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13.01.1984 FF1 (Kripo Offenbach/Main) "Der Tote, der noch lebt" (Mord an einem Unbekannten)

in Filmfälle 11.02.2013 12:24
von blofeld • 111 Beiträge
Weiß hier jemand etwas darüber, ob Dietmar R. der wegen dieser Sache zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt wurde in der Zwischenzeit entlassen wurde? Er wurde im Gefängnis total religiös und soll sogar zum "Gefängnismissionar" geworden sein.
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#2

Re: 13.01.1984 FF1 (Kripo Offenbach/Main) "Der Tote, der noch lebt" (Mord an einem Unbekannten)

in Filmfälle 13.02.2013 23:01
von bd-vogel • 570 Beiträge
Eine kurze Zusammenfassung dieses Falls, dessen dramatische Entwicklung und Aufklärungsumstände in der Geschichte von XY genauso einzigartig sein dürften wie die Rafinesse des in diesem Fall rechtskräftig verurteilten Mörders und seine spätere Wandlung...

Am 4. August 1983 erstattet die Frau eines Bankangestellten aus Offenbach/Main bei der Kripo Vermißtenanzeige: Ihr Mann Dietmar R., der vor drei Wochen mit seinem Mercedes alleine in den Urlaub gefahren sei, habe ihr nun die Autopapiere und einen Brief zugeschickt, in dem er seinen Selbstmord ankündige. Diesen Selbstmord wolle er als Unfall tarnen, um seine Familie über die Lebensversicherung finanziell abzusichern.

Zwei Tage später, am 6. August 1983, wird an einer Landstraße in der Nähe von Innsbruck ein ausgebrannter PKW der Marke Mercedes und in ihm die verkohlte Leiche eines Mannes gefunden. Die ersten Ermittlungen ergeben, daß es sich um den Wagen des in Offenbach Vermißten Bankangestellten handelt. Die Leiche im Wagen trägt seinen Ehering, und der Gerichtsmediziner stellt fest, daß die Blutgruppe des Toten, der zum Todeszeitpunkt volltrunken gewesen sein mußte, mit der des vermißten Offenbachers identisch ist, bis in die vierte Untergruppe.

Ein tragischer Fall scheint damit geklärt, und am 13. August 1983 wird der Tote im Kreis trauernder Angehöriger beigesetzt.

Dann aber die dramatische Wende: Sechs Wochen später, am 29. September 1983, meldet sich bei der Offenbacher Staatsanwaltschaft ein Mann, der behauptet, der totgeglaubte Bankangestellte Dietmar R. zu sein, was sich auch rasch bewahrheitet.

Als Erklärung tischt der Mann den Ermittlern eine abenteuerliche Geschichte auf: In Innsbruck habe er auf zielloser Umherfahrt am Bahnhof einen Obdachlosen kennengelernt, mit dem er dann einiges getrunken und auf der Suche nach einem noch nachts geöffneten Lokal
in seinem Mercedes in der Umgebung herumgefahren sei. Dabei habe ihn der Fremde plötzlich attackiert, bei seiner Abwehrreaktion sei der Wagen dann die Böschung der Landstraße heruntergestürzt, woraufhin er in Panik den Reservekanister im Innenraum ausgeschüttet und den Wagen in Brand gesetzt habe. Eigentlich habe er den Mercedes in Innsbruck verkaufen wollen und daher zu diesem Zeitpunkt schon einen Golf gemietet gehabt, mit dem er dann weitergefahren sei.

Die Zweifel der Ermittler an dieser Geschichte verstärken sich rasch, zumal die kriminaltechnischen Untersuchungen ergeben, daß der Mercedes bereits auf der Landstraße in Brand gesetzt worden sein mußte und erst danach die Böschung hinabstürzte, wobei der Tote auf dem Fahrersitz angeschnallt gewesen war. Auch erfahren die Beamten, daß der Verdächtige nach dem Autobrand eine Mittelmeerkreuzfahrt gebucht und angetreten hatte. Dietmar R. wird daraufhin unter Mordverdacht festgenommen.

In der XY-Sendung vom 13. Januar 1984 wird der Fall im ersten Fahndungsfilm rekonstruiert - mit, wie Eduard Zimmermann betont, ausdrücklicher Zustimmung des Inhaftierten, der sich Entlastung erhoffe. Die zahlreichen Zuschauerhinweise aber tragen dann dazu bei, daß sich die Indizienkette gegen den Mann schließt - die Ermittlungsbehörden kommen zu der Überzeugung, daß der Mann offenbar von langer Hand einen perfiden Plan entwickelt hatte, einen Unbekannten unter seinem Namen sterben zu lassen:

Offensichtlich hatte der Bankangestellte, der regelmäßig zur Blutspende ging und daher seine eigene Blutgruppe genau kannte, gezielt im Obdachlosenmilieu nach einem Mann gleicher Blutgruppe gesucht, in dem Wissen, daß sich dort am Rande der Gesellschaft viele mit Blutspenden etwas Geld verdienten und daher entsprechende Ausweise besaßen. Den gemieteten Golf hatte er in der Nähe des zuvor ausgesuchten Tatorts abgestellt, dann den von ihm aufgelesenen betrunkenen Mann umgebracht, auf den Fahrersitz des Mercedes geschnallt, den Wagen angezündet und die Böschung hinabstürzen lassen. Anschließend trat er seine Mittelmeerkreuzfahrt an.

Das Darmstädter Schwurgericht, vor dem sich Dietmar R. im Spätsommer 1984 verantworten muß, folgte dieser Darstellung eines vorbereiteten Plans zunächst nicht und verurteilte den Mann im September 1984 zunächst "nur" wegen Totschlags zu 13 Jahren Haft. Der Bundesgerichtshof verwarf jedoch später dieses erste Darmstädter Urteil und verwies den Fall zurück nach Darmstadt.

Dort widerrief Dietmar R. teilweise seine frühere Aussage und gab nun zu, den von ihm am Innsbrucker Bahnhof aufgelesen Unbekannten zunächst erdrosselt zu haben, auf Befehl einer "inneren Stimme", der er sich nicht habe entziehen können. Diesem Plädoyer auf eingeschränkte Schuldfähigkeit folgten die Richter aber nicht - Anfang 1988 verurteilte ein zweites Darmstädter Schwurgericht Dietmar R. zu lebenslanger Haft wegen Mordes. Dieses Urteil wird am Ende rechtskräftig (offenbar nochmals durch ein BGH-Urteil?).

In der von Frank Elstner und Eduard Zimmermann moderierten legendären XY-Sondersendung vom 18. Oktober 1997 wurden der Fall und seine spektakuläre Auflösung von Kurt Grimms XY-Team als Film rekonstruiert (wobei der Name des Täters auch in den verwendeten Ausschnitten des FF vom Januar 1984 per Overdub verändert wurde). Dabei erwähnt Zimmermann auch, daß der Verurteilte ihm Jahre nach dem letzten Prozeß aus dem Gefängnis einen Dankesbrief geschrieben habe, wonach er in der Haft zu Gott gefunden habe und nun ein geläuterter Mensch sei.

Soweit der Überblick (der gleichzeitig mein Kenntnisstand ist) - soweit ich weiß, konnte nie festgestellten werden, um wen es sich bei dem im Mercedes verbrannten unbekannten Toten handelte. Auch weiß ich nichts darüber, ob und wenn ja wann der wegen Mordes an jenem Unbekannten verurteilte Offenbacher inzwischen aus der Haft entlassen worden ist.
Ein undatiertes Interview, das man auf den Webseiten der freikirchlich-evangelischen Initiative "Gefangenen-Dienst Licht im Dunkel" [hier] nachlesen kann, scheint m.E. eine erfolgte Entlassung anzudeuten. Es wäre, auch wenn dadurch keine Tat ungeschehen und kein Opfer wieder lebendig wird, ein bemerkenswertes Schlußwort in diesem einzigartigen Fall.

Ich denke, unser "Hausexperte" Bastian kann vielleicht noch einiges mehr ergänzen zu den beiden Darmstädter Gerichtsverfahren und den Begründungen der Urteile (auch des BGH), für die ich nur Presseberichte als Quelle habe.

Zu erwähnen bliebe schließlich noch, daß eine Folge der allseits bekannten ZDF-Kriminalserie "Derrick" (nämlich Folge 129 mit dem Titel "Ein unheimlicher Abgang", Erstausstrahlung am 17. Mai 1985) große Ähnlichkeiten mit den Fakten dieses XY-Falls besitzt, vielleicht davon angeregt worden ist).

Viele Grüße,
Bernhard.
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#3

RE: 13.01.1984 FF1 (Kripo Offenbach/Main)

in Filmfälle 20.01.2015 23:10
von vorsichtfalle • 698 Beiträge

Mal eine frage zu diesem Klassiker: Warum hat sich der Täter eigentlich später nochmal freiwillig bei der Polizei gemeldet? Bis dahin ging sein PLan doch auf....


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