Kripo- Live“ berichtet sehr ausführlich über den Mordfall. Bereits vor der Ausstrahlung in Aktenzeichen xy befasst sich „Fahndungsakte“ in SAT 1 mit dem Mord im Regionalexpress. Auch hier führen- wieder zahlreiche Hinweise- nicht auf die heiße Spur.
Ein sogenanntes Täterprofil wird erstellt. Beiden Psychologen, die Täterprofile des mutmaßlichen Mörders anfertigen, gehen von einem „unauffälligen Bürger“ aus. Ihrer Meinung nach komme auch ein Uniformträger in Frage, ein Postbote, Polizist, Feuerwehrmann oder Krankenwagenfahrer, bei dem trotz äußerlicher Ähnlichkeit einfach keiner auf die Idee komme, daß er eine junge Frau auf dem Gewissen hat. Dieses Täterprofil wird sich später als falsch herausstellen.
Nach drei Jahren, Ende Dezember 1998, werden die Ermittlungen im Fall Andrea Dittrich eingestellt. 400 Personen wurden überprüft, 4000 Hinweisen nachgegangen. 77 dicke Ordner füllt die Ermittlungsakte inzwischen, jedoch enthalten sie keine Hinweise auf den Täter.
Im Mai 1999 kommt noch mal Bewegung in den Fall, als die Polizei einen anonymen Brief erhält. Der Verfasser sehe einen Zusammenhang zwischen den Mord an Andrea Dittrich und einer Vergewaltigung in Plauen. Ein solcher Zusammenhang bestätigt sich jedoch nicht.
Dann auf den Tag genau 4 Jahre nach der Tat erhält die Chemnitzer Mordkommission eine Mitteilung vom Bundeskriminalamt aus Wiesbaden. Zur DNA-Spur des Zug-Mordes gibt es eine identifizierte Person, die in der Datenbank des BKA gespeichert ist. Im BKA Wiesbaden wird in jener Zeit (1998/99) seit Monaten die bundesweite Datenbank der sogenannten genetischen Fingerabdrücke aufgebaut. In der Datei gespeichert sind DNA-Spuren ungeklärter Kriminalfälle und die genetischen Fingerabdrücke verurteilter Sexualtäter und anderer Schwerverbrecher. Grund für die schnelle Vergrößerung der Datenbank war die Überführung des Kindermörders Ronny Rieken Ostern 1998. Dies führte zur öffentlichen und rechtlichen Akzeptanz dieser Methode.
Das DNA Profil passt auf Jens W., 28 Jahre alt und Gleisbauer aus Crimmitschau. Seit April 1996 sitzt Jens W. eine lebenslange Freiheitsstrafe in der JVA Bruchsal ab. Im Februar 1996 hatte er zusammen mit einem Freund die schwangere Französin Adriane T., eine Prostituierte, brutal zu Tode getreten hat. Tatmotiv: Die Täter wollten das Auto des Opfers. Nur acht Wochen nachdem er in Sachsen die Röntgenassistentin Andrea Dittrich getötet hatte. In der Haft gibt Jens W. freiwillig eine Speichelprobe für die DNA-Verbrecherdatei ab. Beim Routine-Abgleich seiner Speichelprobe mit den einliegenden DNA-Spuren ergibt sich der überraschende Treffer mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu 31 Millionen.
Jens W. wird danach von Bruchsal nach Chemnitz gebracht und vernommen. Er gesteht in einen der ersten Vernehmungen, Andrea Dittrich zwei Tage vor Weihnachten getötet und aus dem Zuge geworfen zu haben. An diesem Tag, am 22.12., wird er nach einer Gefängnisstrafe von 50 Tagen wegen Diebstahls aus der Haftanstalt Ückermünde entlassen. Eigentlich wäre der Entlassungstermin erst der 26. Dezember gewesen. Weil die Justiz an den Weihnachtsfeiertagen ihre Sträflinge nicht entlässt, öffnen sich für ihn die Gefängnistore schon am 22. Dezember. An jenen Tag weiß er dann nicht so recht wohin. Bei einer Ex-Freundin in Stralsund bekommt er lediglich schnellen Sex, aber kein Dach über den Kopf. Er hofft, dass ihn seine Mutter in Zwickau aufnimmt. .In Dresden nimmt er den Regionalexpress 4412, der gegen 18.55 Uhr nach Chemnitz abfährt. Am Hauptbahnhof hatte er sich vorher noch mit Bier, Pizza und Zigaretten eingedeckt. In Freital-Deuben steigt gegen 19.05 Uhr Andrea Dittrich in den gleichen Wagen zu. Ab Hohenstein-Ernstthal sind sie allein im Waggon. Er baggert das Mädchen an und fällt schließlich in der Zugtoilette über sie her, Minuten vor ihrem Ziel. Dann habe er sie getötet, nachdem das Opfer gedroht hatte, wegen der Vergewaltigung zur Polizei zu gehen. Er habe sie gewürgt, bis ihr Körper schlaff war. Nachdem sich die junge Frau nicht mehr gerührt habe und er Angst vor einer Entdeckung hatte, habe er sie aus dem Toilettenfenster geworfen Die Vergewaltigung streitet er von Anfang ab. Es ist die letzte Aussage, die Jens W. macht. Später vor Gericht wird er die Aussage verweigern.
Wer ist dieser Jens W.? Wie kann ein Mensch solch eine schreckliche Tat verüben? Er erlebt die deutsche Wiedervereinigung wegen versuchter Republikflucht in einer DDR-Jugendhaftanstalt. Danach sucht er sein Glück im Westen, findet es aber nicht und landet stattdessen schließlich im Milieu der Zuhälter und Türsteher. Eine Ausbildung als Fallschirmjäger und Einzelkämpfer bei der Bundeswehr haben Jens W. auch zu einem harten Mann gemacht, vielleicht gerade weil er als Kind selbst Opfer sexueller Übergriffe seines Vaters geworden war. Immer wieder gerät W. mit dem Gesetz in Konflikt. Diebstahl, Körperverletzung, aber kein Eintrag wegen Vergewaltigung.
Nach der Tat setzt sich Jens W. unentdeckt ins Milieu nach Karlsruhe ab. Während in Sachsen eine riesige Fahndung anläuft, begeht Jens W. bereits sieben Wochen später mit einem Komplizen den nächsten Mord: Brutal treten sie die schwangere Prostituierte Adriana T. in einer abgelegenen Straße in Karlsruhe zu Tode, werden wenig später geschnappt und im Oktober 1996 von Schwurgericht in Karlsruhe zu lebenslanger Haft verurteilt. Während die Chemnitzer Polizei verzweifelt nach Andreas Mörder fahndet, sitzt Jens W. in Bruchsal hinter Gittern, fast vier Jahre lang. Ende 1999 gibt er freiwillig eine Speichelprobe zur Bestimmung seiner DNA ab. Die Wende im Mordfall Andrea Dittrich.
Im April 2000 erhebt die Staatsanwaltschaft Chemnitzer Anklage wegen Mordes in Tateinheit zu Vergewaltigung mit Todesfolge. Am 21.7.2000 wird der Prozeß in Chemnitz vor dem Schwurgericht eröffnet- und dauert sage und schreibe 6 Stunden. Es ist wohl der kürzeste Mordprozess der Nachkriegszeit. In 70% der Mordfälle dauert die Vorstellung der Prozessbeteiligten, die Angaben des Angeklagten zur Person und die Anklageverlesung länger. Gut ein Jahr später wird der BGH das Urteil aufheben und dieses den Chemnitzer Richtern geradezu um die Ohren schleudern. Die Richter vergessen in der schriftlichen Urteilsbegründung die Verhängung der besonderen Schwere der Tat und die Anklage vergisst in Revision zu gehen.
Der Skandalprozess dann im Laufe der Nacht bzw. evt. morgen.
Zugfahrt ohne Heimkehr/ Der grausame Mord im Sachsenexpress
16.01.1998 FF 3 (Kripo Chemnitz) Mord an Andrea Dittrich
Es ist einer der brutalsten Morde in der Geschichte von Aktenzeichen xy. Eine junge Frau freut sich auf ihren Freund und auf die Weihnachtstage mit ihrer Familie. Am 22. Dezember 1995 wird das Glück einer ganzen Familie zerstört. Andrea Dittrich wird auf dem Heimweg im Regionalexpress 4412 von Dresden nach Zwickau brutal überfallen, mit ihrem Gürtel gefesselt und geknebelt und auf grausame Art und Weise vergewaltigt. Dann passiert das Unfassbare: Der Täter wirft das Opfer danach zwischen Hohenstein-Ernstthal und Glauchau aus dem fahrenden Zug. Am nächsten Tag entdeckt ein Lokführer gegen 9.30 Uhr die Leiche des Mädchens an der Bahnstrecke unweit der Ortschaft Rüsdorf. Eine Tat von unvorstellbarer Brutalität, die als Konsequenz nur eine Strafe nach deutschem Recht zur Folge haben kann. Unvermögen der Richter und der Staatsanwaltschaft in der ersten Instanz verhindern dies jedoch.
Der Prozeßreview beginnt diesmal mit dem Ende der TV Ausstrahlung in Aktenzeichen xy und beschreibt den Weg der Ermittlungen der Kripo bis zur Festnahme des Täters. Danach folgt eine Zusammenfassung der Prozesse der ersten und zweiten Instanz. Das Tatgeschehen vor der Ausstrahlung fasst Heimo in seinem Fallreview zusammen, an das ich sehr gerne angeknöpft habe. Also quasi eine Co- Produktion.
(Hinweis: Ich habe mir angewöhnt, die richtigen Opfer- bzw. Täternamen zu verwenden. Das habe ich auch hier beibehalten. Aus Grit im Fallreview wird Andrea im Prozeßreview. Ich hoffe, dass geht in Ordnung)
Der Fallreview vom Heimo
33. Sachsenzug
Tatzeit: 22. Dezember 1995
Tatort: Regionalexpress/Bahngleise zwischen Chemnitz und Glauchau
Zuständig: Kripo Chemnitz
XY-Ausstrahlung: 16. Januar 1998
Der Fall:
Grit W. (20) arbeitet als Röntgenassistentin in einer Dresdener Rehabilitationsklinik. Weil ihre Arbeitstelle ungefähr 110 Kilometer von ihrem Heimatort Crimmitschau entfernt liegt, bewohnt sie ein Zimmer des Schwesternwohnheims der Klinik. Am Wochenende oder über Feiertage fährt sie gelegentlich nach Hause zu ihren Eltern und zu ihrem Freund, der auch dort lebt. Für den Weg nach Crimmitschau, der quer durch das Bundesland Sachsen führt, nutzt sie in der Regel den Schienenverkehr.
Am 22. Dezember 1995 absolviert sie ihren letzten Arbeitstag vor dem Weihnachtsfest. Danach will sie den Regionalexpress 4412 Dresden – Zwickau nehmen, um nach Hause zu fahren. Genau um 20.36 Uhr, bei planmäßiger Ankunft des Zuges am Bahnhof Glauchau, ist sie mit ihrem Freund verabredet, der sie am Bahnsteig abholen möchte. Vereinbarungsgemäß wird er dort an der Stelle warten, wo der erste Waggon bei der Zugankunft halten wird. Niemand der beiden kann jedoch zum Zeitpunkt der Verabredung ahnen, dass diese Abmachung eine sehr fatale Auswirkung haben wird, die ihr Glück zerstören wird. Folglich findet sich die junge Frau rechtzeitig an der Bahnhofstation Freital-Deuben ein und wartet auf den Zug, der in Dresden um 18.55 Uhr gestartet ist.
In dem ersten Waggon befinden sich seit der Abfahrt aus der sächsischen Landeshauptstadt zwei Personen: Eine Geschäftsfrau sowie ein Mann im Alter von 25 bis 30 Jahren. Zunächst setzt er sich im leeren Waggon so hin, dass er sie ausgiebig beobachten kann. Mehrfach macht er sich danach durch rüpelhafte Verhaltensweisen bemerkbar. Der Mann scheint sich an ihrer Anwesenheit zu erregen und verärgert sie mit obszönen Gesten. Sie fühlt sich in der Gegenwart des Fahrgasts verständlicherweise zunehmend unwohl.
An der Haltestelle Freital-Deuben plant sie, den Platz zu wechseln und ein belebteres Abteil aufzusuchen. Weil aber weitere Personen – darunter auch Grit – um 19.15 Uhr in den Waggon einsteigen, ändert sie ihren Entschluss, um doch auf dem alten Platz zu bleiben. Der Bahnschaffner, der überprüft, ob alle Nutzer des Zuges auch ein Ticket gelöst haben, stellt keine Auffälligkeiten in dem Wagen fest, als er die neuen Fahrgäste kontrolliert. Die Lage scheint sich beruhigt zu haben.
In Chemnitz steigt die Geschäftsfrau schließlich aus und entfernt sich somit aus der ihr unangenehmen Situation. Auch andere Personen müssen den Zug in diesem Ort verlassen, so dass sich Grit nach dem Stopp ab 20.07 Uhr alleine mit dem Fremden im Abteil befindet. Sie ist wahrscheinlich ein wenig eingenickt und wegen der Musik aus ihrem Walkman noch zusätzlich abgelenkt, weshalb ihr die Vorgänge im Waggon verborgen blieben. Auch von dem eigenartigen Betragen des Mannes dürfte sie bislang keine Notiz genommen haben.
Irgendwann in der Zeit bis 20.23 Uhr, das ist der Zeitpunkt, als der Zug die Haltestelle Hohenstein-Ernstthal erreicht, kommt es zum Übergriff des Fremden auf Grit. Er nutzt wahrscheinlich aus, dass sie von der nahenden Bedrohung nichts ahnt. So hat sie keine Chance, um Hilfe zu rufen oder sich zur Wehr zu setzen, als er auf sie zukommt und zunächst brutal niederschlägt. Anschließend knebelt er die junge Frau und fesselt sie mit ihrem Gürtel. Dann vergewaltigt er das wehrlose und vermutlich bewusstlose Opfer.
Der Schaffner bemerkt von dem tödlichen Kampf nichts, da er entgegen seiner Gewohnheiten, nicht in jedem Waggon erneut kontrolliert, ob weitere Personen zugestiegen sind. Dass er dadurch einen Mörder bei seinem brutalen Vorhaben begünstigt, weiß er nicht.
Vor dem Halt in Glauchau geschieht das Unfassbare. Der Mann wirft Grit aus dem Fenster, wo sie später bei einem Bahndamm in Rusdorf tot aufgefunden wird. Ihr Freund wartet somit vergeblich am Bahnhof zum verabredeten Zeitpunkt auf ihre Ankunft.
Später fällt der Mörder am Bahnhof Zwickau Passanten auf. An einem Verkaufsstand wird er nicht umgehend bedient, weshalb er sich lauthals über die „Benachteiligung“ beschwert. Seine Spur verliert sich auf dem Bahnhofsvorplatz, wo er das letzte Mal Zeugen bewusst auffällt.
Da der Täter von mehreren Personen gesehen wurde, verfügt die Polizei über eine der Einschätzung nach gute Personenbeschreibung. Demnach wird er als recht kräftiger Mann mit dunkelblonden Haaren beschrieben und er sei Träger eines Oberlippenbartes. Zudem stamme er wohl aus dem Raum Zwickau, wie sein Dialekt aus den Gesprächen mit der Geschäftsfrau sowie mit anderen Zeugen vermuten lässt.
Es wird keine Phantomzeichnung von ihm angefertigt, sondern ein Polizist wird so gekleidet, dass er dem Mörder in seiner Aufmachung ähneln soll. Aber auch diese ungewöhnliche Maßnahme führt nicht zu dem erhofften Erfolg – der Täter wird nicht identifiziert.
Die Ermittler suchen nach weiteren Zeugen, die möglicherweise am Bahnhof in Hohenstein-Ernstthal auffällige Beobachtungen zu den Geschehnissen in dem besagten Waggon gemacht haben. Damit mögen sich besonders Insassen des Interregio Dresden – Oberstdorf angesprochen fühlen. Dieser Zug stand auf einem Parallelgleis neben dem Regionalexpress 4412, als dieser planmäßig in dem Bahnhof hielt. Zudem hat der Täter den auffälligen Walkman des Opfers entwendet, so dass auch nach dem gegenwärtigen Inhaber gesucht wird.
Die Sendung
Butz Peters leitet den Fall mit der Diktion „eine ganz harte Nuss“ ein. Er verweist auf die bisher vergeblichen Bemühungen der Polizei, des Mörders habhaft zu werden.
Im Film wird die Zugfahrt mit den Entwicklungen chronologisch meisterhaft rekonstruiert. Detailliert werden die Geschehnisse in dem Waggon wiedergegeben, die sich zu der fraglichen Zeit zugetragen haben dürften. Wichtige Uhrzeiten und Ortsnamen werden gezielt eingeblendet. Von der polizeilichen Ermittlungstätigkeit ist im Film hingegen nichts zu sehen.
Die Hauptpersonen in der szenischen Darstellung sind im Zug der Täter und die Geschäftsfrau. Das spätere Opfer gerät am Schauplatz des Verbrechens eher zur Statistin, da sie kaum durch Handlungen im Abteil auffällt. Vor dem Betreten des Zuges wurde sie kurz an ihrem Arbeitsplatz vorgestellt. Eine genauere Vorstellung ihrer Person bedarf es nicht, da sie Zufallsopfer ist. Der Mörder kommt nicht aus ihrem Umfeld; es hätte auch ein anderes Opfer treffen können. Der Täter hingegen bietet so viele Verhaltensauffälligkeiten, so dass er die zentrale Figur im Film wird.
Die Abneigung und die Empörung der Geschäftsfrau wirken im Film ebenso authentisch wie einige Aktionen des fremden Mannes. Die Erregung des Täters erscheint allerdings manchmal übertrieben dargestellt. So entsteht beim Betrachter die Frage, weshalb sich überhaupt jemand länger in seiner Nähe aufhalten mag, wenn er sich doch recht auffällig und obszön gebärdet. Dennoch kann man davon ausgehen, dass die filmische Umsetzung dem tatsächlichen Verlauf dieser Zugfahrt nahezu entspricht.
Als Mörder und Opfer alleine im Abteil sitzen, erklingt das Schifferklavier. Damit ist klar, dass der negative Höhepunkt des Filmfalls bevorsteht. Der Täter greift die Frau an und die brutalen Handlungen werden angedeutet. Am meisten Ekel erregt sich, als der Mann das Opfer kaltblütig und gleichgültig aus dem Fenster auf die Gleise wirft.
Der Film endet mit dem Bild, dass Grits Freund am Bahnsteig wartet. Der Zuschauer weiß längst, dass seine Vorfreude bald von der Gewissheit, dass seine Freundin nicht mehr lebt, abgelöst wird, ohne dass diese Erkenntnis des jungen Mannes noch im Film gezeigt wird. Der Zuschauer fühlt mit, dass dieses Weihnachtsfest das traurigste für ihn und für einige andere Menschen sein wird.
Im Übrigen wird weder im Film noch im Studio erläutert, welches die exakte Todesursache von Grit ist. Es wäre denkbar, dass sie am Knebel erstickt ist oder erwürgt wurde. Eventuell wurde sie aber auch durch die Schläge schwer verletzt oder sie ist an den Gleisen erfroren. Möglicherweise wird die Ursache aus ermittlungstaktischen Gründen bewusst verheimlicht.
Nach der Sendung- Ermittlungen der Kripo und Festnahme des Täters (Teil 1)
Nach der Ausstrahlung in Aktenzeichen xy im Januar 1998 gehen ungewöhnlich viele Hinweise bei der Kripo ein. Ca. 100 Hinweise beziehen sich hauptsächlich auf das Phantombild und auf den Walkman des Opfers. Grund für die hohe Anzahl von Hinweisen ist die Tatsache, dass der Täter Zeugen im Zug bzw. später am Bahnhof durch sein Verhalten aufgefallen ist, die Polizei somit ein genaues Phantombild anfertigen konnte. Ein Kripobeamter stand für das veröffentliche Phantomfoto „Modell“, dessen Aussehen wurde dem mutmaßlichen Aussehen des Täters angepasst. Trotzdem verlaufen alle Hinweise ins Leere, die heiße Spur ist nicht dabei.
Die Polizeiarbeit steht auch 1998 nicht still. Die Polizei findet einen genetische Fingerabdruck auf einer Pizza, die der Täter in Dresden gekauft, aber im Zug nicht aufgegessen hatte. An den Resten findet die Kripo Speichelspuren. Insgesamt 400 Männer müssen sich einem DNA-Test unterziehen. Alle Tests verlaufen negativ. Auch alle unnatürlichen Todesfälle der vergangenen drei Jahre aus dem Umkreis werden überprüft, um die Möglichkeit auszuschließen, der Täter habe evt. Selbstmord begangen. Der Täter von Andrea ist jedoch nicht darunter.
Der „Zugmörder“ gehört inzwischen zu den zehn meistgesuchten Personen, nach denen auch das Bundeskriminalamt im Internet fahndet. Auch weitere TV- Fahndungen folgen. Die MDR- Sendung „Kripo- Live“ berichtet sehr ausführlich über den Mordfall. Bereits vor der Ausstrahlung in Aktenzeichen xy befasst sich „Fahndungsakte“ in SAT 1 mit dem Mord im Regionalexpress. Auch hier führen- wieder zahlreiche Hinweise- nicht auf die heiße Spur.
Ein sogenanntes Täterprofil wird erstellt. Beiden Psychologen, die Täterprofile des mutmaßlichen Mörders anfertigen, gehen von einem „unauffälligen Bürger“ aus. Ihrer Meinung nach komme auch ein Uniformträger in Frage, ein Postbote, Polizist, Feuerwehrmann oder Krankenwagenfahrer, bei dem trotz äußerlicher Ähnlichkeit einfach keiner auf die Idee komme, daß er eine junge Frau auf dem Gewissen hat. Dieses Täterprofil wird sich später als falsch herausstellen.
Nach drei Jahren, Ende Dezember 1998, werden die Ermittlungen im Fall Andrea Dittrich eingestellt. 400 Personen wurden überprüft, 4000 Hinweisen nachgegangen. 77 dicke Ordner füllt die Ermittlungsakte inzwischen, jedoch enthalten sie keine Hinweise auf den Täter.
Im Mai 1999 kommt noch mal Bewegung in den Fall, als die Polizei einen anonymen Brief erhält. Der Verfasser sehe einen Zusammenhang zwischen den Mord an Andrea Dittrich und einer Vergewaltigung in Plauen. Ein solcher Zusammenhang bestätigt sich jedoch nicht.
Dann auf den Tag genau 4 Jahre nach der Tat erhält die Chemnitzer Mordkommission eine Mitteilung vom Bundeskriminalamt aus Wiesbaden. Zur DNA-Spur des Zug-Mordes gibt es eine identifizierte Person, die in der Datenbank des BKA gespeichert ist. Im BKA Wiesbaden wird in jener Zeit (1998/99) seit Monaten die bundesweite Datenbank der sogenannten genetischen Fingerabdrücke aufgebaut. In der Datei gespeichert sind DNA-Spuren ungeklärter Kriminalfälle und die genetischen Fingerabdrücke verurteilter Sexualtäter und anderer Schwerverbrecher. Grund für die schnelle Vergrößerung der Datenbank war die Überführung des Kindermörders Ronny Rieken Ostern 1998. Dies führte zur öffentlichen und rechtlichen Akzeptanz dieser Methode.
Das DNA Profil passt auf Jens W., 28 Jahre alt und Gleisbauer aus Crimmitschau. Seit April 1996 sitzt Jens W. eine lebenslange Freiheitsstrafe in der JVA Bruchsal ab. Im Februar 1996 hatte er zusammen mit einem Freund die schwangere Französin Adriane T., eine Prostituierte, brutal zu Tode getreten hat. Tatmotiv: Die Täter wollten das Auto des Opfers. Nur acht Wochen nachdem er in Sachsen die Röntgenassistentin Andrea Dittrich getötet hatte. In der Haft gibt Jens W. freiwillig eine Speichelprobe für die DNA-Verbrecherdatei ab. Beim Routine-Abgleich seiner Speichelprobe mit den einliegenden DNA-Spuren ergibt sich der überraschende Treffer mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu 31 Millionen.
Jens W. wird danach von Bruchsal nach Chemnitz gebracht und vernommen. Er gesteht in einen der ersten Vernehmungen, Andrea Dittrich zwei Tage vor Weihnachten getötet und aus dem Zuge geworfen zu haben. An diesem Tag, am 22.12., wird er nach einer Gefängnisstrafe von 50 Tagen wegen Diebstahls aus der Haftanstalt Ückermünde entlassen. Eigentlich wäre der Entlassungstermin erst der 26. Dezember gewesen. Weil die Justiz an den Weihnachtsfeiertagen ihre Sträflinge nicht entlässt, öffnen sich für ihn die Gefängnistore schon am 22. Dezember. An jenen Tag weiß er dann nicht so recht wohin. Bei einer Ex-Freundin in Stralsund bekommt er lediglich schnellen Sex, aber kein Dach über den Kopf. Er hofft, dass ihn seine Mutter in Zwickau aufnimmt. .In Dresden nimmt er den Regionalexpress 4412, der gegen 18.55 Uhr nach Chemnitz abfährt. Am Hauptbahnhof hatte er sich vorher noch mit Bier, Pizza und Zigaretten eingedeckt. In Freital-Deuben steigt gegen 19.05 Uhr Andrea Dittrich in den gleichen Wagen zu. Ab Hohenstein-Ernstthal sind sie allein im Waggon. Er baggert das Mädchen an und fällt schließlich in der Zugtoilette über sie her, Minuten vor ihrem Ziel. Dann habe er sie getötet, nachdem das Opfer gedroht hatte, wegen der Vergewaltigung zur Polizei zu gehen. Er habe sie gewürgt, bis ihr Körper schlaff war. Nachdem sich die junge Frau nicht mehr gerührt habe und er Angst vor einer Entdeckung hatte, habe er sie aus dem Toilettenfenster geworfen Die Vergewaltigung streitet er von Anfang ab. Es ist die letzte Aussage, die Jens W. macht. Später vor Gericht wird er die Aussage verweigern.
Wer ist dieser Jens W.? Wie kann ein Mensch solch eine schreckliche Tat verüben? Er erlebt die deutsche Wiedervereinigung wegen versuchter Republikflucht in einer DDR-Jugendhaftanstalt. Danach sucht er sein Glück im Westen, findet es aber nicht und landet stattdessen schließlich im Milieu der Zuhälter und Türsteher. Eine Ausbildung als Fallschirmjäger und Einzelkämpfer bei der Bundeswehr haben Jens W. auch zu einem harten Mann gemacht, vielleicht gerade weil er als Kind selbst Opfer sexueller Übergriffe seines Vaters geworden war. Immer wieder gerät W. mit dem Gesetz in Konflikt. Diebstahl, Körperverletzung, aber kein Eintrag wegen Vergewaltigung.
Nach der Tat setzt sich Jens W. unentdeckt ins Milieu nach Karlsruhe ab. Während in Sachsen eine riesige Fahndung anläuft, begeht Jens W. bereits sieben Wochen später mit einem Komplizen den nächsten Mord: Brutal treten sie die schwangere Prostituierte Adriana T. in einer abgelegenen Straße in Karlsruhe zu Tode, werden wenig später geschnappt und im Oktober 1996 von Schwurgericht in Karlsruhe zu lebenslanger Haft verurteilt. Während die Chemnitzer Polizei verzweifelt nach Andreas Mörder fahndet, sitzt Jens W. in Bruchsal hinter Gittern, fast vier Jahre lang. Ende 1999 gibt er freiwillig eine Speichelprobe zur Bestimmung seiner DNA ab. Die Wende im Mordfall Andrea Dittrich.
Im April 2000 erhebt die Staatsanwaltschaft Chemnitzer Anklage wegen Mordes in Tateinheit zu Vergewaltigung mit Todesfolge. Am 21.7.2000 wird der Prozeß in Chemnitz vor dem Schwurgericht eröffnet- und dauert sage und schreibe 6 Stunden. Es ist wohl der kürzeste Mordprozess der Nachkriegszeit. In 70% der Mordfälle dauert die Vorstellung der Prozessbeteiligten, die Angaben des Angeklagten zur Person und die Anklageverlesung länger. Gut ein Jahr später wird der BGH das Urteil aufheben und dieses den Chemnitzer Richtern geradezu um die Ohren schleudern. Die Richter vergessen in der schriftlichen Urteilsbegründung die Verhängung der besonderen Schwere der Tat und die Anklage vergisst in Revision zu gehen.
Der Skandalprozess dann im Laufe der Nacht bzw. evt. morgen.
nach oben springen
#8
von bastian2410 • 1.678 Beiträge
Re: 16.01.1998 FF3 (Kripo Chemnitz) "Sachsen-Zug" (Mordfall Andrea Dittrich)
in Filmfälle 09.01.2011 01:30von bastian2410 • 1.678 Beiträge
Der Prozeßreview Teil 2
Die Verhandlung in Chemnitz und Dresden
Am 21.07.2000 wird vor der Schwurgerichtskammer in Dresden der Prozeß wegen Mordes gegen Jens W. eröffnet.
Die Anklageschrift:
An jenem Morgen wird der 24-jährige Jens W. nach fünfzig Tagen Haft aus dem Gefängnis Ückermünde entlassen, besucht eine Bekannte, schläft mit ihr und macht sich dann per Bahn auf den Weg zu seiner Mutter nach Zwickau. In Dresden nimmt er den RE 4412, der gegen 18.55 Uhr nach Chemnitz abfährt. In Freital-Deuben steigt gegen 19.05 Uhr Andrea Dittrich in den gleichen Wagen zu. Sie will zu ihrem Freund und den Eltern nach Glauchau. Vermutlich ab Hohenstein-Ernstthal ist sie allein im Waggon mit dem Mann, der eine schwarze Bomberjacke und schwarze Jeans trägt, Pizza kaut und Büchsenbier trinkt Im Zug belästigt Jens W. Andrea Dittrich und fällt schließlich ohne Vorwarnung über sie her. Er fesselt das Opfer mit ihrem eigenem Gürtel und steckt ihr danach den Slip als Knebelwerkzeug in den Rachen. Er zerrt das wehrlose Opfer in die Zugtoilette und vergewaltigt das Opfer. Nach der Tat zum Zweck der Verdeckung der Vergewaltigung wirft er Andrea Dittrich bei ca. Tempo 100 aus dem fahrenden Zug. Am nächsten Tag wird das blonde Mädchen beim Streckenkilometer 104 tot neben den Gleisen gefunden: Qualvoll erstickt an einem Knebel tief in ihrem Rachen, und brutal vergewaltigt. DNA Spuren werden im Waggon sichergestellt, sie deuten ganz klar auf W. als Täter hin. Aufgrund der vor der Polizei gemachten Angaben des Angeklagten erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Mordes an Andrea Dittrich.
Jens W. macht Angaben zur Person und verweigert die Aussage zum Anklagepunkt. W. war vor der Tat zweimal vorbestraft wegen Diebstahl und Körperverletzung. Er ist zwar auch wegen Republikflucht in der ehemaligen DDR verurteilt wurden, diese Vorstrafen werden jedoch nach der Wiedervereinigung aus dem Bundeszentralregister gestrichen. Nach der Tat wurde W. für einen Mord in Karlsruhe zur lebenslanger Haft verurteilt. Diese Strafe sitzt er in der JVA Bruchsal ab.
Das Gericht verzichtet auf Ladung der Kripobeamten, die W. in Karlsruhe und in Chemnitz vernommen haben. Die Richter wollen der Nebenklage bzw. den Angehörigen die schrecklichen Details der Tat nicht noch einmal zumuten. Stattdessen werden die Vernehmungsprotokolle vorgetragen. Der Angeklagte wurde zur Vernehmung von der JVA Bruchsal ins Polizeipräsidium nach Karlsruhe gebracht, um von Beamten der Kripo Chemnitz vernommen zu werden. Jens W. hatte die Tat sofort in der ersten Vernehmung kurz nach dem Treffer in der Datenbank gestanden und zwar noch in Karlsruhe. Danach schwieg er zu den Vorwürfen. Die Vergewaltigung hatte er in seinen Aussagen vehement bestritten. Jens W. gibt auf Nachfragen seitens des Gerichts bzw. der Anklage keine Antworten.
Auch das Gutachten der Gerichtsmedizin wird vorgetragen. Eine genaue Todesursache sei nicht festzustellen. Am wahrscheinlichsten sei ein Erstickungstod durch Knebelung mit dem Slip. Auch die genaue Todeszeit sei nicht feststellbar. Womöglich sei das Opfer bei der eigentlichen Tötungshandlung, sprich dem Würgen oder dem Hinauswerfen des Opfers aus dem Zug, bereits tot gewesen. Der Körper wies auf jeden Fall Würgemerkmale auf, ob diese post mortem zugefügt wurden, sei nicht feststellbar.
Das Gericht hatte im Vorfeld einen Gerichtspsychiater bestellt, um sich von der Psyche von W. ein Bild machen zu können. Die letzten Jahre vor der Wende seien für den Angeklagten nicht angenehm gewesen. Als Republikflüchtling sei er ein Mann ohne Rechte gewesen. Jens Ws. Erfahrungen mit Frauen stammen vorwiegend aus dem Rotlichtmilieu. Dort ist er als Zuhälter gelandet, nach dem es auf anderen Arbeitsstellen meist Ärger gab. In diesen Kreisen konnte er eine Art Macht über die Frauen ausüben. Diese Verhaltensweise ist auch Ergebnis der Tatsache, dass der Angeklagte als Kind selbst Opfer sexueller Übergriffe seines Vaters geworden war. Dass es Jens W. mit kaum jemanden und nirgendwo lange aushielt, ist nach der psychiatrischen Begutachtung einigermaßen erklärbar. Unzufrieden, leicht reizbar, aggressiv, unbeherrscht sei der Angeklagte Eine ich-orientierte Persönlichkeit fasst der Psychologe zusammen. Dass der Täter die Vergewaltigung leugnet, sei eine Schutzbehauptung, mit der er versucht, seine Tat zu verdrängen, urteilte der Gerichtspsychiater.
Durch Aussagen der Familie wird bekannt, dass Andrea an diesem Tag eigentlich gar nicht in diesem Zug sitzen sollte. Sie soll eigentlich in der Bavaria-Klinik in Kreischa am Heiligen Abend Dienst schieben. Vor allem ihrem Freund zuliebe will sie vorher für einen Tag nach Hause und besteigt am Abend wie immer in Freital-Deuben den Regionalexpress nach Zwickau. Um 20.36 Uhr soll der Zug in Glauchau ankommen, am Gleis war sie mit ihrem Freund verabredet. Doch sie steigt nicht aus. Vergeblich haben die Eltern an jenem Abend auf ihre Tochter gewartet. Am nächsten Tag macht sich der Vater nach Kreischa auf. Er sucht erfolglos. Auf dem Heimweg kommt der Anruf: Zur Polizei solle er kommen. Am Tag vor Heiligabend erfährt die Familie von Andreas schrecklichem Tod.
Am schlimmsten seien die Tage unmittelbar nach dem Verbrechen gewesen, erinnert sich der Vater. Damals fanden wir unter Andreas Bett die Weihnachtsgeschenke, die sie für die Familie besorgt hatte. Während der Fahndung warben wir um Hilfe. Nur so konnte schließlich die Belohnung für Hinweise auf den Täter auf 50 000 Mark erhöht werden. So ist es weniger die Trauer, die ihn dieser Tage bewegt. Vielmehr ist es Wut.
Die Zeugin Birgit E., eine Reisende an jenen Tag in diesem Waggon, sagt aus, dass ihr der Angeklagte schon vorher unangenehm aufgefallen sei. Er habe sich in ihre Nähe gesetzt und habe gestört. Eine unangenehme und komische Person.
Das Gericht verzichtet auf weitere Personen, wie zB. weitere Zeugen aus dem Waggon bzw. Zeugen am Bahnhof, denen der Angeklagte an einem Kiosk durch schlechtes Benehmen aufgefallen ist.
Die Plädoyers werden gehalten. Die Verteidigung stellt keinen Antrag, versucht jedoch den Mordvorwurf zu entkräften und verneint eine Vergewaltigung. Für diese Annahme bestehen keine Anhaltspunkte, somit könnte auch keine Verdeckungsabsicht vorliegen. Die Tat sei allenfalls als Totschlag einzustufen.
Die Anklage fordert eine Verurteilung wegen Mordes und somit eine lebenslange Haft. Die DNA Analyse und die Gutachten lassen keinen anderen Schluss zu. Der Angeklagte hatte nur wenige Stunden nach seiner Entlassung Angst, wieder ins Gefängnis zu kommen, aus dem Grund habe er das Opfer gewürgt. Durch dieses Würgen sei der Tod des Opfers auch eingetreten.
Nach nur einer Stunde Beratung spricht die Kammer das Urteil und verhängt eine lebenslange Freiheitsstrafe. Da der Angeklagte zum Prozeßzeitpunkt jedoch schon eine lebenslange Freiheitsstrafe absitzt, müssen die Richter eine sogenannte Gesamtstrafe aussprechen. Sie verurteilen Jens W. deshalb zur einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe für zweifachen Mord im besonders schweren Fall. Dieses Urteil beinhaltet somit auch die Verurteilung wegen Mordes an Adriane T. , für den Jens W. bereits in Karlsruhe verurteilt wurde. Eine anschließende Sicherheitsverwahrung spricht das Gericht nicht aus.
In der schriftlichen Urteilsbegründung versäumt die Kammer jedoch, die die besondere Schwere der Schuld des Angeklagten ausführlich zu begründen. Das Gericht hat in der schriftlichen Urteilsbegründung darzulegen, auf welchen Tatsachen der Urteilsspruch basiert. Ebenso ist natürlich zu begründen, warum die besondere Schwere der Schuld ausgesprochen wurde. Ansonsten gilt diese nicht als „nicht verhängt“
Die Verteidigung legt Revision beim BGH ein. Zuständig für die Revision ist der 5. Strafsenat. Dieser Senat hat seinen Sitz in Leipzig (nicht in Karlsruhe, dort sitzen die anderen 4 Strafsenate). Dem Strafsenat sind die Revisionen in Strafsachen für den Bezirk des Kammergerichts (Berlin) sowie für die Bezirke der Oberlandesgerichte Brandenburg, Braunschweig, Bremen, Dresden und Hamburg zugewiesen. Obwohl die Staatsanwaltschaft den Fehler der Kammer eigentlich erkennen muss, verzichtet sie auf eine Revision.
Im April 2001 hebt der BGH erwartungsgemäß das Urteil wegen schwerer Verfahrensmängel auf und verweist an die Schwurgerichtskammer nach Dresden. Der Senat rügt das Schwurgericht in Chemnitz und wirft den Richtern einer im Blick auf das Gewicht der Sache ganz ungewöhnlichen tatrichterlichen Nachlässigkeit vor. Dazu gehörte nach ihrer Auffassung
auch, dass die Richter im Interesse eines zügigen Verfahrens und im Sinne der Nebenkläger nur die Protokolle der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung verlasen, statt die
Polizeibeamten in den Zeugenstand zu rufen. In diesem Verhalten liegt ein Verstoß gegen das Unmittelbarkeitsprinzip vor. Eine Ausnahme von diesem Prinzip rechtfertige auch nicht den Willen der Richter, der Familie eventuell die qualvollen Details der grausamen Tat zu ersparen. Auch spricht der 5. Senat von der ungewöhnlich mangelhaften Sachbehandlung durch den Tatrichter. . Nach Ansicht des BGH war in Chemnitz der Tötungsvorsatz nicht ausreichend untersucht worden. So bestehen zwar keine Zweifel, dass Jens W. verantwortlich ist für den grausamen Tod von Andrea Dittrich. Doch für einen vorsätzlichen Mord findet der BGH im Urteil keine Belege. Auch hatte das Chemnitzer Schwurgericht eine besondere Schwere der Schuld zwar dem Grunde nach bejaht, dies im Urteilstenor aber nicht vermerkt. Somit fehlt im diesem Urteil die Anerkennung der besonderen Schwere der Tat. Das Urteil wird daher zur Neuverhandlung an die Schwurgerichtskammer nach Dresden verwiesen.
(ANM: Damit steht nach dieser Aufhebung des Urteils fest, dass das Gericht im Folgeprozess nicht die besondere Schwere der Schuld feststellen kann. Es gilt das sogenannte Verschlechterungsverbot. Unmittelbarkeitsprinzip, Verschlechterungsverbot etc. erkläre euch nach dem Review)
Im Februar 2002 wird in Dresden der neue Prozeß gegen Jens W. eröffnet. Diesmal wirft ihm die Anklage nur versuchten Mord und tateinheitlich Vergewaltigung mit Todesfolge vor. Die Anklageschrift ist nahezu unverändert, jedoch geht die Anklage in dubio pro reo davon aus, dass Andrea bereits zum Zeitpunkt der Tötungshandlung von W. tot war.
Auch in diesem Prozeß verweigert der Angeklagte die Aussage. Auch bzgl. Fragen zur Person macht W. keine Angaben.
Der Schwerpunkt liegt im zweiten Prozeß selbstverständlich in den Vorladungen der Kripobeamten, auf deren Aussagen im ersten Prozeß verzichtet wurde. Die Aussagen von Jens W. bei der Polizei wurden ja schon ausführlich (s.o) besprochen. Ein Kripobeamter aus Karlsruhe sagt als Zeuge aus, das der Angeklagte bei der ersten Vernehmung für ihn überraschend gestanden habe. Demnach habe er noch in Karlsruhe zugegeben, sein Opfer getötet zu haben, nachdem das Opfer gedroht hatte, wegen der Vergewaltigung zur Polizei zu gehen. "Ich würgte sie, bis ihr Körper schlaff war", habe er gesagt. In späteren Vernehmungen machte der Beschuldigte dagegen keine näheren Angaben mehr zum Tatgeschehen. Von Anfang an bestritt er zudem die Vergewaltigung. Zudem wird auch auf den Mord an der Prostituierten Adriane T. in Karlsruhe eingegangen. Das Opfer sei durch Tritte gegen Bauch und Kopf getötet wurden. Besonders schlimm, den das Opfer war zum Zeitpunkt des Angriffs schwanger. Der Angeklagte und sein Freund hätten auch gezielt auf den Bauch getreten. Beide Verbrechen wurden mit erheblicher Brutalität begangen. In der Haft hatte Jens W. freiwillig eine Speichelprobe für die DNA-Verbrecherdatei abgegeben. Diese wurde dann zum BKA zur Speicherung geschickt.
Leider lassen sich auch im zweiten Prozeß nicht die genauen Todesumstände klären. Gerade der genaue Todeszeitpunkt ist nicht zu bestimmen, da das Opfer auch erst nach 12 Stunden bei Minus- Temperaturen an den Bahngleisen gefunden wurde. Laut Gerichtsmedizin hatte die Knebelung höchstwahrscheinlich zum Tod durch Ersticken geführt. Das Gutachten schloss somit nicht aus, dass das Opfer bereits zum Zeitpunkt des Würgens durch W. tot war.
Auch sämtliche Zeugen aus dem ersten Prozess sagen erneut aus. Emotional ist natürlich die Aussage von Familienangehörigen. Der Vater sagt, seine Tochter habe einen festen Freund gehabt und sei glücklich gewesen. Scharfe Kritik übt er im Saal an der Arbeit des Chemnitzer Gerichts. Fehler hätten dazu geführt, dass nun nicht mehr die Höchststrafe ausgesprochen werden könne.
Auch ein Gutachter des BKA sagt aus. Durch einen Routine Abgleich mit den Spuren aus dem Mordfall Dittrich sei man auf den Angeklagten gestoßen. Speichel wurde auf Pizzaresten gefunden, die der Täter im Waggon zurückgelassen hatte.
Die Plädoyers: Die Staatsanwaltschaft sieht den Angeklagten als überführt an und fordert eine lebenslange Freiheitsstrafe. DNA- Analyse, Gutachten und die gemachten Aussagen des Angeklagten vor der Karlsruher Polizei lassen nur auf ihn als Täter schließen. Die Anklage muss jedoch zu seinen Gunsten davon ausgehen, dass das Opfer bereits bei Ansetzen der Tötungshandlung tot war. Daher liege nur ein versuchter Mord vor. Sicher sei die Anklage jedoch, dass Andrea Dittrich vergewaltigt wurde. Zwar wurden keine Spuren vom Angeklagten gefunden, die Verletzungen im Genitalbereich und das Auffinden des halbnackten Opfers sprechen jedoch für eine Vergewaltigung. Da der Tod durch Ersticken durch den Knebel eingetreten ist, habe er der Tod von Andrea leichtfertig veranlasst. Dieses Verhalten erfüllt somit den Tatbestand der Vergewaltigung mit Todesfolge. Leider kann die Anklage nicht die besondere Schwere der Tat beantragen, die angesichts des Mordes in Karlsruhe zwingend zu verhängen wäre.
Die Verteidigung versucht erneut, den Mordvorwurf zu entkräften, indem sie eine Vergewaltigung verneint. Somit würde es an der Verdeckungsabsicht fehlen, ein Mordmerkmal müsste demnach verneint werden.
Nach 4 Prozeßtagen wird das Urteil gesprochen. Wegen Mordes an einer Prostituierten, versuchten Mordes und Vergewaltigung mit Todesfolge verurteilt das Dresdner Schwurgericht Jens W. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. . W. hat nach Überzeugung des Gerichts kurz vor Weihnachten 1995 im Regionalexpress Dresden - Zwickau die damals 20-jährige Andrea Dittrich auf der Zugtoilette brutal vergewaltigt. Um Gegenwehr und Hilferufe zu unterbinden, fesselt und knebelt er sein Opfer. Danach würgt er sie mit Tötungsvorsatz und wirft sie aus dem Zug, um die Tat zu verdecken. Laut Gerichtsmedizin hatte die Knebelung zum Tod durch Ersticken geführt. Das Gericht schließt nicht aus, dass das Opfer bereits tot war, als W. versucht, es umzubringen. Die Kammer geht daher von einem Mordversuch aus. Der Richter deutet an, dass seine Kammer unter Einbeziehung der Verurteilung wegen Raubmordes an einer schwangeren Frau in Karlsruhe eine besondere Schwere der Schuld bejaht hätte. Art und Weise der Tatausführung und die Brutalität der beiden Taten hätten dies gerechtfertigt. Nach der umstrittenen Chemnitzer Entscheidung ist dies nun allerdings nicht mehr möglich. Der Vater des Opfers sagte, seine Tochter könne ihm niemand wiedergeben. Der Familie des Opfers spricht der Richter sein Bedauern über den Prozeßverlauf aus und er hoffe, dass die Familie jetzt die Kraft hätte, dieses Schicksal zu verarbeiten.
Der Fall schlug damals hohe Wellen. Die Familie Dittrich bittet nach Aufhebung des ersten Urteils Politiker in diesem Fall um Hilfe. So wurden u.a. der damalige Ministerpräsidenten
Kurt Biedenkopf, Sachsens Justizminister Kolbe und Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin angeschrieben, da sich die Frau und Herr Dittrich in doppelter Hinsicht gedemütigt fühlten. Einmal durch den Täter, der ihr wehrloses Kind auf dem Weg nach Hause missbrauchte und anschließend tot oder zumindest bewusstlos aus dem fahrenden Zug warf; aber auch durch den Staat und seine Justizbehörden. Warum ist es nicht möglich, die schlechte Arbeit von Gerichten auch zu Gunsten der Opfer zu korrigieren? Wieso profitieren immer nur die Täter davon, bemängelt die Familie in ihren Briefen. Auch sei eine Gesetzesinitiative notwendig, die ermöglicht, dass Schwerverbrecher tatsächlich eine lebenslange Haft - und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, und nicht nur im Sinne des deutschen Rechts - bekommen.
Biedenkopf bat die Familie, nicht am Rechtsstaat zu zweifeln - wo Menschen tätig sind, würden Fehler gemacht. Der Freistaat hätte jedenfalls viel unternommen, um den unverantwortlichen Trend aufzuhalten, der das Schicksal des Verbrechers und nicht das des Opfers in den Mittelpunkt stellt. Sachsen unterstütze die Bestrebungen, die Verhängung von
Sicherheitsverwahrung für gefährliche Straftäter zu erleichtern. Das diese Bestrebungen nicht einfach sind, wurde dem dt. Gesetzgeber letztes Jahr vom Europäischen Gerichtshof deutlich vor Augen geführt. Der EGMR entschied, dass die Regelungen der Sicherungsverwahrung nach dt. Recht teilweise verfassungswidrig seien.
Das Verhalten der Richter in der ersten Instanz war mE auch wirklich skandalös. Ich habe auch vorher noch nie ein Urteil des BGH gelesen, indem der Strafsenat in dieser Art und Weise ein deutsches Gericht kritisiert bzw. an den Pranger stellt. Die Aufhebungsgründe des BGH enthalten ein paar juristische Feinheiten, die man evt. erklären muss, um das zweite Urteil in der Folgeinstanz zu verstehen. Ich versuche das mal….
1). Tatvorwurf- Mord oder nur versuchter Mord?
Die Einschätzung der Tat vom LG Dresden ist mE richtig. Laut Gerichtsmedizin ist Andrea durch Ersticken gestorben, nicht durch das Würgen. Da der Todeszeitpunkt nicht bestimmbar war (das Opfer lag über 12 Stunden neben den Bahngleisen in einer Dezembernacht), muß man in dubio pro reo davon ausgehen, dass das Opfer beim Ansetzen der Tötungshandlung bereits tot war. Einen Toten kann jedoch nicht mehr ermorden. Wenn der Täter jedoch zur Tötungshandlung in dem Bewusstsein ansetzt, dass Opfer lebt noch, obwohl es schon tot ist, ist dies juristisch nur als Versuch zu qualifizieren, da der gesetzlich vorausgesetzte Erfolg(der Tod des Opfers) durch seine Handlung nicht eintreten kann. Das die Tat nur als versuchter Mord eingestuft wurde, ist somit richtig.
Da die Knebelung des Opfers wohl nur dazu diente, das Opfer wehrlos zu machen, liegt zum Zeitpunkt der Knebelungshandlung kein Tötungsvorsatz vor. Der Täter wollte in diesem Zeitpunkt nicht, dass das Opfer durch die Fesselung stirbt. Natürlich muss der Täter damit rechnen, dass das Opfer durch diese Knebelung und einer folgenden Gewaltanwendung(Slip tief Rachen) stirbt. Hier kann allerdings nur ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden. (wichtig gleich für die Vergewaltigung)
2). Vergewaltigung mit Todesfolge ?
Die Vergewaltigung muss ich leider unterstellen. Ich hatte leider nur 2 SZ Artikel zur Verfügung und 10- 11 Seiten Prozessbegleitungsberichte aus den juristischen Fallsammlungen, in denen der Vergewaltigungsvorwurf leider nicht ausführlich dargelegt wurde. Wir unterstellen die Vergewaltigung und stellen uns auf Seite der LG Dresden. Die Todesfolge muss der Täter „leichtfertig“ verursachen. Leichtfertigkeit bedeutet im Großen und Ganzen Fahrlässigkeit. Verursacht hat die Knebelung den Tod von Andrea. Hier ist Leichtfertigkeit auf jeden Fall zu bejahen. Wenn der Täter dem Opfer einen Slip in den Rachen drückt, muss er damit rechnen, dass das Opfer bei einer folgenden Gewaltanwendung sterben kann. Vergewaltigung mit Todesfolge ist also zweifelsfrei gegeben.
3). Aufhebungsgründe- Unmittelbarkeitsprinzip
Der BGH hat das Urteil aus Chemnitz auch deshalb aufgehoben, weil das Gericht auf Vorladungen der Kripobeamten verzichtet hat und stattdessen Vernehmungsprotokolle in Augenschein genommen hat.
Ein Gericht darf sich nur ein Urteil aufgrund der im Prozess vorgebrachten Tatsachen, Zeugenaussagen, Beweise, Gutachten etc. bilden. (Unmittelbarkeitsprinzip) Alles was die Kripo also in Vorleistung erarbeitet hat, muss vor Gericht vorgetragen werden. Die StPO lässt nur wenige Ausnahmen beim Unmittelbarkeitsprinzip zu. Das ist der Fall bei Zeugen, deren Identität geschützt werden muss (V- Männer), bei Kindern im Vorschulalter und bei Gewaltopfern. Dass Akten in einem Prozeß vorgetragen werden, um den Angehörigen grausame Details der Tat zu ersparen, rechtfertigt diese Ausnahme vom Unmittelbarkeitsprinzip nicht. Auch der Angeklagte, der im diesen Prozeßzeitraum noch als unschuldig zu gelten hat, hat Rechte. Die vorliegende Ausnahme würde sein Recht auf einen fairen Prozeß verletzen. Allein dieser Umstand reicht für die Aufhebung des Urteils.
4). Die besondere Schwere der Schuld
Die Kammer in Chemnitz hatte es versäumt, in der schriftlichen Urteilsbegründung die Gründe der besonderen Schwere der Schuld darzulegen. Dies ist jedoch zwingende Voraussetzung für das „Inkrafttreten der Strafe“. Fehlt diese Anordnung zur Verhängen der besonderen Schwere oder wird diese nicht ausreichend begründet, gilt diese Anordnung nicht als „verhängt“. Auch in diesem Fall blieb den BGH nichts anderes übrig, als anzumerken, dass die besondere Schwere der Schuld mangels Begründung im schriftlichen Urteil nicht ausgesprochen wurde. Auch dieser Umstand ist eindeutig, einen Handlungsspielraum gab es nicht für den BGH.
Da nur die Verteidigung Revision eingelegt hatte, die Anklage auf diesen Schritt verzichtet hat, war nach der Aufhebung klar, dass auch in der zweiten Instanz keine besondere Schwere ausgesprochen darf. Die Richter in Dresden waren an das sogenannte Verschlechterungsverbot gebunden. Ein Angeklagter, dessen Revision stattgegeben wird, darf in der Folgeinstanz in härter bestraft werden als in der Erstinstanz. Das war lebenslang, die besondere Schwere der Schuld wurde (formell) nicht ausgesprochen.
Nur wenn auch die Anklage Revision eingelegt hätte, hätte es in der Zweitinstanz eine besondere Schwere der Schuld als Urteil gegeben können. Ein schwerer Fehler der Staatsanwaltschft
Wie dieser Fehler passieren konnte, ist mir absolut unerklärlich. Traurig, dass dies ausgerechnet in diesem Fall passiert ist. Der Mord an Andrea ist mich einer brutalsten Fälle in Aktenzeichen xy, nur der Fall Susanne Erbe hat ähnliche Emotionen bei mir ausgelöst, auch wegen des traurigen Nachspiels.
Dieses Urteil ist natürlich für die Familie Dittrich ein Schlag ins Gesicht. Trotzdem: rechtsstaatlich blieb dem Gericht in Dresden nichts anderes übrig, dass Urteil ist deshalb nach Gesetzeslage richtig.
Jens W. sitzt seine lebenslange Freiheitsstrafe in der JVA Bruchsal bei Karlsruhe ab. Er hat nach diesem Urteil die Chance nach 15 Jahren freizukommen. Er hat die Möglichkeit, in den nächsten Monat ein Antrag auf Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung zu stellen, bei entsprechender Prognose wäre er Ende diesen Jahres wieder frei.
Die Verhandlung in Chemnitz und Dresden
Am 21.07.2000 wird vor der Schwurgerichtskammer in Dresden der Prozeß wegen Mordes gegen Jens W. eröffnet.
Die Anklageschrift:
An jenem Morgen wird der 24-jährige Jens W. nach fünfzig Tagen Haft aus dem Gefängnis Ückermünde entlassen, besucht eine Bekannte, schläft mit ihr und macht sich dann per Bahn auf den Weg zu seiner Mutter nach Zwickau. In Dresden nimmt er den RE 4412, der gegen 18.55 Uhr nach Chemnitz abfährt. In Freital-Deuben steigt gegen 19.05 Uhr Andrea Dittrich in den gleichen Wagen zu. Sie will zu ihrem Freund und den Eltern nach Glauchau. Vermutlich ab Hohenstein-Ernstthal ist sie allein im Waggon mit dem Mann, der eine schwarze Bomberjacke und schwarze Jeans trägt, Pizza kaut und Büchsenbier trinkt Im Zug belästigt Jens W. Andrea Dittrich und fällt schließlich ohne Vorwarnung über sie her. Er fesselt das Opfer mit ihrem eigenem Gürtel und steckt ihr danach den Slip als Knebelwerkzeug in den Rachen. Er zerrt das wehrlose Opfer in die Zugtoilette und vergewaltigt das Opfer. Nach der Tat zum Zweck der Verdeckung der Vergewaltigung wirft er Andrea Dittrich bei ca. Tempo 100 aus dem fahrenden Zug. Am nächsten Tag wird das blonde Mädchen beim Streckenkilometer 104 tot neben den Gleisen gefunden: Qualvoll erstickt an einem Knebel tief in ihrem Rachen, und brutal vergewaltigt. DNA Spuren werden im Waggon sichergestellt, sie deuten ganz klar auf W. als Täter hin. Aufgrund der vor der Polizei gemachten Angaben des Angeklagten erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Mordes an Andrea Dittrich.
Jens W. macht Angaben zur Person und verweigert die Aussage zum Anklagepunkt. W. war vor der Tat zweimal vorbestraft wegen Diebstahl und Körperverletzung. Er ist zwar auch wegen Republikflucht in der ehemaligen DDR verurteilt wurden, diese Vorstrafen werden jedoch nach der Wiedervereinigung aus dem Bundeszentralregister gestrichen. Nach der Tat wurde W. für einen Mord in Karlsruhe zur lebenslanger Haft verurteilt. Diese Strafe sitzt er in der JVA Bruchsal ab.
Das Gericht verzichtet auf Ladung der Kripobeamten, die W. in Karlsruhe und in Chemnitz vernommen haben. Die Richter wollen der Nebenklage bzw. den Angehörigen die schrecklichen Details der Tat nicht noch einmal zumuten. Stattdessen werden die Vernehmungsprotokolle vorgetragen. Der Angeklagte wurde zur Vernehmung von der JVA Bruchsal ins Polizeipräsidium nach Karlsruhe gebracht, um von Beamten der Kripo Chemnitz vernommen zu werden. Jens W. hatte die Tat sofort in der ersten Vernehmung kurz nach dem Treffer in der Datenbank gestanden und zwar noch in Karlsruhe. Danach schwieg er zu den Vorwürfen. Die Vergewaltigung hatte er in seinen Aussagen vehement bestritten. Jens W. gibt auf Nachfragen seitens des Gerichts bzw. der Anklage keine Antworten.
Auch das Gutachten der Gerichtsmedizin wird vorgetragen. Eine genaue Todesursache sei nicht festzustellen. Am wahrscheinlichsten sei ein Erstickungstod durch Knebelung mit dem Slip. Auch die genaue Todeszeit sei nicht feststellbar. Womöglich sei das Opfer bei der eigentlichen Tötungshandlung, sprich dem Würgen oder dem Hinauswerfen des Opfers aus dem Zug, bereits tot gewesen. Der Körper wies auf jeden Fall Würgemerkmale auf, ob diese post mortem zugefügt wurden, sei nicht feststellbar.
Das Gericht hatte im Vorfeld einen Gerichtspsychiater bestellt, um sich von der Psyche von W. ein Bild machen zu können. Die letzten Jahre vor der Wende seien für den Angeklagten nicht angenehm gewesen. Als Republikflüchtling sei er ein Mann ohne Rechte gewesen. Jens Ws. Erfahrungen mit Frauen stammen vorwiegend aus dem Rotlichtmilieu. Dort ist er als Zuhälter gelandet, nach dem es auf anderen Arbeitsstellen meist Ärger gab. In diesen Kreisen konnte er eine Art Macht über die Frauen ausüben. Diese Verhaltensweise ist auch Ergebnis der Tatsache, dass der Angeklagte als Kind selbst Opfer sexueller Übergriffe seines Vaters geworden war. Dass es Jens W. mit kaum jemanden und nirgendwo lange aushielt, ist nach der psychiatrischen Begutachtung einigermaßen erklärbar. Unzufrieden, leicht reizbar, aggressiv, unbeherrscht sei der Angeklagte Eine ich-orientierte Persönlichkeit fasst der Psychologe zusammen. Dass der Täter die Vergewaltigung leugnet, sei eine Schutzbehauptung, mit der er versucht, seine Tat zu verdrängen, urteilte der Gerichtspsychiater.
Durch Aussagen der Familie wird bekannt, dass Andrea an diesem Tag eigentlich gar nicht in diesem Zug sitzen sollte. Sie soll eigentlich in der Bavaria-Klinik in Kreischa am Heiligen Abend Dienst schieben. Vor allem ihrem Freund zuliebe will sie vorher für einen Tag nach Hause und besteigt am Abend wie immer in Freital-Deuben den Regionalexpress nach Zwickau. Um 20.36 Uhr soll der Zug in Glauchau ankommen, am Gleis war sie mit ihrem Freund verabredet. Doch sie steigt nicht aus. Vergeblich haben die Eltern an jenem Abend auf ihre Tochter gewartet. Am nächsten Tag macht sich der Vater nach Kreischa auf. Er sucht erfolglos. Auf dem Heimweg kommt der Anruf: Zur Polizei solle er kommen. Am Tag vor Heiligabend erfährt die Familie von Andreas schrecklichem Tod.
Am schlimmsten seien die Tage unmittelbar nach dem Verbrechen gewesen, erinnert sich der Vater. Damals fanden wir unter Andreas Bett die Weihnachtsgeschenke, die sie für die Familie besorgt hatte. Während der Fahndung warben wir um Hilfe. Nur so konnte schließlich die Belohnung für Hinweise auf den Täter auf 50 000 Mark erhöht werden. So ist es weniger die Trauer, die ihn dieser Tage bewegt. Vielmehr ist es Wut.
Die Zeugin Birgit E., eine Reisende an jenen Tag in diesem Waggon, sagt aus, dass ihr der Angeklagte schon vorher unangenehm aufgefallen sei. Er habe sich in ihre Nähe gesetzt und habe gestört. Eine unangenehme und komische Person.
Das Gericht verzichtet auf weitere Personen, wie zB. weitere Zeugen aus dem Waggon bzw. Zeugen am Bahnhof, denen der Angeklagte an einem Kiosk durch schlechtes Benehmen aufgefallen ist.
Die Plädoyers werden gehalten. Die Verteidigung stellt keinen Antrag, versucht jedoch den Mordvorwurf zu entkräften und verneint eine Vergewaltigung. Für diese Annahme bestehen keine Anhaltspunkte, somit könnte auch keine Verdeckungsabsicht vorliegen. Die Tat sei allenfalls als Totschlag einzustufen.
Die Anklage fordert eine Verurteilung wegen Mordes und somit eine lebenslange Haft. Die DNA Analyse und die Gutachten lassen keinen anderen Schluss zu. Der Angeklagte hatte nur wenige Stunden nach seiner Entlassung Angst, wieder ins Gefängnis zu kommen, aus dem Grund habe er das Opfer gewürgt. Durch dieses Würgen sei der Tod des Opfers auch eingetreten.
Nach nur einer Stunde Beratung spricht die Kammer das Urteil und verhängt eine lebenslange Freiheitsstrafe. Da der Angeklagte zum Prozeßzeitpunkt jedoch schon eine lebenslange Freiheitsstrafe absitzt, müssen die Richter eine sogenannte Gesamtstrafe aussprechen. Sie verurteilen Jens W. deshalb zur einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe für zweifachen Mord im besonders schweren Fall. Dieses Urteil beinhaltet somit auch die Verurteilung wegen Mordes an Adriane T. , für den Jens W. bereits in Karlsruhe verurteilt wurde. Eine anschließende Sicherheitsverwahrung spricht das Gericht nicht aus.
In der schriftlichen Urteilsbegründung versäumt die Kammer jedoch, die die besondere Schwere der Schuld des Angeklagten ausführlich zu begründen. Das Gericht hat in der schriftlichen Urteilsbegründung darzulegen, auf welchen Tatsachen der Urteilsspruch basiert. Ebenso ist natürlich zu begründen, warum die besondere Schwere der Schuld ausgesprochen wurde. Ansonsten gilt diese nicht als „nicht verhängt“
Die Verteidigung legt Revision beim BGH ein. Zuständig für die Revision ist der 5. Strafsenat. Dieser Senat hat seinen Sitz in Leipzig (nicht in Karlsruhe, dort sitzen die anderen 4 Strafsenate). Dem Strafsenat sind die Revisionen in Strafsachen für den Bezirk des Kammergerichts (Berlin) sowie für die Bezirke der Oberlandesgerichte Brandenburg, Braunschweig, Bremen, Dresden und Hamburg zugewiesen. Obwohl die Staatsanwaltschaft den Fehler der Kammer eigentlich erkennen muss, verzichtet sie auf eine Revision.
Im April 2001 hebt der BGH erwartungsgemäß das Urteil wegen schwerer Verfahrensmängel auf und verweist an die Schwurgerichtskammer nach Dresden. Der Senat rügt das Schwurgericht in Chemnitz und wirft den Richtern einer im Blick auf das Gewicht der Sache ganz ungewöhnlichen tatrichterlichen Nachlässigkeit vor. Dazu gehörte nach ihrer Auffassung
auch, dass die Richter im Interesse eines zügigen Verfahrens und im Sinne der Nebenkläger nur die Protokolle der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung verlasen, statt die
Polizeibeamten in den Zeugenstand zu rufen. In diesem Verhalten liegt ein Verstoß gegen das Unmittelbarkeitsprinzip vor. Eine Ausnahme von diesem Prinzip rechtfertige auch nicht den Willen der Richter, der Familie eventuell die qualvollen Details der grausamen Tat zu ersparen. Auch spricht der 5. Senat von der ungewöhnlich mangelhaften Sachbehandlung durch den Tatrichter. . Nach Ansicht des BGH war in Chemnitz der Tötungsvorsatz nicht ausreichend untersucht worden. So bestehen zwar keine Zweifel, dass Jens W. verantwortlich ist für den grausamen Tod von Andrea Dittrich. Doch für einen vorsätzlichen Mord findet der BGH im Urteil keine Belege. Auch hatte das Chemnitzer Schwurgericht eine besondere Schwere der Schuld zwar dem Grunde nach bejaht, dies im Urteilstenor aber nicht vermerkt. Somit fehlt im diesem Urteil die Anerkennung der besonderen Schwere der Tat. Das Urteil wird daher zur Neuverhandlung an die Schwurgerichtskammer nach Dresden verwiesen.
(ANM: Damit steht nach dieser Aufhebung des Urteils fest, dass das Gericht im Folgeprozess nicht die besondere Schwere der Schuld feststellen kann. Es gilt das sogenannte Verschlechterungsverbot. Unmittelbarkeitsprinzip, Verschlechterungsverbot etc. erkläre euch nach dem Review)
Im Februar 2002 wird in Dresden der neue Prozeß gegen Jens W. eröffnet. Diesmal wirft ihm die Anklage nur versuchten Mord und tateinheitlich Vergewaltigung mit Todesfolge vor. Die Anklageschrift ist nahezu unverändert, jedoch geht die Anklage in dubio pro reo davon aus, dass Andrea bereits zum Zeitpunkt der Tötungshandlung von W. tot war.
Auch in diesem Prozeß verweigert der Angeklagte die Aussage. Auch bzgl. Fragen zur Person macht W. keine Angaben.
Der Schwerpunkt liegt im zweiten Prozeß selbstverständlich in den Vorladungen der Kripobeamten, auf deren Aussagen im ersten Prozeß verzichtet wurde. Die Aussagen von Jens W. bei der Polizei wurden ja schon ausführlich (s.o) besprochen. Ein Kripobeamter aus Karlsruhe sagt als Zeuge aus, das der Angeklagte bei der ersten Vernehmung für ihn überraschend gestanden habe. Demnach habe er noch in Karlsruhe zugegeben, sein Opfer getötet zu haben, nachdem das Opfer gedroht hatte, wegen der Vergewaltigung zur Polizei zu gehen. "Ich würgte sie, bis ihr Körper schlaff war", habe er gesagt. In späteren Vernehmungen machte der Beschuldigte dagegen keine näheren Angaben mehr zum Tatgeschehen. Von Anfang an bestritt er zudem die Vergewaltigung. Zudem wird auch auf den Mord an der Prostituierten Adriane T. in Karlsruhe eingegangen. Das Opfer sei durch Tritte gegen Bauch und Kopf getötet wurden. Besonders schlimm, den das Opfer war zum Zeitpunkt des Angriffs schwanger. Der Angeklagte und sein Freund hätten auch gezielt auf den Bauch getreten. Beide Verbrechen wurden mit erheblicher Brutalität begangen. In der Haft hatte Jens W. freiwillig eine Speichelprobe für die DNA-Verbrecherdatei abgegeben. Diese wurde dann zum BKA zur Speicherung geschickt.
Leider lassen sich auch im zweiten Prozeß nicht die genauen Todesumstände klären. Gerade der genaue Todeszeitpunkt ist nicht zu bestimmen, da das Opfer auch erst nach 12 Stunden bei Minus- Temperaturen an den Bahngleisen gefunden wurde. Laut Gerichtsmedizin hatte die Knebelung höchstwahrscheinlich zum Tod durch Ersticken geführt. Das Gutachten schloss somit nicht aus, dass das Opfer bereits zum Zeitpunkt des Würgens durch W. tot war.
Auch sämtliche Zeugen aus dem ersten Prozess sagen erneut aus. Emotional ist natürlich die Aussage von Familienangehörigen. Der Vater sagt, seine Tochter habe einen festen Freund gehabt und sei glücklich gewesen. Scharfe Kritik übt er im Saal an der Arbeit des Chemnitzer Gerichts. Fehler hätten dazu geführt, dass nun nicht mehr die Höchststrafe ausgesprochen werden könne.
Auch ein Gutachter des BKA sagt aus. Durch einen Routine Abgleich mit den Spuren aus dem Mordfall Dittrich sei man auf den Angeklagten gestoßen. Speichel wurde auf Pizzaresten gefunden, die der Täter im Waggon zurückgelassen hatte.
Die Plädoyers: Die Staatsanwaltschaft sieht den Angeklagten als überführt an und fordert eine lebenslange Freiheitsstrafe. DNA- Analyse, Gutachten und die gemachten Aussagen des Angeklagten vor der Karlsruher Polizei lassen nur auf ihn als Täter schließen. Die Anklage muss jedoch zu seinen Gunsten davon ausgehen, dass das Opfer bereits bei Ansetzen der Tötungshandlung tot war. Daher liege nur ein versuchter Mord vor. Sicher sei die Anklage jedoch, dass Andrea Dittrich vergewaltigt wurde. Zwar wurden keine Spuren vom Angeklagten gefunden, die Verletzungen im Genitalbereich und das Auffinden des halbnackten Opfers sprechen jedoch für eine Vergewaltigung. Da der Tod durch Ersticken durch den Knebel eingetreten ist, habe er der Tod von Andrea leichtfertig veranlasst. Dieses Verhalten erfüllt somit den Tatbestand der Vergewaltigung mit Todesfolge. Leider kann die Anklage nicht die besondere Schwere der Tat beantragen, die angesichts des Mordes in Karlsruhe zwingend zu verhängen wäre.
Die Verteidigung versucht erneut, den Mordvorwurf zu entkräften, indem sie eine Vergewaltigung verneint. Somit würde es an der Verdeckungsabsicht fehlen, ein Mordmerkmal müsste demnach verneint werden.
Nach 4 Prozeßtagen wird das Urteil gesprochen. Wegen Mordes an einer Prostituierten, versuchten Mordes und Vergewaltigung mit Todesfolge verurteilt das Dresdner Schwurgericht Jens W. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. . W. hat nach Überzeugung des Gerichts kurz vor Weihnachten 1995 im Regionalexpress Dresden - Zwickau die damals 20-jährige Andrea Dittrich auf der Zugtoilette brutal vergewaltigt. Um Gegenwehr und Hilferufe zu unterbinden, fesselt und knebelt er sein Opfer. Danach würgt er sie mit Tötungsvorsatz und wirft sie aus dem Zug, um die Tat zu verdecken. Laut Gerichtsmedizin hatte die Knebelung zum Tod durch Ersticken geführt. Das Gericht schließt nicht aus, dass das Opfer bereits tot war, als W. versucht, es umzubringen. Die Kammer geht daher von einem Mordversuch aus. Der Richter deutet an, dass seine Kammer unter Einbeziehung der Verurteilung wegen Raubmordes an einer schwangeren Frau in Karlsruhe eine besondere Schwere der Schuld bejaht hätte. Art und Weise der Tatausführung und die Brutalität der beiden Taten hätten dies gerechtfertigt. Nach der umstrittenen Chemnitzer Entscheidung ist dies nun allerdings nicht mehr möglich. Der Vater des Opfers sagte, seine Tochter könne ihm niemand wiedergeben. Der Familie des Opfers spricht der Richter sein Bedauern über den Prozeßverlauf aus und er hoffe, dass die Familie jetzt die Kraft hätte, dieses Schicksal zu verarbeiten.
Der Fall schlug damals hohe Wellen. Die Familie Dittrich bittet nach Aufhebung des ersten Urteils Politiker in diesem Fall um Hilfe. So wurden u.a. der damalige Ministerpräsidenten
Kurt Biedenkopf, Sachsens Justizminister Kolbe und Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin angeschrieben, da sich die Frau und Herr Dittrich in doppelter Hinsicht gedemütigt fühlten. Einmal durch den Täter, der ihr wehrloses Kind auf dem Weg nach Hause missbrauchte und anschließend tot oder zumindest bewusstlos aus dem fahrenden Zug warf; aber auch durch den Staat und seine Justizbehörden. Warum ist es nicht möglich, die schlechte Arbeit von Gerichten auch zu Gunsten der Opfer zu korrigieren? Wieso profitieren immer nur die Täter davon, bemängelt die Familie in ihren Briefen. Auch sei eine Gesetzesinitiative notwendig, die ermöglicht, dass Schwerverbrecher tatsächlich eine lebenslange Haft - und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, und nicht nur im Sinne des deutschen Rechts - bekommen.
Biedenkopf bat die Familie, nicht am Rechtsstaat zu zweifeln - wo Menschen tätig sind, würden Fehler gemacht. Der Freistaat hätte jedenfalls viel unternommen, um den unverantwortlichen Trend aufzuhalten, der das Schicksal des Verbrechers und nicht das des Opfers in den Mittelpunkt stellt. Sachsen unterstütze die Bestrebungen, die Verhängung von
Sicherheitsverwahrung für gefährliche Straftäter zu erleichtern. Das diese Bestrebungen nicht einfach sind, wurde dem dt. Gesetzgeber letztes Jahr vom Europäischen Gerichtshof deutlich vor Augen geführt. Der EGMR entschied, dass die Regelungen der Sicherungsverwahrung nach dt. Recht teilweise verfassungswidrig seien.
Das Verhalten der Richter in der ersten Instanz war mE auch wirklich skandalös. Ich habe auch vorher noch nie ein Urteil des BGH gelesen, indem der Strafsenat in dieser Art und Weise ein deutsches Gericht kritisiert bzw. an den Pranger stellt. Die Aufhebungsgründe des BGH enthalten ein paar juristische Feinheiten, die man evt. erklären muss, um das zweite Urteil in der Folgeinstanz zu verstehen. Ich versuche das mal….
1). Tatvorwurf- Mord oder nur versuchter Mord?
Die Einschätzung der Tat vom LG Dresden ist mE richtig. Laut Gerichtsmedizin ist Andrea durch Ersticken gestorben, nicht durch das Würgen. Da der Todeszeitpunkt nicht bestimmbar war (das Opfer lag über 12 Stunden neben den Bahngleisen in einer Dezembernacht), muß man in dubio pro reo davon ausgehen, dass das Opfer beim Ansetzen der Tötungshandlung bereits tot war. Einen Toten kann jedoch nicht mehr ermorden. Wenn der Täter jedoch zur Tötungshandlung in dem Bewusstsein ansetzt, dass Opfer lebt noch, obwohl es schon tot ist, ist dies juristisch nur als Versuch zu qualifizieren, da der gesetzlich vorausgesetzte Erfolg(der Tod des Opfers) durch seine Handlung nicht eintreten kann. Das die Tat nur als versuchter Mord eingestuft wurde, ist somit richtig.
Da die Knebelung des Opfers wohl nur dazu diente, das Opfer wehrlos zu machen, liegt zum Zeitpunkt der Knebelungshandlung kein Tötungsvorsatz vor. Der Täter wollte in diesem Zeitpunkt nicht, dass das Opfer durch die Fesselung stirbt. Natürlich muss der Täter damit rechnen, dass das Opfer durch diese Knebelung und einer folgenden Gewaltanwendung(Slip tief Rachen) stirbt. Hier kann allerdings nur ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden. (wichtig gleich für die Vergewaltigung)
2). Vergewaltigung mit Todesfolge ?
Die Vergewaltigung muss ich leider unterstellen. Ich hatte leider nur 2 SZ Artikel zur Verfügung und 10- 11 Seiten Prozessbegleitungsberichte aus den juristischen Fallsammlungen, in denen der Vergewaltigungsvorwurf leider nicht ausführlich dargelegt wurde. Wir unterstellen die Vergewaltigung und stellen uns auf Seite der LG Dresden. Die Todesfolge muss der Täter „leichtfertig“ verursachen. Leichtfertigkeit bedeutet im Großen und Ganzen Fahrlässigkeit. Verursacht hat die Knebelung den Tod von Andrea. Hier ist Leichtfertigkeit auf jeden Fall zu bejahen. Wenn der Täter dem Opfer einen Slip in den Rachen drückt, muss er damit rechnen, dass das Opfer bei einer folgenden Gewaltanwendung sterben kann. Vergewaltigung mit Todesfolge ist also zweifelsfrei gegeben.
3). Aufhebungsgründe- Unmittelbarkeitsprinzip
Der BGH hat das Urteil aus Chemnitz auch deshalb aufgehoben, weil das Gericht auf Vorladungen der Kripobeamten verzichtet hat und stattdessen Vernehmungsprotokolle in Augenschein genommen hat.
Ein Gericht darf sich nur ein Urteil aufgrund der im Prozess vorgebrachten Tatsachen, Zeugenaussagen, Beweise, Gutachten etc. bilden. (Unmittelbarkeitsprinzip) Alles was die Kripo also in Vorleistung erarbeitet hat, muss vor Gericht vorgetragen werden. Die StPO lässt nur wenige Ausnahmen beim Unmittelbarkeitsprinzip zu. Das ist der Fall bei Zeugen, deren Identität geschützt werden muss (V- Männer), bei Kindern im Vorschulalter und bei Gewaltopfern. Dass Akten in einem Prozeß vorgetragen werden, um den Angehörigen grausame Details der Tat zu ersparen, rechtfertigt diese Ausnahme vom Unmittelbarkeitsprinzip nicht. Auch der Angeklagte, der im diesen Prozeßzeitraum noch als unschuldig zu gelten hat, hat Rechte. Die vorliegende Ausnahme würde sein Recht auf einen fairen Prozeß verletzen. Allein dieser Umstand reicht für die Aufhebung des Urteils.
4). Die besondere Schwere der Schuld
Die Kammer in Chemnitz hatte es versäumt, in der schriftlichen Urteilsbegründung die Gründe der besonderen Schwere der Schuld darzulegen. Dies ist jedoch zwingende Voraussetzung für das „Inkrafttreten der Strafe“. Fehlt diese Anordnung zur Verhängen der besonderen Schwere oder wird diese nicht ausreichend begründet, gilt diese Anordnung nicht als „verhängt“. Auch in diesem Fall blieb den BGH nichts anderes übrig, als anzumerken, dass die besondere Schwere der Schuld mangels Begründung im schriftlichen Urteil nicht ausgesprochen wurde. Auch dieser Umstand ist eindeutig, einen Handlungsspielraum gab es nicht für den BGH.
Da nur die Verteidigung Revision eingelegt hatte, die Anklage auf diesen Schritt verzichtet hat, war nach der Aufhebung klar, dass auch in der zweiten Instanz keine besondere Schwere ausgesprochen darf. Die Richter in Dresden waren an das sogenannte Verschlechterungsverbot gebunden. Ein Angeklagter, dessen Revision stattgegeben wird, darf in der Folgeinstanz in härter bestraft werden als in der Erstinstanz. Das war lebenslang, die besondere Schwere der Schuld wurde (formell) nicht ausgesprochen.
Nur wenn auch die Anklage Revision eingelegt hätte, hätte es in der Zweitinstanz eine besondere Schwere der Schuld als Urteil gegeben können. Ein schwerer Fehler der Staatsanwaltschft
Wie dieser Fehler passieren konnte, ist mir absolut unerklärlich. Traurig, dass dies ausgerechnet in diesem Fall passiert ist. Der Mord an Andrea ist mich einer brutalsten Fälle in Aktenzeichen xy, nur der Fall Susanne Erbe hat ähnliche Emotionen bei mir ausgelöst, auch wegen des traurigen Nachspiels.
Dieses Urteil ist natürlich für die Familie Dittrich ein Schlag ins Gesicht. Trotzdem: rechtsstaatlich blieb dem Gericht in Dresden nichts anderes übrig, dass Urteil ist deshalb nach Gesetzeslage richtig.
Jens W. sitzt seine lebenslange Freiheitsstrafe in der JVA Bruchsal bei Karlsruhe ab. Er hat nach diesem Urteil die Chance nach 15 Jahren freizukommen. Er hat die Möglichkeit, in den nächsten Monat ein Antrag auf Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung zu stellen, bei entsprechender Prognose wäre er Ende diesen Jahres wieder frei.
nach oben springen
Hallo zusammen,
der Mord an Andrea Dittrich wird auch dargestellt in dem Buch von
Thomas Schade/Karsten Schlinzig: Tatort Sachsen, S.145-160.
Viele Grüße
Ludwig
Hier hält aber auch der Bus zur Siedlung Muckensturm, den Anja benutzt, wenn sie bei Dunkelheit allein nach Hause kommt.
(Sendung vom 15.01.1988, Filmfall 1, Mord an Anja A.)
Ihr Interesse gilt, so wie das von Tausenden Gleichaltriger, heißer Musik und effektvoll ausgeleuchteten Discotheken.
(Sendung vom 06.04.1979, Filmfall 1, Sexualmord an Christiane "Kiki" M.)
nach oben springen
In der Sendereihe "Die Spur der Täter" des MDR wurde der Mord an Andrea Dittrich
am 8.8.2018 in sehenswerter Weise behandelt. Diese Sendung ist in der MDR-Mediathek abrufbar.
Viele Grüße,
Ludwig
Hier hält aber auch der Bus zur Siedlung Muckensturm, den Anja benutzt, wenn sie bei Dunkelheit allein nach Hause kommt.
(Sendung vom 15.01.1988, Filmfall 1, Mord an Anja A.)
Ihr Interesse gilt, so wie das von Tausenden Gleichaltriger, heißer Musik und effektvoll ausgeleuchteten Discotheken.
(Sendung vom 06.04.1979, Filmfall 1, Sexualmord an Christiane "Kiki" M.)
nach oben springen
« 5.9.1980 FF1 (Kaiserslautern) Unbekannte Tote - Rückblick in Sendung 3/12/1993 | 07.09.2001 FF2 (Kripo Hamburg) Mordfall Annett Ouattara (Die Tote im Fleet) » |
Bitte geben Sie einen Grund für die Verwarnung an
Der Grund erscheint unter dem Beitrag.Beiträge, die IN GROSSBUCHSTABEN oder fett geschrieben sind, bitte vermeiden.
Dieser Beitrag bzw. Angaben darin lassen sich nicht mit Quellen belegen und sind für uns somit spekulativ.
Dieser Beitrag beinhaltet beleidigende Aussagen. Bitte umformulieren oder löschen.
Dieser Beitrag enthält unerwünschte Werbung.
Dieser Beitrag verstößt gegen die Netiquette des Forums.
{[userwarning_empty_error]}
Es wird der oben genannte Grund verwendet. Klicken Sie hier, um den Inhalt der privaten Nachricht anzupassen
Legen Sie hier den Inhalt der PN-Benachrichtigung fest.
Hinweis: Dieses Mitglied wurde bereits 4 Mal verwarnt.
Bei einer weiteren Verwarnung wird das Mitglied automatisch gesperrt.
Bei einer weiteren Verwarnung wird das Mitglied automatisch gesperrt.
Besucher
0 Mitglieder und 3 Gäste sind Online Besucherzähler Heute waren 3 Gäste online. |
Forum Statistiken
Das Forum hat 1827
Themen
und
21150
Beiträge.
|
Einfach ein eigenes Forum erstellen | ©Xobor.de |