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09.09.1988 SF 1 (Interpol Wien) Fahndung nach Udo Proksch und Hans-Peter Daimler: Die Lucona-Affäre

in Studiofälle 13.09.2010 20:11
von bastian2410 • 1.678 Beiträge
Die spektakulärsten Studiofälle in Aktenzeichen xy
Die Lucona Affäre
(Studiofall 1 vom 09.09.1988 Interpol Wien Fahndung nach Udo Proksch und Hans-Peter Daimler)


Die Lucona Affäre zählt bis heute zu den größten Betrugsfällen in Österreich und führte auch zum größten politischen Skandal Österreichs. 16 Politiker, Juristen und Spitzenbeamte wurden von ihren Posten entfernt, angeklagt oder verurteilt; der österreichische Verteidigungsminister Lütgendorf beging (wahrscheinlich, die Umstände sind bis heute nicht ganz geklärt) Selbstmord. Der Fall bewegte über 15 Jahre die Bevölkerung in Österreich und in Deutschland und fand seinen Abschluss erst 1997 vor dem Landgericht Kiel.

Der Fall:

Die Lucona war ein Massengutfrachter und wurde 1966 auf der Büsumer Werft GmbH in Büsum gebaut und lief am 15. Oktober 1966 vom Stapel.

Der Frachter wurde 1976 von Udo Proksch, damaliger Prokurist eines Wiener Kaffeehauses, gechartert. Die Ladung, angeblich eine Uranerzaufbereitungsanlage, wurde bei der Wiener Bundesländer Versicherung für eine Deckungssumme von 212 Millionen Schilling (ca. 30 Millionen DM) versichert.
Am 23. Januar 1977, am Nachmittag um vier, reißt eine gewaltige Detonation das unter panamaischer Flagge fahrende Frachtschiff "Lucona" auseinander. Binnen zwei Minuten sinkt der Frachter, zieht sechs der zwölf Besatzungsmitglieder mit sich in die Tiefe. 6 Besatzungsmitglieder überleben die Explosion. Seitdem liegt das Wrack, 4 200 Meter unter der Wasseroberfläche, im Indischen Ozean, in der Nähe der Malediven.
Der Frachtversicherer war seinerzeit überzeugt, daß die "Lucona" anstelle der ausgewiesenen Uranerz-Aufbereitungsanlage nur wertlosen Schrott an Bord hatte, und verweigerte daher erfolgreich die Zahlung der Versicherungsleistung in Höhe von 212 Millionen Schilling. Zudem stellte die Versicherung Strafanzeige wegen Versicherungsbetrug. Wegen Prokschs hervorragender Beziehungen in die höchsten Kreise der Politik unternahmen die Ermittlungsbehörden lange Zeit nichts, um den Vorwürfen auf den Grund zu gehen. Seine Freundschaften und Beziehungen sind in den selbstverliebten Wiener Bussi-Kreisen Legende. Ex-Kanzler Kreisky bezeichnete ihn als Ehrenmann, Außenminister Gratz nannte ihn seinen Freund, Verteidigungsminister Lütgendorf half Proksch, die militaristischen Neigungen seiner Clique zu befriedigen (dank ihm konnte Proksch mit einem Kampfflugzeug über Wien fliegen.), andere Minister genossen die rauschenden Partys in jenem "Club 45", der in Prokschs "Hofbäckerei Demel" Wiener Promis, Ost- und West-Agenten sowie Vertreter der Unterwelt zusammenführte.

Erst am 15. Februar 1985 wurden Proksch und Hans Peter Daimler wegen Betrugsverdachts verhaftet, aber schon am 28. Februar wieder auf freien Fuß gesetzt. Danach passiert dank der politischen Kontakte 3 Jahre nichts. Durch die Aufdeckungsarbeit zweier Journalisten begann die Aufarbeitung des Lucona-Skandals, der in Österreich als „Jahrhundertskandal“ gilt. Er führte unter anderem zum Rücktritt des Nationalratspräsidenten Leopold Gratz und des Innenministers Karl Blecha, weil sie Prokschs Freilassung aus der Untersuchungshaft bewirkt hatten und weitere Ermittlungen verhindert hatten. Nach Erscheinen des Buchs tauchen Proksch und Daimler unter.

Am 9.9.1988 strahlt xy für Interpol Wien die Fahndung nach Proksch und Daimler aus. Für Udo Proksch besteht ein internationaler Haftbefehl, der 1988 auf sechsfachen Mord erweitert wurde, für Hans- Peter Daimler nur ein nationaler Haftbefehl für Österreich. Er darf somit in Deutschland nicht festgenommen werden. Proksch wurde nach einer Flucht nach Asien (inkl. Gesichtsoperation) und durch halb Europa am 2. Oktober 1989 (unter dem Namen Alfred Semrad) auf dem Flughafen Wien- Schwechat verhaftet.

1990 beginnt in Wien der Prozeß wegen sechsfachen Mordes, sechsfachen Mordversuch und versuchten Versicherungsbetrugs gegen Udo Proksch. Proksch bestreitet jedoch vor Gericht die Vorwürfe Da das Gericht anhand der Akten nicht zweifelsfrei klären kann, ob das Schiff durch eine Explosion versenkt wurde bzw. wo genau der Sprengstoff deponiert war, beauftragen die Richter eine Firma, um nach der Lucona zu suchen und so den Tatablauf rekonstruieren zu lassen. Im Prozess kristallisiert sich die entscheidende Frage heraus, ob der Sprengsatz in einem der beiden Laderäume deponiert war, wie bisher vermutet wurde, oder in der Bugspitze, der sogenannten Vorpiek. Denn Proksch und Daimler hatten nur ein einziges Mal die Gelegenheit, etwas unentdeckt an Bord zu schleusen, nämlich als die Lucona im Januar 1977 im italienischen Chioggia ankerte. In einem Container hätten Proksch und Daimler problemlos einen großen Sprengsatz in den Laderaum schmuggeln können. Die Vorpiek hingegen war während der gesamten Beladung verschlossen. Niemand hätte dort unbemerkt eine Bombe deponieren können, die nach Schätzung der Gutachter eine Sprengkraft von mindestens 500 Kilogramm Dynamit hatte. Die Suchaktion, die Österreichs Steuerzahler rund 1,6 Millionen Dollar kostet und damit bis heute das teuerste Beweissicherungsverfahren in der österreichischen Justizgeschichte ist, soll ein wichtiges Beweisstück im Mord- und Betrugsprozess Proksch liefern.
Das Unternehmen fand das Wrack und ließ es von Tauchrobotern filmen, fünfzehn Stunden Videobänder und rund hundert Standbilder lagen somit vor. Sie zeigen ein Trümmerfeld am Meeresboden: Am Bug ist die Lucona völlig zerstört. Das Hinterschiff weist hingegen nur relativ geringe Schäden auf. Fazit: Der Sprengsatz sei vermutlich im vorderen der beiden Laderäume deponiert gewesen. Eine Explosion in der Vorpiek halten die Gutachter dagegen für "sehr unwahrscheinlich".

Im März 1991 verurteilten die Wiener Richter den Angeklagten wegen 6mal Mord, 6mal Mordversuch und versuchten Versicherungsbetruges zu 20 Jahren Haft. Die Anklage geht jedoch in Berufung und erreicht ein Jahr später eine lebenslange Haft für Proksch.

Da die Verurteilung auch auf Mord lautet, wird sofort auch ein internationaler Haftbefehl der Wiener Behörden auf Hans Peter Daimler ausgestellt. 24 Stunden später wird er in Kiel festgenommen. Die Anklage lautet auf gemeinschaftlichen Mord in sechs Fällen, versuchten gemeinschaftlichen Mord in weiteren sechs Fällen, gemeinschaftliches Herbeiführen einer lebensgefährlichen Sprengstoffexplosion und gemeinschaftlichen Betrugsversuch vor. Das Verfahren findet im Juli 1991 vor dem Landgericht Kiel statt, der längste und teuerste Prozeß in der schleswig-holsteinischen Justizgeschichte. Die Hauptverhandlung ist auf mehr als 200 Tage angesetzt. 64 Zeugen und mehrere Sachverständige sollen vernommen werden. Verteidiger des Angeklagten ist Wolfgang Kubicki, heute Vorsitzender der FDP-Fraktion im Landtag in Kiel und Erich Samson, der Uwe Barschel posthum vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss vertrat.
Erst 3 Monate später wird die Anklageschrift verlesen, nachdem die Verteidigung immer wieder Verfahrenunterbrechungen durchgesetzt hatte, um das umfangreiche Beweismaterial zu sichten bzw. über Befangenheitsanträge zu entscheiden. Der Angeklagte verweigerte zum Anfang des Prozesses die Aussage. Der Prozess zieht sich über Jahre hin, immer wieder unterbrochen durch Anträge der Verteidigung. Zwei wichtige Zeugen der Anklage sterben, einer an Krebs und der andere durch einen Verkehrsunfall.

4 Jahre nach Prozeßauftakt, am 268 Verhandlungstag, sagt der Anklagte dann aus. Der Verteidigung war es bis dahin nicht gelungen, den dringenden Tatverdacht gegen Daimler zu entkräften. Er erklärt sich in den wesentlichen Punkten der Anklage für nicht schuldig. Ausführlich erzählte Daimler, daß Udo Proksch bei allen Geschäften die Fäden zog, er die schillernde Figur mit besten Kontakten zu österreichischen Politikern schalten und walten ließ. Zudem räumte ein, im Rechtsstreit um die Versicherungsmillionen für die Ladung des Schiffes Unterlagen gefälscht und vor Wiener Zivilgerichten falsche Angaben gemacht zu haben. Mit dem Untergang der Lucona habe er nichts zu tun.
Nach fast fünf Jahren Prozeß dann die Plädoyers. Die Staatsanwaltschaft hält Daimler für einen Mittäter von Proksch und fordert lebenslange Haft. Die vier Verteidiger, die zunächst noch über einen Anschlag eines Geheimdienstes auf die "Lucona" spekuliert hatten, ließen durchblicken, daß sie mit einem Urteil wegen Beihilfe zum Mord und einem Strafmaß von nicht mehr als vierzehn Jahren einverstanden sein.
Am 12.6. 1997, nach 308 Verhandlungstage und über 120 Zeugen fällt das Landgericht Kiel das Urteil: 14 Jahre für die Beihilfe an dem mörderischen Komplott. Die Kammer sieht in Proksch den Herrn und in Daimler, dem Planer, Erfinder und Gestalter, seinen Knecht. Zugunsten von Daimler nahm das Gericht an, daß er sich gegen den blutigen Ausgang des spektakulären Betrugsversuchs gewehrt haben könnte. Deshalb "nur" Beihilfe zum Mord. Andererseits besteht für die Kammer kein Zweifel daran, daß Daimler vom Sprengstoff an Bord der "Lucona" gewusst haben muss. Wer etwas anderes annimmt, wird der Intelligenz dieses Angeklagten nicht gerecht. Da die Staatsanwaltschaft keine Revision eingelegt, wird der Fall Lucona 20 Jahre nach seinem Untergang zu den Akten gelegt. Beide Verfahren kosteten über 10 Millionen DM.
Proksch stirbt im Juni 2001 in Haft an den Folgen einer Herztransplantation, im gleichen Jahr wird Hans Peter Daimler aus der JVA entlassen.
In Österreich gilt der Fall Lucona als einer der größten Kriminal- und Politikaffären des Landes. Viele Politiker mussten ihren Hut nehmen. Auch mysteriöse Todesfälle rundum die Affäre sorgten für Spekulationen. Angefangen beim Schiffskonstrukteur, der 1988 auf einem Feldweg im schweizerischen Veyvey tot aufgefunden wurde. Sein Auto stand mit geöffneten Türen 25 Kilometer vom Fundort der Leiche entfernt. Dann der Verkehrsunfall eines Zeugen. Aber auch der Mordanschlag auf Alfred Herrhausen, Chef der Deutschen Bank, der 1989 bei einem Sprengstoffanschlag durch die RAF getötet wurde. Proksch hatte in den 80er Jahren um Hilfe bei einem Rüstungsgeschäft ersucht, Herrhausen vermittelte den Österreicher seinerzeit an die Bremer Vulkan-Werft. Verteidigungsminister Lütgendorf nimmt sich 1981 das Leben, auch er war in dieser Affäre verstrickt.
Es wurde nie genau geklärt, womit die Sprengladung gezündet wurde. Eine Fernauslösung scheidet wegen der großen Distanz (6.000 km) zwar aus, allerdings konnte auch die Verwendung eines Zeitzünders nicht nachgewiesen werden. Das österreichische Bundesheer verfügte aber über Zeitzünder, die maximal 21 Tage liefen. Die Lucona lief am 2. Januar 1977 aus Chioggia aus, exakt 21 Tage später, am 23. Januar, erfolgte die Explosion. Die Version einer Explosion mit einem Zeitzünder hielten die Richter sowohl in Wien als auch in Kiel für sehr wahrscheinlich.

Ein absoluter Wirtschaftskrimi, der auch mehrfach verfilmte wurde, u.a mit Jürgen Prochnow in der Hauptrolle. Der Fall „Lucona“, wahrscheinlich der spektakulärste Studiofall in der xy- History.
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