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4.6.1976 FF 1 (LGK Niederösterreich) Mordfall Johann Bröderbauer- Der Siestamörder von Taubitz

in Filmfälle 02.02.2013 02:02
von bastian2410 • 1.662 Beiträge
4.6.1976 FF 1 (LGK Niederösterreich) Mordfall Johann Bröderbauer
Der Siestamörder

Kurzreview


Hermann T.: 21 Jahre alt, Bubigesicht und Gelegenheitsarbeiter. Er ist aber auch ein Doppelmörder. Bei seinem ersten Mord ist gerade 17 Jahre, ermordet aber kaltblütig aus niedrigen Beweggründen einen Postbeamten. Es wird nicht sein letzter Mord sein. Seine Taten erschüttern ganz Österreich und gehen als der sogenannte Siestamord bzw. Nebelmord in die Kriminalgeschichte ein.

Es ist Montag der 23. Juni 1975, ein heißer Tag im Bezirk Krems- Land in Niederösterreich. Die Familie Bröderbauer hat das Wochenende gemeinsam in ihrer Jagdhütte in Taubitz in der Nähe von Lichtenau verbracht, um mal richtig auszuspannen. Johann Bröderbauer hatte das Anwesen 1971 erworben, um seinen Hobby- der Jägerei- nachzugehen. Gegen 11 Uhr bringt der 53jährige Postbeamte seine Ehefrau, seinen Sohn Hans und dessen Verlobte vom Jagdhaus in Taubitz in die Wohnung nach Krems. Eigentlich müsste Bröderbauer heute arbeiten. Wegen eines Wirbelsäulenleidens ist der Leiter des Posthauptamtes in Zwettl jedoch krankgeschrieben und hat an diesem Montagvormittag einen Arzttermin. Gegen die Mittagszeit wird Bröderbauer nach dem Besuch beim Arzt von Bekannten in der Innenstadt von Lichtenau das letzte Mal lebend gesehen.

Danach fährt der Postbeamte sofort in die ein paar Kilometer entfernte Jagdhütte in Taubitz. Wahrscheinlich durch den Arztbesuch erschöpft, legt sich der passionierte Jäger sofort auf die Campingliege zum Schlafen auf der Terrasse hin.

Zu dieser Zeit findet in Krems- der fünftgrößten Stadt Niederösterreichs- auch ein Sportfest statt. An diesem Sportfest nimmt an diesem 23. Juni auch der 17jährige Schüler Hermann T. aus Allentsgeschwendt teil. Per Anhalter macht er sich nachmittags auf den Weg nach Hause. Aber noch vor seiner Heimatgemeinde steigt der junge Mann in Brunn am Walde aus und streift ziellos durch die Wälder. In der Nähe von Taubitz stößt T. dann auf die Jagdhütte von Johann Bröderbauer und sieht im Garten dessen VW Passat- der Zündschlüssel steckt.

Dass der 53jährige Postbeamte an diesem Tag krankgeschrieben ist, wird ihm jetzt zum Verhängnis. Es beginnt ein tödlicher Countdown: T. entsichert seine Long Rifle Pistole Kaliber 22 und steigt die Treppe zur Terrasse empor. Dort findet er Bröderbauer in einer Campingliege tief schlafend vor. Der Schüler ist sich sicher, dass sein Opfer aufwachen wird, wenn er den Motor des VW startet. Hermann T. will aber zunächst nur das Auto klauen und überlegt, ob es noch eine andere Möglichkeit gibt, den Postbeamten außer Gefecht zu setzen- er findet aber nichts, womit er Bröderbauer niederschlagen könnte. Dann hört aus dem Wald ein Geräusch und zieht sich zurück. Als es wieder ruhig ist, steigt T. erneut die Treppen zur Terrasse hinauf und bekommt es wieder mit der Angst zu tun. Er versucht es ein drittes Mal, diesmal mit der Pistole im Anschlag. Plötzlich bewegt sich Bröderbauer im Schlaf und dreht sich auf den Rücken. Da feuert T. zweimal aus Panik aus 50 Zentimeter Entfernung auf den Kopf seines Opfers. Johann Bröderbauer ist sofort tot. Den Anblick des Toten mit dem blutverschmierten Gesicht kann T. nicht ertragen und legt ein Tuch über sein Opfer. Danach geht er in Jagdhütte, um nachzugucken, ob sich weitere Person dort aufhalten, die ihn identifizieren können. Hermann T. besucht zusammen mit dem Sohn seines Opfers die HTL Fachschule in Krems. Er und sein Opfer kennen sich daher flüchtig. Bröderbauer war zum Tatzeitpunkt alleine, der 17 jährige findet jedoch eine Geldbörse und erbeutet ca. 2000 Schilling.

Der Schüler flüchtet mit den Wagen des Opfers nach Krems. Gegen 16.30 Uhr wird der grüne Passat in Albrechtsberg von zwei Urlaubern gesehen. Die Leute waren gerade zu einer kurzen Rast aus dem Auto gestiegen, als sie plötzlich erkennen, dass der Wagen von Johann Bröderbauer auf sie zurast. Nur durch einen Sprung in den Straßengraben können sich die Urlauber retten.

Hermann T. flüchtet ohne Anzuhalten weiter nach Krems und landet bei Voitsau in einem Kartoffelacker. Zwei Bauern helfen den Mörder von Bröderbauer damit, den Wagen wieder flottzumachen und ziehen das Auto mit ihrem Traktor aus dem Acker. Die beiden Bauern werden für die Kripo die wichtigsten Zeugen und können sehr genau den Mörder von Taubitz beschreiben. Die Kripo geht mit einen Phantombild in die Öffentlichkeitsfahndung. Der blonde bis brünette Mann soll nicht älter als 20 Jahre alt gewesen sein, soll ungefähr 1,65 Meter groß sein und ein schmächtiges Gesicht haben.

Das Verbrechen in Taubitz wird gegen 19 Uhr von einem Bekannten der Familie Bröderbauer entdeckt. Der Jagdkollege wollte seinem Freund einen Krankenbesuch abstatten. Als der den Toten auf der Terrasse findet, informiert er die Polizei. Die Ermittlungen übernimmt das Landesgendarmeriekommando Niederösterreich. Kurz nach Mitternacht am Dienstagmorgen finden die Beamten in Krems den grünen VW- Passat des Opfers.

Die Tat hat ihn verändert. Hermann T. geht von der Schule ab, doch seine Versuche, beruflich Fuß zu fassen, scheitern kläglich. In den folgenden zwei Jahren begeht er mehrere Einbrüche, rutscht immer mehr in die Kleinkriminalität ab und wird dafür verurteilt.

Am 21. Oktober 1977 versucht er in Horn im gleichnamigen Bezirk im östlichen Waldviertel in Niederösterreich, Arbeit zu finden- vergeblich. Auf dem Rückweg will er am Böhmteich von Allentsteig im Bezirk Zwettl Enten schießen. Seinen Wagen, den er mittlerweile auf Raten erworben hat, stellt er am Straßenrand ab. Zu diesem Zeitpunkt kommt auch der 37jährige Finanzbeamte Franz E. aus Zwettl am Böhmteich vorbei und sieht den Wagen am Straßenrand. In der Annahme, das Auto hat eine Panne oder aufgrund der Witterungsverhältnisse (Nebel) einen Unfall, steigt er aus und geht auf T. zu. Der mittlerweile 19- jährige Hermann T., der die Pistole vom ersten Mord in Taubitz bei sich trägt, gerät in Panik. Er glaubt, von einem Jagdaufseher ertappt worden zu sein und schießt ohne Vorwarnung auf den 37jährigen Mann. Als der Schütze merkt, dass sein schwerverletztes Opfer am Boden liegend noch lebt, eröffnet er erneut das Feuer und schießt sein Magazin mit 10 Schuss leer. Danach flüchtet er.

Der 21. Oktober ist für Meteorologen ein historischer Tag, ganz Österreich versinkt im Nebel. Sogar der größte Flughafen Österreichs- Wien Schwechat- wird durch den Nebel den ganzen Tag lahmgelegt- sämtliche Flüge müssen annulliert oder umgeleitet werden. Aufgrund der Witterungslage geht der Mordfall Franz E. als sogenannter Nebelmord in die Kriminalgeschichte ein. Die Beamten ermitteln schnell, dass zwischen dem Nebelmord vom Böhmteich und dem Siestamord in Taubitz eine Verbindung besteht. Beide Morde wurden mit der gleichen Tatwaffe verübt. Die Mordfälle schlagen in Österreich hohe Wellen- sowohl in den Medien als auch in der Bevölkerung.

Der Fall Johann Bröderbauer wird neu aufgerollt und die Öffentlichkeitsfahndung in den beiden Fällen verstärkt. Erneut wird das Phantombild des mutmaßlichen Täters aus Taubitz veröffentlich. Ein halbes Jahr wird es noch dauern, bis der Täter gefasst wird- es hilft etwas der Kommissar Zufall.

Am 23. März 1977 wurde in einen Löwa- Markt (heute Zielpunkt) in der Wiener Neustadt eingebrochen. Ein verdächtiger Personenwagen mit einem Kennzeichen aus Niederösterreich wird am Tatort beobachtet. Die Gendarmerie überprüfte zahlreiche Personen aus dieser Region, darunter auch den wegen zahlreicher Einbrüche vorbestraften Hermann T. Eine Überführung wegen des Einbruchs in der Wiener Neustadt gelingt zunächst nicht. Einen Beamten aus dem Einbruchsdezernat fällt im Flur des Polizeipräsidiums nach dem Mord in Allentsteig das Phantombild des Siestamörders auf und erinnert sich an die Vernehmung von Hermann T. Der 21 jährige Mann aus Allentsteig wird zur Vernehmung geladen und von einem Verhörspezialisten befragt. Zunächst gesteht Hermann T. zahlreiche Einbrüche und streitet die Morde von Taubitz und Allentsteig ab. Es dauert jedoch nicht lange und T. fängt an zu reden. Er gesteht beide Morde. Am 21. April 1978 wird der Siestamörder von Landesgendarmeriekommando Niederösterreich festgenommen und es ergeht wegen zweifachen Mordes Haftbefehl.

In der Bevölkerung herrscht nach der Aufklärung große Erleichterung, allerdings auch große Verwunderung über die Kaltblütigkeit eines so jungen Täters, der auf Bildern eher als Klosterschüler rüberkommt. Grundlage für den Fahndungserfolg war die Täterbeschreibung der zwei Zeugen, die mit dem Mörder von Johann Bröderbauer nach dessen Tat gesprochen hatten. Die Presse bezeichnet das Phantombild als eins der besten und genausten der Kriminalgeschichte. Die Staatsanwaltschaft Krems erhebt Ende 1978 Anklage wegen zweifachen Mordes und mehrfachen Einbruchsdiebstahls- der Prozess wird am 8. Januar 1979 vor dem Geschworenengericht des Kremser Kreisgerichts eröffnet. Da Hermann T. zum Zeitpunkt der Taten nach österreichischem Recht noch nicht erwachsen war, droht ihm bei Verurteilung nur eine Strafe von 10 bis 20 Jahren.

Vor Gericht bekennt sich der Angeklagte im Sinne der Anklage für schuldig und gesteht beide Morde. Er erzählt vor Gericht von seinem Leben und erklärt, warum er zum Doppelmörder wurde. Hermann T. wird als eines von mehreren Kindern eines biederen Landwirtschaftsehepaares geboren. Der Vater arbeitete noch zusätzlich, um den Kindern eine bessere Ausbildung zu ermöglichen. Der Angeklagte besuchte die Höhere Technische Lehranstalt in Krems und war in den ersten beiden Jahren im Bundeskonvikt. Er war ein guter Schüler- bis er eines Tages nicht mehr wollte. Er dachte an eine Lehrstelle, wollte so bald wie möglich unabhängig werden, sein eigenes Geld verdienen und ein Auto haben. Der Streit eskaliert, als sein Vater eine geplante Ferienfahrt nach Frankreich nicht erlaubt. Zwei Freunde hatten bereits die Tickets bestellt und er durfte nicht mitfahren. Die Enttäuschung ist groß. Während der Ferien muß er im elterlichen Betrieb mithelfen, während er geplant hatte, als Praktikant zu arbeiten und mit dem Verdienst nach Frankreich zu reisen.

Es folgt der erste Einbruch. Gleich hier erbeutet er eine Pistole. Die Pistole, mit der er später zwei Menschen ermorden wird. Er denkt daran, zur Fremdenlegion zu gehen. Frankreich hat es ihm angetan- doch dafür, so denkt er, braucht er ein Auto. Plötzlich findet er es: der grüne VW Passat, in dem der Zündschlüssel steckt und auf dem Gelände von Johann Bröderbauer steht. Er findet Bröderbauer auf seiner Veranda tief schlafend in einer Campingliege vor. Er will nur das Auto, glaubt aber, dass sein Opfer beim Starten des Motors aufwachen und ihn später identifizieren wird. Er denkt daran, sein Opfer zu betäuben, findet aber nichts, womit er ihn niederschlagen könnte. Es braucht drei Versuche. Erst als sich Bröderbauer im Schlaf bewegt, drückt er zwei Mal ab. Er merkt, dass der Postbeamte sofort tot ist. Über den blutenden Kopf des Toten legt er ein Geschirrtuch- ein Mörder, der nicht zusehen kann, wie er mordet und der den Anblick seines Opfers nicht erträgt.

Er erbeutet etwas mehr als 1500 Schilling und flüchtet mit dem Wagen des Opfers. Er ist nicht geübt, nimmt während der Fahrt mehrere Leitplanken mit. Erst jetzt denkt er darüber nach, dass er kaum über die Grenze kommen kann, ohne aufzufallen. Er läßt den Wagen in Krems stehen.

Nach der Tat verlässt er vorzeitig die Schule, doch seine Versuche, selbständig zu werden, scheitern. Er hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, wechselt jedoch häufig die Arbeitsplätze. Im Oktober 1977 sucht er wieder Arbeit- es wird jedoch nichts daraus. Auf den Rückweg will er Enten schießen und zwar mit der Waffe, mit der er schon Johann Bröderbauer erschossen hatte. Als der Finanzbeamte Franz E. vorbeifährt und aussteigt, glaubt der Angeklagte, von einem Jagdaufseher ertappt worden zu sein und gerät in Panik. Er befürchtet, dass der Mann ihm seine Waffe abnehmen könnte und er so wegen des Mordes in Taubitz überführt werden könnte. Seine Waffe könnte ihn bei einem Waffenvergleich verraten, daher schießt er ohne Vorwarnung auf den 37- jährigen und tötet ihn durch Nahschüsse.

Drei Wochen später steht mit einem Freund am Bahnhof im Krems und sieht das Phantombild des Siestamörders. Sein Freund sagt: „Der Mörder sieht aus wie du“ Er lacht nur und sagt: „Wirklich“- sein Freund schweigt. Er weiß jetzt aber, dass er von der Polizei gejagt wird. Er entsorgt die Waffe in der Donau. Den Beamten gelingt es jedoch, die Tatwaffe bei Hundsheim (Bezirk Bruck an der Leitha) zu bergen.

Vor Gericht bezeichnen die Zeugen den Angeklagten als „netten und sympathischen Burschen“. Auch die beiden Bauern, die T. nach dem Mord an Johann Bröderbauer geholfen hatten und den Wagen, der in einem Acker festgefahren war, mit dem Traktor wieder flottgemacht hatten, beschreiben den Angeklagten als höflich. T. habe lediglich einen nervösen und betrunkenen Eindruck auf sie gemacht, jedoch einen netten Gesichtsausdruck gehabt. Dass sie einen Mörder an diesem Tag gegenüber gestanden haben, können sie bis heute noch nicht glauben.

Der Vater des Angeklagten beschreibt seinen Sohn als braves Kind, dass nie Schwierigkeiten gemacht und sehr fleißig im Betrieb mitgeholfen habe. Lediglich in der Schule hätte er besser sein können.

Auch ein Freund und Zimmerkollege aus dem Internat sagt vor Gericht aus. T. habe ihm einmal jene Waffe gezeigt, mit der er später zwei Morde begangen hatte. Er habe gedroht, bei der Heimleitung eine Meldung über die Waffe zu machen, daraufhin sei die Waffe nie mehr zum Vorschein gekommen. Auch der Freund hätte ihm nie einen Mord zugetraut.

Auch die zwei Beamten, die T. verhört hatten, konnten es erst nicht fassen, dass so ein liebes Bürscherl zwei Morde verübte. Nach dem Geständnis habe der Angeklagte erleichtert gewirkt.

Vor den Plädoyers werden kurz die Einbrüche verhandelt. Zeugen identifizieren die Beute. Die Anklage fordert in ihrem Plädoyer wegen der Kaltblütigkeit der Taten eine 20-jährige Freiheitsstrafe, die Verteidigung wegen der mangelnden Reife des Angeklagten und der Geständnisse eine Strafe im unteren Bereich. In seinem Schlusswort erklärt der Angeklagte, für seine Taten verdiene er die Todesstrafe.

Am 12. Januar 1979 verurteilt das Geschworenengericht des Kreisgerichts Krems Hermann T. wegen zweifachen Mordes, Raubüberfall und Diebstahl zu 20 Jahren Haft.
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#2

Re: 4.6.1976 FF 1 (LGK Niederösterreich) Mordfall Johann Bröderbauer- Der Siestamörder von Taubitz

in Filmfälle 02.02.2013 09:05
von TheWhite1961 • 1.160 Beiträge
Vielen Dank an Bastian für dieses interessante Review eines Filmfalles der mir auch immer im Gedächtnis geblieben ist(nicht nur wegen der äußerst kaltblütigen Tatausführung sondern auch wegen des grünen VW Passat). Für mich ist es neben dem Mordfall Kaja B. der beste und interessanteste österreichische Filmfall. Ich erhebe hiemit ein auf Bastian.

Gruß Thomas
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#3

Re: 4.6.1976 FF 1 (LGK Niederösterreich) Mordfall Johann Bröderbauer- Der Siestamörder von Taubitz

in Filmfälle 02.02.2013 09:56
von TheWhite1961 • 1.160 Beiträge
Noch eine kleine - trotz des ernsten Themas - amüsante Anmerkung. Man sieht, daß auch krankfeiern gefährlich sein kann. Als Beispiel sei hierzu auch der "Münzsammlung" Fall Hans-Dieter K. aus Kelsterbach genannt der in der Sendung vom 30.11.90 als Fimfall 3 behandelt wird. Auch er war im Krankenstand als er ermordet wurde. Diesen Fall kann man im allseits bekannten Portal übrigens noch anschauen. Er ist übrigens auch nach 23 Jahren immer noch ungeklärt.
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#4

Re: 4.6.1976 FF 1 (LGK Niederösterreich) Mordfall Johann Bröderbauer- Der Siestamörder von Taubitz

in Filmfälle 02.02.2013 11:42
von uschi • 132 Beiträge
Hallo Bastian,

vielen Dank für das wie immer spannende und informative Review. Trotz des ernsten Hintergrunds musste ich an zwei Stellen schmunzeln:

Zum einen scheint der Täter trotz seiner äusserst schwerwiegenden Taten ja ziemlich schreckhaft gewesen zu sein - fast klingt es als ob er jedes mal in Notwehr gehandelt hat.

>Als es wieder ruhig ist, steigt T. erneut die Treppen zur Terrasse hinauf und bekommt es wieder mit der Angst zu tun.
> Da feuert T. zweimal aus Panik ....
>Der mittlerweile 19- jährige Hermann T., der die Pistole vom ersten Mord in Taubitz bei sich trägt, gerät in Panik...


dann noch mal bei folgender Passage :

> Die Tat hat ihn verändert. Hermann T. geht von der Schule ab, doch seine Versuche, beruflich Fuß zu
> fassen, scheitern kläglich. In den folgenden zwei Jahren begeht er mehrere Einbrüche, rutscht immer
> mehr in die Kleinkriminalität ab und wird dafür verurteilt.

Kann man nach einem Mord noch in die Kleinkriminalität "abrutschen" - eigentlich wäre das doch eine Verbesserung :-)

Beste Grüsse von der gut gelaunten
Uschi
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#5

Re: 4.6.1976 FF 1 (LGK Niederösterreich) Mordfall Johann Bröderbauer- Der Siestamörder von Taubitz

in Filmfälle 02.02.2013 13:55
von Haddock • 99 Beiträge
Auch von mir herzlichen Dank für das wieder einmal gelungene Review.
Die Taten selbst erschienen mir auch etwas apologetisch beschrieben - fast so, als blieb dem Mörder keine andere Wahl.
Liegt aber halt daran, dass es aus Sicht des einzigen Ueberlebenden geschildert ist - eben des Mörders...
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#6

Re: 4.6.1976 FF 1 (LGK Niederösterreich) Mordfall Johann Bröderbauer- Der Siestamörder von Taubitz

in Filmfälle 03.02.2013 23:25
von Oma Thürmann • 766 Beiträge
Danke, Bastian, für das glänzende Review!

Ergänzend kopiere ich neben den Screens noch den Beitrag aus dem Feuer-Thread hinein; manches überschneidet sich mit Bastians Ausführungen, aber der Schwerpunkt liegt bei mir mehr auf dem Filmischen, und so haben wir dann verschiedene Perspektiven in einem gemeinsamen Thread:

Ein Lichtschein im Dunkeln lockt die Kamera näher, fröhliche Stimmen machen die Annäherung empfehlenswert, denn was da brennt, das ist kein Gebäude, erst recht kein Mensch, es ist ein Feuer in einem gemauerten Außenkamin in der Nähe des Dorfes Taubitz in Niederösterreich. Der Verlockung einer Großaufnahme der züngelnden Flammen kann Kurt Grimm nicht widerstehen, ehe der Anlass der Festivität berichtet wird: Der 53-jährige Postbeamte Johann B. hatte für diesen 22. Juni 1975 (anders als der Sprechertext sagt, ein Sonntag) anlässlich des Sommeranfangs zu einer Sonnenwendfeier geladen (die Arbeiter-Zeitung, die am 8. Juli 1975 über den Fall berichtete, spricht unter Berufung auf die Ermittler weniger romantisch von "Trinkgelagen", die das Opfer öfter veranstaltet habe und unter deren Teilnehmern der Täter zu suchen sein könnte); die frohe Runde löst sich gerade auf, als letzte Gäste verlassen Hermann K. und seine Frau das Jagdhaus der Eheleute B., die ihren Hauptwohnsitz im etwa 40 Kilometer entfernten Krems haben. Für den nächsten Tag, einen Montag, ist verabredet, dass K. seinem Freund frische Landbutter vorbeibringt.

Der krankgeschriebene Johann B. fährt am Morgen des 23. Juni 1975 seine Frau in deren Kunstgalerie nach Krems, sucht sie nach einem Arztbesuch dort nochmals kurz auf und macht sich danach auf den Weg in das Jagdhaus, "das er in den letzten Jahren mit viel Liebe zu einem ansehnlichen Landsitz ausgebaut hat". Es ist nur scheinbar ein Routine-Abschied, tatsächlich ein Abschied für immer: "Frau B. verabschiedet sich an diesem Tag von ihrem Mann beiläufig, wie oft, wenn er für ein paar Tage allein zum Jagdhaus fährt." Ein letzter Blick über die Schulter auf den Ehemann, wie er vor der Galerie in seinen grünen VW Passat steigt, ein letztes Mal winkt und davonfährt. Die Kamera versucht dem Wagen zu folgen, bleibt aber hinter dem zweiten Fenster des Geschäfts an der Wand hängen, ein Augenblick für die Ewigkeit.

Auf seinem Weg zum Jagdhaus wird Johann B. mehrmals gesehen, und zwar allein. Am Nachmittag schleicht sich ein junger Mann auf die Terrasse des Jagdhauses, tötet den dort auf einer Liege schlafenden Johann B. mit zwei Pistolenschüssen in den Kopf und legt ihm ein Handtuch über das Gesicht. In der nächsten Szene kommt der Sensenmann in Gestalt eines benachbarten Landwirts in Begleitung seiner Frau, beide mit wenigen Strichen meisterhaft gezeichnet: Er mit hochgekrempelten hellkarierten Hemdsärmeln unter dunkelblauer Latzhose und mit mächtiger Sense über der rechten Schulter; sie umgekehrt mit hellblauer Schürze über kurzärmeligem, dunkelblauem Sommerkleid, mit weißem Kopftuch und einem Weidenkorb; die beiden gehen einen Feldweg entlang, der von vereinzelten Bäumen gesäumt wird, im Hintergrund sind die Berge zu erahnen. Weiblichem Durchsetzungsvermögen (weniger Wohlmeinende könnten es Zickigkeit nennen) ist es dann zu verdanken, dass die Lage sich nicht zuspitzt: Die Bäuerin legt ihr Veto dagegen ein, dass ihr Angetrauter sich zu Johann B. ins Haus begibt, denn sie weiß, aus den versprochenen paar Minuten würden Stunden werden, wenn die beiden erst einmal über die Jagd plaudern. Diese prekäre Situation hat es verdient, aus zwei Perspektiven gezeigt zu werden, zunächst aus Sicht des vor dem Haus stehenden Bauernehepaares, die Kamera weiß mehr als die beiden Ahnungslosen und fährt zoomend hoch in den ersten Stock zum Schlafzimmer, wo der Täter am gekippten Fenster steht, nur unzureichend getarnt von der spiegelnden Scheibe. Dann folgt eine Einstellung aus dem Schlafzimmer, über die Schulter des Täters hinweg sieht die Kamera aus dem Fenster auf die Gefährdeten, die klein wie Spielzeugfiguren erscheinen, dem Täter offensichtlich ausgeliefert. Mürrisch muss sich der Bauer dem Verdikt der gestrengen Gattin beugen, er wird es ihr sicher danken. Als die beiden weitergehen, bleibt die Kamera an B.s Auto hängen, dem Tatmotiv, wie sich später herausstellen sollte. Der Täter raubt Bargeld und steigt schließlich in den Wagen des Opfers, der Blick der Kamera liegt dabei schräg durch Seiten- und Heckscheibe (!) auf dem Toten auf der Terrasse. Der ungeübte Autofahrer würgt erst einmal den Motor ab, hinterlässt beim Losfahren mit durchdrehenden Rädern deutliche Spuren im Schotter, fährt in spektakulärer Manier (mit quietschenden Reifen, beim Bremsen quergestelltem Fahrzeug und Sprung der Spaziergänger in den Graben) beinahe ein Urlauberpaar über den Haufen (womit hat die blonde Schönheit eigentlich den kahlen Alten verdient?) und landet einige Kilometer danach in einem "Erdäpfelacker", aus dem er nur mit Hilfe eines Traktors wieder herausfindet, den helfenden Bauern fällt lose in der Hemdtasche aufbewahrtes Geld auf.

Am frühen Abend trifft B.s Freund Hermann K. verabredungsgemäß mit der Butter ein, er findet den Toten. Das Auto wird noch in derselben Nacht in Krems sichergestellt.

Der Fall ist im Online-Archiv der Arbeiter-Zeitung gut dokumentiert, worauf schon im Österreich-Thread hingewiesen wurde. Für dieses Archiv wurden alle Ausgaben der AZ von 1945 bis 1989 eingescannt. Da es sich um Bild- und nicht um Textdateien handelt, ist eine Textsuche leider nicht möglich, man muss also virtuell blättern. Aus den entsprechenden Artikeln (die wichtigsten habe ich verlinkt) ergibt sich folgendes Bild: Nach einem Einbruch in einen Lebensmittelmarkt in Wiener Neustadt wurde im April 1978 der wegen mehrerer Einbrüche vorbestrafte 20-jährige Hermann T. festgenommen, bei seiner Vernehmung fiel einem der Beamten die Ähnlichkeit mit dem Phantombild des gesuchten Mörders auf, T. gestand schließlich den Mord an Johann B. sowie den Mord an dem 37-jährigen Finanzbeamten und zweifachen Vater Franz E. vom 21. Oktober 1977. Hermann T. hatte an einem Teich in Allentsteig mit der Mordwaffe aus dem Fall B. Enten schießen wollen und tötete Franz E. mit fünf Schüssen, weil er ihn für einen Jagdaufseher hielt und befürchtete, dieser könne ihm die Waffe abnehmen, was zu seiner Überführung als Mörder führen würde. Nach diesem zweiten Mord warf T. die Waffe in die Donau, wo sie nach seiner Festnahme geborgen werden konnte. Am 8. Januar 1979 begann vor dem Kreisgericht Krems der Prozess gegen T., in dessen Verlauf Vorgeschichte und Motiv des Mordes an Johann B. bekannt wurden: Der damals 17-jährige Schüler (er besuchte dieselbe Schule wie der Sohn des Postbeamten) hatte sich mit einem Ferienjob Geld für eine Frankreichreise verdienen wollen, stattdessen aber auf dem Hof der Eltern mithelfen müssen. Daraufhin gingen im Kopf des jungen Mannes aberwitzige Dinge vor sich: Er beging einen Einbruch, bei dem er die spätere Tatwaffe erbeutete, und dachte darüber nach, zur Fremdenlegion zu gehen; dafür aber brauchte er seiner Meinung nach unbedingt – ein Auto! Nach ziellosem Umherstreifen durch die Wälder wurde Johann B., den er flüchtig kannte, zum Zufallsopfer, weil dessen Auto auf dem Grundstück stand und weil T. Sorge hatte, das Starten des Motors könne den Schlafenden wecken. Das Jagdhaus hatte T. anschließend betreten, um mögliche Zeugen zu töten. Auf der Flucht kamen ihm dann Bedenken, mit dem gestohlenen Fahrzeug könne er Probleme an der Grenze bekommen, daher drehte er um und fuhr zurück nach Krems. Nach der Tat verlor er zusehends den Halt, beendete die Schule nicht, wechselte häufig die Arbeit und beging Eigentumsdelikte. Ein Ermittler beschrieb ihn im Prozess fassungslos als "so ein liebes Bürscherl". Zu tiefer liegenden Beweggründen hatte T. nichts zu sagen, seine Standard-Antwort war: "Ja, das hab' ich gemacht", sein eigentlicher Defekt blieb im Dunklen. Am 11. Januar 1979 wurde Hermann T. zu 20 Jahren Haft verurteilt.



Johann B. wird gespielt von Heinz Winter; Vergleichsfoto aus einem seiner zwei weiteren Aktenzeichen-Auftritte (10.08.1973, FF 2, Scheckbetrug):




Als Ehefrau agiert Elvira Neustädtl; zum Vergleich ihre Rolle als Kapo in Auschwitz (1978 in "Holocaust"):




Die österreichische Rekord-Darstellerin Linda Koch-Kaiser (mindestens 18 XY-Rollen) gibt die beinahe über den Haufen gefahrene Urlauberin (in unangemessener Begleitung). Ergänzend ihr erster Aktenzeichen-Auftritt als vermisste Wiener Sekretärin Irene H. (20.10.1972, FF 1) und einer von drei Auftritten als Polizeiärztin in "Kottan ermittelt" (hier aus dem Jahr 1978 in Folge 4, Nachttankstelle):




Über die Identität des Täter-Darstellers muss ich spekulieren: Der einzige weitere Darsteller-Name in dieser Folge, der eindeutig Österreich zuzuordnen ist, lautet Hanns C. Koloini. Dessen imdb-Eintrag (als Hanns Koloini) weist zwei Rollen namens "Micky" und "Dressman" für die Jahre 1969 und 1970 aus, was auf einen eher jungen Darsteller schließen lässt. Seine andere Aktenzeichen-Rolle stammt aus der Sendung vom 11.12.1970 und könnte die des überfallenen Postbeamten in der Steiermark in FF 3 sein. Also: Ganz vielleicht spielt Hanns C. Koloini den Täter:




Schließlich noch: Kurt Grimm dreht einen Östern - Einstellungen wie Gemälde:

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#7

Re: 4.6.1976 FF 1 (LGK Niederösterreich) Mordfall Johann Bröderbauer- Der Siestamörder von Taubitz

in Filmfälle 04.02.2013 00:26
von bastian2410 • 1.662 Beiträge
Super, Oma, das war diesmal nicht abgesprochen, da ich das Review kurzfristig reingeschoben habe. Wieder eine Super- Ergänzung, sogar mit den filmischen Highlights.

In der Tat war die Wiener Arbeiter- Zeitung die Hauptquelle dieser Zusammenfassung, leider lag mir der FF nicht vor, so dass deine Ausführungen optimal passen. Werde auch noch morgen zwei Artikel verlinken, da die Suche in dieser Zeitung sehr schwierig ist.

Aber erst morgen, es läuft gerade Super Bowl (ist Stromausfall im Stadium). Hast noch Bilder aus dem FF zum Fall Friedrich P. zur Abrundung?
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#8

Re: 4.6.1976 FF 1 (LGK Niederösterreich) Mordfall Johann Bröderbauer- Der Siestamörder von Taubitz

in Filmfälle 04.02.2013 16:49
von Oma Thürmann • 766 Beiträge
Beim Fall Friedrich P. muss ich leider passen, der ist darstellerisch für mich ein weißer Fleck.
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#9

RE: 4.6.1976 FF 1 (LGK Niederösterreich) Mordfall Johann Bröderbauer- Der Siestamörder von Taubitz

in Filmfälle 31.12.2013 19:23
von Bettina Rauscher • 1 Beitrag

Hallo

Meine Frage:
Gibt es dazu auch eine DVD Filmausschnitt?

Ich bin aus der Ortschaft Taubitz wuerde mich sehr interessieren.

Danke
Bettina

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#10

RE: 4.6.1976 FF 1 (LGK Niederösterreich) Mordfall Johann Bröderbauer- Der Siestamörder von Taubitz

in Filmfälle 01.01.2014 12:55
von XYAkten • 35 Beiträge

@Bettina Rauscher

Hab dir ne Privatnachricht geschickt.


Diese Plastikschale meine Damen und Herren, habe ich, als ich sie zum ersten Mal sah zunächst für ein Küchengerät gehalten.
(Eduard Zimmermann, Sendung 276 vom 02.06.1995)

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