in Kriminalität
28.05.2010 21:13
von
bastian2410
• 1.677 Beiträge
mit Sicherheit eine Erwähnung wert in diesem Forum:
Das EGMR hat entschieden: Die nachträgliche Sicherungsverwahrung in Deutschland ist teilweise unzulässig,dh Gewaltverbrecher dürfen nachträglich nicht mehr unbegrenzte Zeit inhaftiert werden
Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführer am 5. Oktober 1977 durch das LG Kassel unter Anwendung des Jugendstrafrechts wegen versuchten Mordes, gemeinschaftlichen Raubes, gefährlicher Körperverletzung und räuberischer Erpressung zu sechs Jahren Jugendstrafe verurteilt. Zwei Jahre später folgte eine Verurteilung durch das LG Wiesbaden wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten und ordnete nach § 63 StGB die anschließende Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Im Jahr 1981 folgte eine weitere Verurteilung durch das LG Marburg im Berufungsrechtszug, da er einen behinderten Mithäftling tätlich angegriffen habe. Nach einer weiteren Verurteilung am 17. November 1986 zu fünf Jahren Freiheitsstrafe wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit Raub wurde Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB angeordnet.
Der Beschwerdeführer hätte demnach am 08. September 2001 entlassen werden müssen. Dies passierte jedoch nicht. Die Sicherungsverwahrung wurde im Frühjahr 2001 auf unbestimmte Dauer verlängert. Im Jahr 1998 erfolgte eine Änderung des Strafgesetzbuchs. Bei der Änderung wurde die Höchstdauer der Sicherungsverwahrung aufgehoben. Wer als besonders gefährlich eingestuft wird, kann auf unbegrenzte Zeit inhaftiert werden.
Im Strafrecht gilt nach Artikel 7 EMRK jedoch ein Rückwirkungsverbot. (Abs. 1: Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war)
Im Februar 2004 billigte das Bundesverfassungsgericht diese Praxis. Nach Auffassung der Verfassungsrichter wäre die Sicherungsverwahrung keine Strafe, sondern eine “Maßregel zur Besserung und Sicherung”. Das Rückwirkungsverbot für Strafen sei hier somit nicht anwendbar.
Der ging vor den Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nach Straßburg: In seinem Kammerurteil vom 17. Dezember 2009 kam der Gerichtshof einstimmig zu dem Schluss, dass darin eine Verletzung von Artikel 5 § 1 (Recht auf Freiheit) und Artikel 7 § 1 (keine Strafe ohne Gesetz) der Konvention vorlag.Darin wurde Deutschland verurteilt einem 52-jährigen Mann 50.000 Euro Schmerzensgeld zu zahlen, da er nachträglich zu einer Sicherungsverwahrung verurteilt worden war. Gleichzeitig unterstrich der Gerichtshof, dass die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers vor Ablauf der Zehnjahresfrist zulässig war.
Ein Widerspruch gegen das Urteil wurde im Mai 2010 abgelehnt. Damit ist das Kammerurteil des Gerichtshofs in dieser Sache vom 17. Dezember 2009 rechtskräftig.
Was bedeutet das jetzt für Deutschland: Die Verhängung der Sicherungsverwahrung ist insgesamt (trotz vieler anders lautender Presseberichte) nicht gekippt. Diese Frage wurde nicht aufgeworfen vor dem EGMR. Es geht allgemein nur um die “rückwirkende Sicherungsverwahrung”. Davon sind ca. 70 Häftlingen z.Zt. in Deutschland betroffen.
Im vorliegenden Fall des 52j. Gewaltverbrechers, der in der JVA Schwalmstadt einsitzt, schloss sich das LG Marburg dem Urteil des EGMR an und ordnet dessen Freilassung an. Die Staatsanwaltschaft hat Beschwerde beim Oberlandesgericht Frankfurt einlegt. Die Beschwerde hat aufschiebende Wirkung, so dass der Mann weiterhin in Sicherungsverwahrung verbleibt. 5 weitere Sexualstraftäter aus der JVA Schwalmstadt müssen nach diesem Urteil ebenfalls freigelassen werden.
Welche Folgen das Straßburger Urteil auf derartige Fälle hat, ist unter Juristen umstritten. Im Saarland ist ein 61j. Mörder eines 13-jähriges Mädchens (1969) freigelassen worden. Sollte es zu einer Welle von Entlassungen von Schwerverbrechern kommen, wird zu Zeit die Überwachung mit Hilfe einer elektronischen Fußfessel geprüft. Zudem sollen diese Täter 24 Stunden am Tag observiert werden.
Re: EGMR kippt die nächträgliche Sicherungsverwahrung
in Kriminalität
29.06.2010 09:57
von
bastian2410
• 1.677 Beiträge
die Sicherungsverwahrung nach dt. Recht wird jetzt also reformiert. Eine Sicherungsverwahrung soll es nur dann geben, wenn sie bereits im Urteil vorgesehen war - zumindest vorbehaltlich. Diese vorbehaltene Sicherungsverwahrung, bei der die Richter die endgültige Anordnung offenhalten, soll künftig in mehr Fällen angewendet werden. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung, die erst am Haftende angeordnet wird, soll es dagegen nicht mehr geben. Zudem ist eine Sicherungsverwahrung nur noch Sexual- und Kapitalverbrechen vorgesehen. Umkehrschluss: Bei einem Serienbetrüger oder -einbrecher ist eine Sicherungsverwahrung nicht mehr vorgesehen.
Bei weiterhin gefährlichen Menschen soll nach der Haftentlassung die elektronische Fußfessel zum Einsatz kommen.
Allerdings gehen Experten davon, dass die Sicherungsverwahrung insgesamt und auch der Einsatz von Fussfesseln auf rechtiche Bedenken stoßen werden.
Re: EGMR kippt die nächträgliche Sicherungsverwahrung
in Kriminalität
29.06.2010 10:06
von
bastian2410
• 1.677 Beiträge
insgesamt sind 70- 80 Straftäter von dem Urteil des EMGR betroffen, bei denen die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wurde. Diese Straftäter müssen, wenn ihre reguläre Haftzeit abgelaufen ist, sofort entlassen werden.
Für unsere Münsteraner: Das Landgericht Münster ist eins der ersten Gerichte, die eine nachträgliche Sicherverwahrung abgelehnt hat. Der Täter aus dem Lkr. Borken (kommt aus der Nachbargemeinde des letzten xy Treffen) wird also nach der Haftzeit (in 2 Jahren) entlassen. Er hatte 1997 eine 16-jährigen Schülerin ermordet und erhielt lebenslang.