28. Juli 1958 Tatort Goethestraße in Nürnberg. In 24 Stunden soll der Rechtsreferendar Rudolf "Rudi" Fischhold seine Freundin Inge heiraten. Da Braut und Bräutigam die letzte Nacht vor der Hochzeit nicht gemeinsam verbringen dürfen, verbringt Rudi die Nacht bei seiner Mutter. Beide besuchen am morgen das Grab des Vaters, essen zu Mittag und besuchen am Abend eine Kinovorstellung. Vor dem Schlafgehen nimmt Rudi Fischdorf vor Aufregung eine Schlaftablette. Gegen 23 Uhr legt er sich schlafen. Ein halbe Stunde später reicht ihm die Mutter noch ein Glas Saft; in diesem Saft sind drei weitere Schlaftabletten aufgelöscht.
Gegen Mitternacht hören die Nachbarn zwei schwere Schläge aus der Wohnung der Fischbachs. Als sie an die Tür klopfen, ruft die Mutter, ohne zu öffnen: "Meinem Sohn ist schlecht geworden. Es geht ihm schon besser." Zu dieser Zeit kämpft Rudi um sein Leben. Seine Mutter hatte ihn mit zwei Schnitten die Kehle durchgeschnitten. Er stürzt aus dem Bett, er bricht zusammen, stöhnt, röchelt. Dann setzt die Mutter zum dritten Mal an und sticht erneut zu. Die Tatwaffe, ein Brotmesser, hatte die Mutter sieben Tage vor der Tat gekauft und im Nachtschränkchen aufbewahrt. Nach Angaben der Rechtsmedizin ist nicht auszuschließen, dass Rudi nicht sofort tot war.
Während ihr Sohn verblutet, schreibt die Mutter in ihrem Wohnzimmer einen vier Seiten langen Abschiedsbrief, in dem es heißt: "Ich gehe aus dem Leben und nehme Rudi mit. Bitte, legt Rudi und mich zusammen in ein Doppelgrab. Wir wollen beieinander bleiben." Danach legt sie sich schlafen, nachdem sie ihrem Sohn den Verlobungsring abgezogen hat.
Gegen 8.30 Uhr am nächsten Morgen verlässt die Witwe ihre Wohnung, nachdem sie zuvor 2 300 DM für alle Verbindlichkeiten hinterlegt hat. Eine halbe Stunde später findet ein Freund des Rechtsreferendars, der den Bräutigam zur Hochzeit abholen will, den Toten.
Die Mutter fährt mit dem Zug nach Forchheim und wirft unterwegs das blutige Messer und den Verlobungsring ihres Sohnes aus dem Fenster. Sie will sich vor einem Zug werfen, besucht jedoch davor eine Kirche und steckt zweihundert Mark als Sühne für ihre Tat in die Opferstöcke. Das Vorhaben, sich in Forchheim vor einem Zug zu werfen, gibt sie auf, evt. aus Scham von Bekannten erkannt zu werden. Ring und Tatwaffe werden nie gefunden.
Sie fährt weiter nach Fürth und trinkt dort zunächst in der Bahnhofskneipe einen Kaffee. Auf dem Bahndamm fällt die Frau durch ihr Verhalten den Bahnkunden auf, die umgehend die Bahnleitung informiert. Diese gibt einen Warnhinweis an ihre Lokführer weiter, die Einfahrt- Geschwindigkeit in den Bahnhof wird um 30 km/h reduziert.
Dann wird es dramatisch. Bei den ersten zwei einfahrenden Zügen hatte die Witwe noch gezögert, beim dritten Zug wirft sich die Frau auf die Gleise. Der Lokführer erkennt rechtzeitig die Lebensmüde und bringt den Zug zum Stehen. Noch auf den Bahngleisen vor Eintreffen der Rettungskräfte gesteht die Frau unter Weinkrämpfen Passanten gegenüber die Tötung ihres Sohnes. Die Mutter wird am HBF Fürth schließlich festgenommen.
Die Tat im eigentlichen Sinne ist schnell aufgeklärt. Auch vor der Polizei legt sie ein volles Geständnis ab und bezeichnet ihre Tat als Kurzschlußhandlung. Von Weinkrämpfen geschüttelt erklärt sie der Polizei, daß sie das Leben nach dem Tode ihres Mannes und der bevorstehenden Heirat ihres Sohnes mit seiner 27jährigen Braut nicht mehr für lebenswert gehalten habe. Damit ihr Sohn nicht mit dem Ruf behaftet sei, eine Selbstmörderin als Mutter gehabt zu haben, hätte sie beschlossen, ihn mit aus dem Leben zu nehmen.
Im Zentrum der weiteren Ermittlungen steht aber die Frage, inwieweit die Mutter für ihre Tat zur Verantwortung gezogen werden kann. Um den Geisteszustand der Täterin zu untersuchen, wird sie zunächst in eine Heilanstalt eingeliefert. Bereits wenige Wochen nach der Tat erhebt die StA Nürnberg Anklage wegen Mordes. Durch das Beimischen der Tabletten und den Kauf des Messers sieben Tage vor Tat geht die Anklage von Heimtücke aus.
Durch die medizinischen Untersuchungen wird der Prozeß jedoch erst im März 1960 in Nürnberg eröffnet. Es wird ein reiner Gutachterprozess. Zwar sind sich die Gutachter einig, dass die Angeklagte nicht voll zurechnungsfähig ist und ein Fall des damaligen § 51 S.2 StGB aF (heute § 20 StGB Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen) vorliegt, jedoch wird vor Gericht über das Motiv und die Art der Unterbringung gestritten. Gefängnis oder Heilanstalt, weitere Gefahr für die Allgemeinheit? Auch sexuelle Motive seitens der Mutter werden im Prozess angesprochen.
Die StA läßt in ihrem Plädoyer den Mordvorwurf fallen, und fordert 8 Jahre Haft wegen Totschlags und nach Verbüßung die Einweisung in eine Heil- und Pflegeanstalt. Als Motiv sieht die Anklage krankhafte Mutterliebe. Sie hat in den Sohn hineingeschaut wie in einen Spiegel. Ihr Ich und sein Ich waren eins. Wenn sie an Zerstörung dachte, dann konnte das nur die Zerstörung des gemeinsamen "Wir" sein. Hatte sie die Braut getötet, was nahelag, dann hätte sie ja ihren Jungen verloren. Sie hat die Tat geplant und durchgeführt. Eine schauerliche Tat. Aber auch da wollte sie ihren Rudi noch schonen. Er sollte glücklich ins Bett gehen und nicht wieder aufwachen. Ihr Kind würde sie dann immer für sich allein behalten. Bewußt hat sie immer dieses Wort Kind gesagt. Sie wollte seine Kindheit einfangen, verewigen. Sicher befand sich die Angeklagte in einem Zustand, der nicht der Norm entsprach. Aber ihre Tat ist nicht aus einem echten depressiven Anfall gewachsen. Als sie das Messer kaufte, da hatte sie sich bereits entschlossen, ihren Jungen zu töten. Die Witwe befand sich in einem Zustand enormer Gereiztheit, ohne geisteskrank zu sein. Eine volle Unzurechenbarkeit iSv § 51 S.1 läge nicht vor, jedoch ein klarer Fall des § 51 S.2.
Die Verteidigung plädiert auf mildernde Umstände und nur Gefängnis. Die Angeklagte wurde mit den Erlebnissen, die auf sie einstürmten, nicht fertig. Eine seelische Überforderung, die ins Pathologische, also ins Krankhafte hinüberreicht. Sie hat ein gewisses Maß von Schuld zu tragen. Aber sie hat nicht als vollwertiger Mensch reagiert Der § 51,2 ist ihr zuzubilligen. Die Verteidigung glaube nicht an Rückfälle und halte eine Einweisung in eine Anstalt für nicht erforderlich.
Das Gericht folgt der Anklage und verurteilt die Angeklagte Ende März 1960 zu 8 Jahren Haft wegen Totschlag, nach der Strafverbüßung wird sie in eine Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen. Tatmotiv sei die krankhafte Mutterliebe, die Angeklagte hatte Angst vor der Einsamkeit und gönnte ihrem Sohn keine andere Frau. Zweifellos war die bevorstehende Hochzeit der auslösende Moment. Die Mutterliebe dieser Frau war überspannt. Eine Perversion des Mutterinstinkts. Die Angeklagte ist keine gesunde Frau iSv § 51,2. Aber was ist, wenn sie einmal wieder ins Leben hinaustreten sollte? Die krankhaften Erscheinungsformen schreiten fort. Es könnten sich immer ähnliche Konfliktsituationen ergeben. Die Umwelt ist vor dieser Frau zu schützen, und die Angeklagte ist vor sich selbst zu schützen. Sie muß in eine Anstalt eingewiesen werden.
Eine spätere Revision wird verworfen. Ende 1962 verschlechtert sich der gesundheitlicher Zustand der Täterin und sie wird in die Heilanstalt Erlangen eingeliefert. Dort stirbt sie im Alter von 64 Jahren am 6.3.1963.
Noch eine kleine Anmerkung von mir zum Tatmotiv: Auch über religiöse Motiv, vor allem nach dem Prozess, wurde in der Fachliteratur spekuliert. Wollte sie ihren Sohn nicht der andersgläubigen Frau überlassen? Dem Opfer wurde sogar eine angemessene Beerdigung durch die Kirche versagt, da er der Kirche untreu geworden sei, als Rudi beschlossen habe, sich mit seiner evangelischen Braut evangelisch trauen zu lassen. Seine Mutter war streng katholisch, eine evangelische Hochzeit sei für sie die größere Schande gewesen als die Angst vor der Einsamkeit. Tja, andere Zeiten, andere Sitten. Heute muss man der Einschätzung des Gerichts den Vorzug geben.