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XY-Fälle in komprimierter Form 2 (Übernahme)

in Filmfälle 04.02.2008 00:15
von XY-Webmaster • 301 Beiträge
Einige XY-Fälle in komprimierter Form

Beitrag Verfasst am Do 23. Aug 2007, 08:11 von Heimo
35. Die Tote vom Königstuhl

Tatzeit: vermutlich die Nacht vom 05. auf den 06.Februar 1970
Tatort: Frankfurt
Zuständig: Kripo Heidelberg
XY-Ausstrahlung: 01. November 1970


Der Fall

Der Berg Königstuhl im Odenwald zählt zum Naherholungsgebiet für die Bewohner der Stadt Heidelberg. Er ist u.a. bekannt für eine Standseilbahn, die zwischen Heidelberg und dem Gipfel verkehrt. Ferner stellt der Berg ein beliebtes Ausflugsziel auch wegen der Wälder und den entsprechenden Möglichkeiten der Freizeitgestaltung dar.

Am 07. Februar 1970 begibt sich ein Mann zwecks ausgedehnten Spaziergangs auf den Königstuhl. Ihm missfällt wahrscheinlich der gegenwärtige Trubel des Faschings, so dass er die Ruhe in den Bergwäldern sucht. Mit dem Anliegen, den Königstuhl für die Befriedigung seiner individuellen Bedürfnisse zu nutzen, bleibt er trotz der Jahreszeit und der unfreundlichen Wetterlage nicht ganz alleine. Ein roter Mercedes-Sportwagen kommt ihm entgegen. Auf dem Beifahrersitz des Autos kann er eine blonde Frau neben einem männlichen Fahrer erkennen. Die Insassen verfolgen hingegen mit ihrem Wunsch nach Abgeschiedenheit ein anderes Ziel, wie sich zeigen wird. Der PKW bewegt sich auffällig langsam vorwärts und verschwindet dann in einen unbefestigten Waldweg.

Der Spaziergänger wundert sich über den Wagen und interessiert sich für dessen Verbleib. Deswegen folgt er den Reifenspuren, die sich auf dem Boden abzeichneten. Einige Zeit später vernimmt er ein Geräusch, das vom Zuklappen einer Kofferraumklappe stammt, und der Motor eines PKW wird gestartet. Der Passant sieht den roten Wagen wieder, der nun die Örtlichkeit verlässt. Wer sich im Auto befindet, kann er aufgrund der Entfernung nicht mehr erkennen. Aus Neugier sucht er den Platz auf, an dem das Gefährt gestanden hatte. Dieser lässt sich auf Grund des leichten Schneefalls schnell ausfindig machen. In der Nähe entdeckt er eine Stelle, an der frisch gegraben wurde. Mit dieser Beobachtung gibt er sich zufrieden, bisher ergibt das Geschehene für ihn keinen Sinn. Dass dieser Vorfall mit einem mysteriösen Mordfall in Zusammenhang stehen könnte, ahnt er noch nicht.

Drei Monate später, am 07. Mai 1970, an Christi Himmelfahrt, nutzen viele Menschen den Feiertag für einen Ausflug auf den Königstuhl. Im Rahmen eines Spaziergangs stößt eine Familie auf die sterblichen Überreste einer unbekleideten Frau, die im Waldboden anscheinend verscharrt wurde. Offensichtlich auf Grund von Witterungseinflüssen wurden Teile ihres Körpers und ihre blonden Haare freigelegt, so dass sie schließlich entdeckt wird. Nach ersten Ermittlungen der Polizei dürfte sie bereits einige Monate an dieser Stelle gelegen haben. Wegen der fortgeschrittenen Verwesung kann sie nicht identifiziert werden; ihre Gesichtszüge sind nicht mehr zu erkennen. Offenkundig ist sie mehrfach vor ihrem Tod geschlagen worden, wenngleich einige Verletzungen auch vom Entdecker stammen könnten, der seinen Fund mit einem Stock untersuchte.

Immerhin können die Polizeibeamten und der Gerichtmediziner feststellen, dass die schlanke Frau zum Zeitpunkt ihrer Ermordung ca. 1,75 m groß war. Sie wird zwischen 25 und 40 Jahren alt gewesen sein und dürfte ein Kind geboren haben. Vermutlich war sie kurz vor ihrem Tod massiven Gewalteinwirkungen ausgesetzt, die zu einigen Knochenbrüchen führten. Anschließend wurde sie erwürgt. Ein Sexualdelikt kann hingegen trotz der Umstände ausgeschlossen werden.

Bei der Leiche werden kaum Gegenstände gefunden, die ihre Identifizierung ermöglichen könnten. Lediglich eine Haarspange hat der Mörder, der vorab gründlich weitere Erkennungsmerkmale entfernt hat, übersehen. Da dieser Haarschmuck ein Massenprodukt darstellt, erscheint dieses Objekt für einen Fahndungsansatz als nicht sehr geeignet.

Schließlich meldet sich jener Zeuge, der zum vermuteten Zeitpunkt der Verscharrung merkwürdige Beobachtungen am Königstuhl machte. Die Stelle, an der die Leiche gefunden wurde, stimmt mit der überein, an der er frische Grabungsspuren gesehen hatte. Er kann zwar wichtige Angaben machen, aber seine Beobachtungen führen die Ermittler in eine Sackgasse. Daran, dass der PKW ein Frankfurter Nummernschild hatte, erinnert er sich noch, aber weitere Einzelheiten weiß er nicht mehr. Die folgende Überprüfung von Eigentümern entsprechender Sportwagen im Frankfurter Raum erbringen keine konkreten Ergebnisse.

Die Ermittlungssituation der Polizei bessert sich jedoch im Laufe der Zeit. Denn mithilfe eines neuen kriminalistischen Instruments gelingt es, der Toten ein Aussehen zu geben. Ein russischer Wissenschaftler hatte ein Verfahren entwickelt, das eine Rekonstruktion des Gesichtes anhand eines vorhandenen Schädels ermöglicht. Nach diesem Vorbild erstellt ein Kriminalbeamter des hessischen LKA namens Moritz Furtmayr ein Modell, das dem Kopf der gefundenen Toten entsprechen soll. Die Beamten setzen ihre gesamten Hoffnungen auf diese Nachbildung. Bei einer Identifikation der Toten durch die Rekonstruktion, so überlegen die Ermittler, wird der Weg zum Mörder nicht mehr weit sein. Anhand der Lage der Dinge lässt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ableiten, dass Täter und Opfer einander gekannt haben. Für diese Annahme spricht besonders, dass der Mörder sorgfältig die meisten Spuren beseitigt hat.

Neben der Rekonstruktion des Kopfes, von der niemand mit Bestimmtheit sagen kann, ob das Aussehen tatsächlich mit dem des Opfers übereinstimmt, bleibt lediglich die Haarspange als magerer Fahndungsansatz. Zudem vermuten die Ermittler, dass die Beobachtungen des Zeugen tatrelevant sind und somit nach dem Halter eines Sportwagens aus dem Frankfurter Raum gesucht werden kann, aus dessen näherer Umgebung eine blonde Frau seit Anfang Februar 1970 verschwunden ist.


Die Sendung

Auch viele Jahre nach der Ausstrahlung ist dieser Fall den Zuschauern in Erinnerung geblieben. Dazu hat im großen Maße die Situation beigetragen, als in der filmischen Darstellung die Tote entdeckt wird. Während des Ausflugs bemerken zuerst die Kinder eines Ehepaares die Leiche. Mit einer infantil-naiven Feststellung („Da wachsen Haare aus dem Boden!“) wird das Auffinden des Schopfes kommentiert. Durch diesen Ausruf wird der Zuschauer, der natürlich ahnt, welche grauenhafte Entdeckung der Vater im nächsten Moment machen wird, an den Fall gefesselt.

Recht ausführlich werden die Erlebnisse des Zeugen dem Zuschauer vermittelt. Wichtige Merkmale (Sportwagen, Frankfurter Kennzeichen) stellt der Film deutlich heraus. Die Gründe, weshalb der Mann sich nicht umgehend bei der Polizei nach seinen Beobachtungen meldete, sind nachvollziehbar. Man spürt die Anspannung der Ermittler, als ihnen bewusst wird, dass der wichtige Zeuge sich leider an einige wichtige Details nicht erinnern kann. Hätte der Mann seiner Neugier nachgegeben, wäre die Tote möglicherweise früher nach dem Vergraben entdeckt worden und hätte leichter identifiziert werden können.

Danach wird dem Zuschauer in der zweiten Filmhälfte gezeigt, wie die Gesichtskonturen der ermordeten Frau rekonstruiert werden. Er bekommt einen Einblick in die Arbeit des Forensikers. Zimmermann erläutert anschließend das Verfahren der Modellierung ausführlich.

Im Studio werden mögliche Frisurformen am Modell vorgeführt. Da präzise Angaben nur über die Haarlänge möglich sind, aber die Frisur der Toten nicht bekannt ist, müssen diese Variationen gezeigt werden, um sich so dem tatsächlichen Aussehen der Frau zu nähern.

Zimmermann spricht die Vermutung der Polizei aus, dass es sich bei der Frau wahrscheinlich um eine Person handelt, die nicht in bürgerlichen Verhältnissen gelebt hat. Da anscheinend bisher keine Vermisstenanzeige der Leiche zugeordnet werden konnte, vermuten die Ermittler Täter und Opfer am Rande der normalen Gesellschaft. Derart zurückhaltende und neutrale Umschreibungen waren für die Zeit typisch. Wahrscheinlich deutete diese Formulierung darauf hin, dass man die Tote im Prostituiertenmilieu vermutete.


Nach der Sendung

Rund 400 neue Hinweise gehen nach der Ausstrahlung des Falls ein. Mindestens acht Anrufer aus Österreich und Deutschland nennen dabei unabhängig voneinander den richtigen Namen der Toten. Es handelt sich um eine Bardame, Cecilia T. (29), aus dem Frankfurter Raum, die in Österreich geboren wurde, aber schon längere Zeit in Deutschland lebte. Ein paar Tage nach der Ausstrahlung ist die Tote vom Königstuhl ohne Zweifel identifiziert.

Die Polizei kann nun im Umfeld der Toten ermitteln. Schnell gerät ihr ehemaliger Freund, ein Israeli, unter Verdacht. Er lebte mit Cecilia T. längere Zeit in einer Wohnung. Beide betrieben zusammen im Frankfurter Amüsierviertel eine Bar, die nicht den besten Ruf genoss. Mit ihm kam es während der Beziehung häufiger zu Streitereien, die gelegentlich auch in Schlägereien endeten. Man hatte sich Ende 1969 getrennt. Er begann mit einer gemeinsamen Freundin eine neue Beziehung und lebte nur noch sporadisch in der alten Wohnung, während Cecilia dort ausgezogen war. Allerdings forderte sie von ihm noch eine höhere Geldsumme im fünfstelligen Bereich, die sie ihm geliehen hatte. Sie fürchtete, um den Betrag geprellt zu werden.

In der Nacht des 06. Februar 1970 spitzten sich die Ereignisse zu. Cecilia suchte ihn in Begleitung eines befreundeten Paares auf. Er verpasste ihr einen Handkantenschlag, nachdem sie ihn möglicherweise verbal beleidigt hatte. Anschließend nahm er sie in einen Würgegriff. Seiner neuen Freundin war es zwischenzeitlich gelungen, das anwesende Pärchen brüsk aus der Wohnung zu verweisen. Sie sagte später aus, dass Cecilia danach letztlich leblos am Boden gelegen habe.

Der Mörder und seine Komplizin entkleideten die Leiche und transportierten die Tote im Kofferraum des roten Mercedes-Sportwagens nach Heidelberg. Dort vergruben sie die Leiche, nachdem man sie mit Salzsäure übergossen hatte. Den Spaziergänger bemerkten beide. Der Täter habe bedauert, keine Pistole dabei gehabt zu haben, um sich des lästigen Beobachters zu entledigen.

Die unmittelbaren Zeugen der Entwicklungen in den Morgenstunden wurden Tage nach der Tat davon überzeugt, dass Cecilia Deutschland verlassen habe. Deshalb drohte auch keine Gefahr, dass sich das Pärchen eventuell an die Polizei wandte. Es wurde auch keine Vermisstenmeldung aufgegeben, so dass die Kriminalbeamten nicht auf die Spur von Cecilia stoßen konnten, als sie ihre Ermittlungen aufnahmen.

Der Täter und seine Freundin wähnten sich in Sicherheit. Erst die Rekonstruktion des Kopfes, die Ausstrahlung bei XY und die Identifikation der Toten konnten dem Fall die entscheidende Wende geben. Das Rätsel der „Toten vom Königstuhl“ wurde durch die Hilfe der Fernsehsendung „Aktenzeichen XY“ maßgeblich gelöst. Die entscheidenden Zeugen der Identifizierung lebten vornehmlich in Österreich, der Täter residierte in Frankfurt und die Tote wurde in Heidelberg gefunden. Erst die nationale bzw. internationale Aufbereitung dieser Straftat durch „Aktenzeichen XY“ ermöglichte eine Klärung des Falls.

Viele Angaben aus der Sendung vom November 1970 waren zutreffend. So war Cecilia tatsächlich Mutter einer Tochter, die beim leiblichen Vater lebte.

Und mit einer weiteren Einschätzung lag man letztlich richtig. Die Tote lebte nicht unbedingt in geordneten Verhältnissen. Sie hatte mehrere Affären und war im Umgang mit Männern nicht zu wählerisch. Dass es zu keiner Vermisstenmeldung seitens der Familie kam, war auch mit ihrem Lebenswandel zu begründen. Es kam schon mal vor, dass sie sich über einen langen Zeitraum nicht bei Angehörigen meldete. Folglich schöpfte auch niemand aus diesem Kreis einen Verdacht, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte. Erst durch die Sendung erfuhr ihre Familie von ihrem Schicksal. So zählten auch ihr Vater und Bruder zu den Hinweisgebern bezüglich ihrer Identifizierung.

In der Sendung vom 11. Dezember 1970 vermeldet Zimmermann das Resultat der Fahndung. Im Studio wird ein Foto der Toten zu Lebzeiten hinter dem rekonstruierten Modell platziert. „Mit der Identifizierung der Unbekannten“, so erläutert Zimmermann, „dürfte die Heidelberger Kripo ein Stück Kriminalgeschichte geschrieben haben.“ Der XY-Moderator lobt ausdrücklich die Arbeit von Furtmayr, dem es gelungen war, das Modell des Kopfes zu entwickeln, das dem Opfer recht ähnlich sah.

Das Frankfurter Schöffengericht vom 13. Dezember 1973 spricht letztlich eine Haftstrafe von 15 Jahren für den Täter wegen Totschlags aus. Es kommt zum Ergebnis, dass ihm nicht der Vorsatz nachgewiesen werden kann, seine ehemalige Freundin töten zu wollen. Das Aufeinandertreffen in der Wohnung des Beklagten habe ihn derart aufgebracht, dass er Cecilia tätlich angriff. Seine neue Freundin wird letztlich zu acht Monaten auf Bewährung wegen Begünstigung verurteilt.
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Re: Einige XY-Fälle in komprimierter Form

Beitrag Verfasst am Sa 25. Aug 2007, 23:56 von Bernhard
Moin Heimo,

danke für die toll aufbereiteten Reviews - erstklassige Arbeit!!! :!:
Zwei davon waren mir zuvor entgangen, sind jetzt aber auch in meinem Archiv gespeichert (natürlich mit Autorenangabe -) ).

Mini-Korrektur: Im Königsstuhl-Fall stimmt das Datum der XY-Sendung nicht - war der 13., nicht der 01. November 1970.

Viele Grüße,
Bernhard.
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Re: Einige XY-Fälle in komprimierter Form

Beitrag Verfasst am Mo 27. Aug 2007, 10:55 von Heimo

Bernhard hat geschrieben:Moin Heimo,

danke für die toll aufbereiteten Reviews - erstklassige Arbeit!!! :!:
Zwei davon waren mir zuvor entgangen, sind jetzt aber auch in meinem Archiv gespeichert (natürlich mit Autorenangabe -) ).

Mini-Korrektur: Im Königsstuhl-Fall stimmt das Datum der XY-Sendung nicht - war der 13., nicht der 01. November 1970.

Viele Grüße,
Bernhard.



Hallo Bernhard,
danke für das Kompliment. Mir macht es Spaß, die Fälle in dieser Form aufzuarbeiten. Es gibt demnächst auch wieder neue Kreationen diesbezüglich.

Schön, dass Du wieder da bist

Viele Grüße
Heimo
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Re: Einige XY-Fälle in komprimierter Form

Beitrag Verfasst am Mi 12. Sep 2007, 08:06 von Heimo
36. Was ist unter der Zinkwanne?

Tatzeit: Zwischen dem 18. und 26. September 1971
Tatort: Frankfurt
Zuständig: LKA Wiesbaden
XY-Ausstrahlung: 16. Juni 1972

Der Fall

Berthold G. (15) unterscheidet sich in mehrerlei Hinsicht von seinen Altersgenossen. Zum einen leidet er unter epileptischen Anfällen, weshalb er öfter die ärztliche Obhut aufsuchen muss. Zum anderen ist er homosexuell und verkehrt in Frankfurt 1971 in entsprechenden Lokalen. Vermutlich ist aufgrund dieser Tatsache sein Bezug zum Elternhaus als nicht ungetrübt zu bezeichnen. Im Laufe des Jahres ist er häufiger für einen Zeitraum von mehreren Tagen nicht bei seinen Eltern anzutreffen.

Er taucht aber immer wieder zu Hause auf. Wo er sich genau während der Zeit seiner Abwesenheit aufgehalten hat, teilt er nicht mit. Wahrscheinlich lebt und übernachtet er bei männlichen Bekanntschaften, die er bei seiner Tätigkeit als Strichjunge kennen gelernt hat – vielleicht auch bei einem bestimmten Bekannten namens Ottokar A. Es kann später allerdings nicht schlüssig rekonstruiert werden.

Im Frühherbst des Jahres ist er Patient eines Krankenhauses in Frankfurt. Dort freundet er sich mit einem Zimmernachbarn an. An einem gemeinsamen Ausgehtag, dem 18. September, nutzen beide die Gelegenheit, ein Spiel der Fußball-Bundesliga zu besuchen. So finden sie sich bei der Partie Eintracht Frankfurt gegen Hertha BSC auf der Tribüne im Waldstadion ein. Zusammen verfolgen beide das Spiel bis zur Halbzeitpause, dann teilt Berthold seinem Begleiter mit, dass er die Toilette aufsuchen wolle. Von dort kehrt er aber bis zum Spielende nicht mehr zurück. Sein Begleiter wartet zwar noch auf ihn, geht aber davon aus, dass Berthold den Weg nicht mehr zurück gefunden hat und man sich angesichts Menschenmassen völlig aus den Augen verloren hat.

Er vermutet, dass Berthold alleine zur Klinik gelangen wird. Dort trifft dieser aber weder an dem Tag noch später ein. Er ist in dem Sinne abgängig. Anscheinend hat ihn niemand seit dem Spiel gesehen und kann Angaben zu seinem Aufenthaltsort machen. Vorerst bleibt er verschwunden.

Am 26. September 1971 sind Spaziergänger im Wald am Rande des Mühlbergs in Niederreifenberg unterwegs. Gegen 18.00 Uhr kommen sie in der Nähe eines neu angelegten Parkplatzes vorbei, als sie eine umgedrehte Zinkwanne entdecken. Zunächst glauben sie, dass dieser Parkplatz Menschen angelockt hat, die sich ihres Mülls auf billige Weise entledigen möchten. Sie müssen jedoch erkennen, dass sie einem Irrtum unterliegen, als sie unter dem Rand der Zinkwanne eine menschliche Hand erkennen. Umgehend wird die Polizei informiert, die sofort nach ihrem Eintreffen mit den Ermittlungen beginnt.

Die Ermittler stellen fest, dass sich unter der Wanne die zerstückelte und unbekleidete Leiche eines jungen Mannes befindet. Der Kopf jedoch fehlt. Der Täter hat diesen vermutlich abgetrennt, um die Identifikation der Leiche zu erschweren. Es vergehen zwar 14 Tage, bis der Kopf gefunden wird, obwohl er in einer Entfernung von nur 40 Metern zur Zinkwanne wohl in einer Höhle versteckt wurde. Waldtiere haben den Kopf aus dieser jedoch herausgezehrt. Offenbar hat der Täter beim Verstecken des Kopfes in großer Eile gehandelt – oder er hatte keine Möglichkeit, ihn an einem Ort zu lagern.

Dieser Fund erleichtert die Arbeit der Polizei keineswegs. Denn man weiß nicht, wen man gefunden hat. Die Identifizierung des Toten gelingt erst sechs Wochen später. Der Insasse des Krankenhauses, der mit Berthold das Fußballspiel besuchte, meldet sich, nachdem er von dem Auffinden der Leichenteile gelesen hat und glaubt, anhand einer Zeichnung des Toten seinen ehemaligen Zimmergenossen zu erkennen. Die anschließende Überprüfung ergibt, dass die im Wald bei Niederreifenberg gefundene Leiche tatsächlich der verschwundene Junge ist. Er ist vermutlich umgebracht worden und wurde nach seiner Tötung zerteilt.

Unabhängig von der Identifizierung meldet sich ein Mann bei der Polizei. Dieser Mann ist in Polizeikreisen als Einbrecher bekannt. Er erzählt, dass er vor kurzem ein seltsames Erlebnis mit einem Bekannten (Ottokar A.) hatte. Dieser habe ihn am 21. September angerufen und gebeten, ihm einen Koffer zu leihen. Außerdem bat er darum, am Abend des Tages von dem Mann mit seinem PKW zu Hause im Sandweg (Frankfurt) abgeholt zu werden.

Nach seiner Darstellung brachte er Ottokar den Koffer. Dieser verschwand damit in seiner Wohnung und kehrte kurze Zeit danach zusammen mit einem weiteren eigenen Koffer zum PKW zurück und verstaute beide Taschen im Kofferraum. Der Zeuge erinnerte sich, dass die Koffer recht schwer gewesen sein mussten, als sie zum Auto geschleppt wurden.

Anschließend gab Ottokar als Fahrtziel den Parkplatz in Niederreifenberg an. Nach ca. 45 minütiger Fahrt lud Ottokar die Koffer aus und bat seinen Bekannten, ihn an dieser Stelle in einer dreiviertel Stunde wieder abzuholen.

Tatsächlich wartete Ottokar am verabredeten Treffpunkt und lud die nun offensichtlich leeren Koffer wieder in den Kofferraum. Die Rückfahrt wurde noch einmal kurz unterbrochen, als Ottokar seinen Koffer in einer Mülltonne im Stadtgebiet von Frankfurt entsorgte. Danach erzählte er seinem Bekannten, dass dieser ebenso seinen Koffer entsorgen solle, da er darin gerade eine Leiche transportiert habe. Außerdem forderte Ottokar seinen Gefährten auf, diesen Vorfall zu verschweigen.

Der Bekannte schenkte jedoch Ottokars Ausführungen, den er in dieser Situation als fahrig und nervös beschrieb, keinen Glauben. Er begründete seine Skepsis über die Erzählungen damit, dass Ottokar über eine lebhafte Phantasie verfügte und hin und wieder unglaubliche Dinge erzählte. Der Zeuge nahm nicht an, dass es sich in dieser Angelegenheit anders verhalten solle. Folglich behielt er seinen Koffer. Als er später darin Blutanhaftungen entdeckte, kamen ihm doch Zweifel.

Die Polizei geht diesem Hinweis nach. So kann festgestellt werden, dass die Blutspuren im Koffer des Informanten tatsächlich menschlicher Herkunft sind. Sie stellt auch die Blutgruppe fest – „A 2 negativ“. Sie überprüft den Verdächtigen und entdeckt in dessen Wohnung mehrere Blutspuren, die ebenfalls Blutgruppe „A2 negativ“ aufweisen. Ottokar wird umgehend festgenommen.

Der Verdächtige äußert sich in den Vernehmungen nur vage und lückenhaft. Immerhin räumt er ein, den Toten zu Lebzeiten gekannt zu haben. Im fraglichen Zeitraum, also ab dem 18. September, habe er keinerlei Kontakt zu Berthold gehabt. Mit der Tat wolle er nichts zu tun haben.

Die Beobachtungen und Hinweise reichen vorerst nicht aus, um ihn des Mordes zu überführen. Weil man mit den Vernehmungen in den Ermittlungen nicht weiterkommt, wird nach Zeugen gesucht, die Auskunft darüber geben können, wo sowohl er als auch das Opfer sich im Zeitraum zwischen dem 18. und dem 26. September aufhielten. Vielleicht wurde Ottokar in diesen Tagen in Begleitung von Berthold gesehen.


Die Sendung

Der Filmfall bleibt aufgrund der Auffindungssituation des Toten nachhaltig in Erinnerung. Es wirkt sehr gruselig und beklemmend, als das Pärchen im Wald eine schreckliche Entdeckung macht, dass unter der Zinkwanne eine Hand hervorschaut. Ebenso beklemmend wirken die Filmaufnahmen von den Erzählungen des Zeugen, wie er den Verdächtigen von dessen Wohnung in die Nähe des Fundortes fährt.

Der Zuschauer wundert sich sehr, dass der Bekannte die Ausführungen des vermeintlichen Mörders zunächst so gelassen und beinahe gleichgültig hinnimmt. Vielleicht sind die beiden Schauspieler für die Verfilmung nicht optimal ausgewählt worden, weshalb diese Szene merkwürdig wirkt. Der Verdächtige kommt etwas hager und buckelig rüber – man traut ihm eigentlich nicht zu, dass er Koffer mit entsprechend schwerem Inhalt tragen könnte. Der Bekannte wirkt dagegen recht kräftig und aufgeschlossen. In der Darstellung der Verfilmung scheint er sich jedoch nicht übermäßig daran zu stören, dass er zunächst ohne jegliche Begründung eine Fahrt zu einem über 40 Kilometer entfernt liegenden Ort durchführen soll.

Der Film zeigt chronologisch den Hergang der Ermittlungen auf. Er beginnt mit dem Fund des Toten. Dann wird gezeigt, wie die Polizei nach und nach mehr Einzelheiten in Erfahrung bringt. Damit ist der Zuschauer immer auf der Höhe der Erkenntnisse und muss gemeinsam mit den Ermittlern abwarten, welche weiteren Spuren sich ergeben. Da dieser Fall mehrfach einen unerwarteten Verlauf nimmt, bleibt so lange die Spannung erhalten. Der Film endet damit, dass der Verdächtige bei den Verhören gezeigt wird. Der Zuschauer erfährt, dass keine weiteren Spuren mehr gefunden werden konnten, so dass eine Überführung des Täters bisher nicht glückte.

Zum Opfer lässt sich ausführen, dass es nur kurz dargestellt wird. Lediglich bei den Szenen im Fußballstadion darf sich Berthold kurz räuspern und ist lebend zu sehen, ansonsten widmet sich der Film besonders den Ausführungen der Zeugen.

Eine Ungereimtheit ist in der Verfilmung zu entdecken. Der Sprecher erwähnt, dass sowohl die Blutspuren im Koffer des Belastungszeugen als auch die in der Wohnung des Hauptverdächtigen der Blutgruppe „A2 negativ“ angehören. Ob diese mit der des Opfers identisch ist, wird aber explizit nicht erwähnt – setzt man diese Schlussfolgerung beim Zuschauer voraus oder hat man einfach vergessen, dieses Detail zu erwähnen (oder unbeabsichtigt aus dem Filmfall herausgeschnitten)?

Nach dem Kronzeugen wird gefahndet, ohne dass dem Zuschauer mitgeteilt wird, in welchem Verhältnis er zu dem Fall steht. Dass er der nächtliche Autofahrer war, wird während der Verfilmung aber auch im Studiogespräch verschwiegen. Über seine mögliche Verbindung zum Opfer bzw. zum Täter soll noch mehr in Erfahrung gebracht werden.

Und noch ein weiteres Detail wird im Film nicht erwähnt. Ein Zeuge hat nämlich bei Niederreifenberg die Situation beobachtet, als die Koffer entladen wurden und sich bei der Gelegenheit das Kennzeichen des Wagens gemerkt.

Da die Kleidungsstücke von Berthold nach dessen Ableben bis zur Ausstrahlung der XY-Sendung nicht wieder aufgetaucht sind, wird auch nach diesen gesucht. Besonderes Interesse gilt der lilafarbenen Hose, die Berthold zuletzt getragen hat, da ihm diese geschenkt oder geliehen wurde. Der vorherige Besitzer dieser Hose wird gesucht.

Bezeichnend ist auch der Umgang mit den homosexuellen Neigungen des Toten und des Verdächtigen. Im Filmfall wird erwähnt, dass das Opfer in sogenannten Männerlokalen verkehrte und entsprechende Bekanntschaften machte. Begriffe wie Strichjunge oder Homosexualität werden entsprechend dem damaligen Zeitgeist nicht erwähnt.


Nach der Sendung

Mithilfe der Sendung lassen sich Verdachtsmomente gegen Ottokar A. erhärten. Dieser behauptet freilich auch danach, nichts mit der Tat zu tun zu haben. Vielmehr gibt er einem anderen Mann die Schuld. Er behauptet, mehrere Koffer von einem Italiener erhalten zu haben, um sie wiederum an jemand anderen – einen Mann im Taunus – weiter zu geben. In Niederreifenberg wäre ihm erst offensichtlich geworden, welch makabre Fracht er transportierte. Dort allerdings sei er mit vorgehaltener Pistole gezwungen worden, die Leichenteile zu verstecken. Jene von ihm beschuldigten Personen können jedoch später nicht ausfindig gemacht werden.

Schließlich beginnt im September 1974 ein Prozess vor einem Frankfurter Schwurgericht gegen Ottokar A. Aufgrund eines formalen Fehlers platzt das Verfahren. Am 26. November 1974 wird jedoch vor einem anderen Schwurgericht in Frankfurt das Verfahren wieder aufgenommen. Die Anklage stützt sich auf eine Reihe von Indizien. Der Prozess wird immer wieder von einigen hanebüchenen Ereignissen überschattet. So sind die Hände des Opfers, die von den Gerichtsmedizinern präpariert wurden, verschwunden.

Am 20. November 1975 wird der Verdächtige von der Anklage des Totschlags an Berthold G. freigesprochen. Das Gericht kam zur Überzeugung, dass die Indizien nicht ausreichen würden, um den Beschuldigten der Tat zu überführen. Es ließe sich nicht eindeutig klären, ob Berthold tatsächlich in der Wohnung des Verdächtigen umgekommen sei. Außerdem deutete das Gericht, dass der Junge sich womöglich selbst während eines epileptischen Anfalls eine Schnittwunde beigebracht haben könnte.

Bis heute konnte die Tat nicht geklärt werden. Vielleicht wäre mithilfe der neueren kriminalistischen Ermittlungsmethoden zumindest zu klären, ob die Blutanhaftungen in der Wohnung des Verdächtigen von Berthold stammen.
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Re: Einige XY-Fälle in komprimierter Form

Beitrag Verfasst am Mi 12. Sep 2007, 12:27 von Bernhard
Tolle Besprechung, Heimo - danke für die Arbeit! Da stellt sich nach der Lektüre mancher Aspekt dieses mysteriösen FF ja ungleich klarer dar. (Und der Grusel ging ja offenbar weiter - verschwundene präparierte Opferhände? )

Mein Eindruck ist, daß es aufgrund der Spurenlage mit den Methoden und Möglichkeiten von heute damals sicher möglich gewesen wäre, den Fall aufzuklären bzw. wenigstens Schuld oder Unschuld des Verdächtigen zu erweisen.

Bernhard.
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Re: Einige XY-Fälle in komprimierter Form

Beitrag Verfasst am Di 9. Okt 2007, 13:21 von Heimo
37. Furchterregende Ernte
Tatzeit: 08. Mai 1976
Tatort: Wäldchen bei Wimpashof (Landkreis Fürth)
Zuständig: Kriminalpolizei Nürnberg
XY-Ausstrahlung: 03. Dezember 1976


Der Fall

Lars Z. (9) lebt mit seinen Eltern im Ort Stein (Landkreis Fürth). Er ist ein aufgeweckter Junge, geht zur Schule und spielt wie viele seiner Altersgenossen in seiner Freizeit gerne Fußball. Auch am Nachmittag des 8. Mai 1976 bolzt er mit einigen Freunden. Während des Spielens trägt er u.a. eine auffällige trägerlose Lederhose. Anschließend schaut er noch kurz bei seiner Großmutter zur Stippvisite vorbei. Am Abend begibt er sich auf den Heimweg.

Gegen 19.00 Uhr wird er noch einmal gesehen. Ein Schulfreund führt mit ihm an der Rückseite seines Elternhauses in der Hauptstraße ein kurzes Gespräch. Zum Abschluss des Smalltalks kündigt Lars an, sofort nach Hause zu gehen. Obwohl er sich laut der Aussage seines Bekannten praktisch an der heimischen Hintertür befunden hat, kommt er jedoch bei seinen Eltern nicht an. Diese beginnen mit einer privaten Suche, doch sie finden ihn nicht.

Die Eltern erfahren erst einige Tage später, welche Beobachtungen mehrere Menschen an jenem 8. Mai machen, die im Zusammenhang mit dem Verschwinden von Lars stehen dürften. So vernehmen zwei Personen – eine Bäuerin und ein Gärtnergehilfe – in der Ortschaft Wimpashof unabhängig voneinander das Schreien und Weinen eines Kindes. Diese Laute schallen aus dem Wald heraus, der nahe der Dorfgrenze gelegen ist. Die Bäuerin erkennt zudem noch, dass ein PKW den Ort verlässt, woher sie die Schreie vermutete. Beide Zeugen glauben, dass diese Rufe auf einen Familienstreit zurückzuführen sind und messen diesem Vorfall keine große Bedeutung bei. Keiner der beiden stellt weitere Erkundigungen an, und sie wenden sich wieder ihrer Arbeit zu.

Am selben Abend betritt gegen 20.00 Uhr ein unbekannter Mann das Lokal „Gasthaus zur Linde“ im vom Wald bei Wimpashof nicht weit entfernten Großweismannsdorf. Er setzt sich alleine an einen Tisch und benimmt sich recht merkwürdig, weshalb er vom Personal sowie von anderen anwesenden Gästen bewusst wahrgenommen wird. Sie geben später bei der Polizei zu Protokoll, dass er nervös und fahrig wirkte. Mehrfach habe er an seinen Fingernägeln gekaut. Es fiel ihnen auf, dass er einige hektische Flecken im Gesicht hatte und dass seine Lippen blau und blutleer aussahen.

Seine Nervosität kann er auch nicht durch den Genuss mehrerer Tassen Kaffee besänftigen. Gegenüber dem Personal verhält er sich mitteilungsbedürftig und erzählte, dass er noch zu seiner Mutter nach Augsburg wolle, da am nächsten Tag Muttertag sei. Der Mann wird wie folgt beschrieben: ca. 25 Jahre alt, 1,70 m groß, dunkelblonde zurückgekämmte Haare und schlank. Er sprach hochdeutsch.

An diesem Tag ahnen weder die Bäuerin noch die Besucher des Gasthofs von den Geschehnissen, die sich in Wirklichkeit zugetragen haben. Es soll noch einige Zeit vergehen, bis sie die Hintergründe ihrer Erlebnisse kennen: Die eine hat gehört, wie ein Junge den Kampf um sein Leben verloren hat, die anderen im Lokal haben den Mörder gesehen.

Die Eltern erstatten bei der Polizei am folgenden Tag Vermisstenanzeige. Trotz einer größeren Suchaktion bleibt der Junge verschwunden. Recht schnell geht man davon aus, dass er einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist.

Fast drei Monate später sind die Landwirte mit der Strohernte beschäftigt. Eine Bäuerin aus Oedenreuth (Landkreis Fürth) macht dabei eine grausame Entdeckung. Als sie auf ihrem Hof das lose Stroh für den Speicher vorbereitet, entdeckt sie einen skelettierten Arm. Dieser dürfte von einem Mähdrescher vom Körper abgeschnitten worden sein. Daraufhin beginnen Sucharbeiten zunächst auf dem Gehöft. Dort stellt man fest, dass keine weiteren Menschenknochen im Stroh verborgen sind. Danach begibt sich die Polizei zusammen mit Erntehelfern auf das Gerstenfeld, das zuletzt gemäht wurde und woher der Arm stammt, auf die Suche nach weiteren Leichtenteilen. Dort findet man schließlich die menschlichen Überreste eines Jungen.

Die tote Person wird als Lars Z. identifiziert. Offensichtlich ist er Opfer eines Sexualverbrechens geworden und im Anschluss daran umgebracht worden. Die Uhr des Jungen, die auffällige Lederhose und die linke Sandale hat der Täter anscheinend mitgenommen.

Eine Frau meldet sich später bei der Polizei, die die Lederhose und den fehlenden Schuh in einem Wald bei Müncherlbach einige Wochen vorher gesehen haben will. Als die Polizei die angegebene Stelle überprüft, sind die Sachen aber nicht mehr da.

Die Ermittlungen werden intensiviert. Die geschockte Öffentlichkeit zeigt sich hilfreich. Die Fahndung der Polizei fokussiert sich auf den Fremden im Lokal als Hauptverdächtigen. Es gelingt trotz aller Anstrengungen nicht, den Mann zu finden.


Die Sendung

Zur Einleitung des Filmfalls erläutert Zimmermann, dass die Klärung von Verbrechen mitunter durch die Passivität möglichen Hinweisgeber erschwert werden kann. Damit bezieht sich auf den Kreis von Zeugen, denen die Bedeutung ihrer Wahrnehmung zeitlich erst nach dem Vorfall klar wird. Der Mord an Lars wäre ein klassisches Beispiel dafür, dass die Verkettung unglücklicher Umstände die Tataufklärung bislang verhindert hat, da die Zeugen ihren Beobachtungen den falschen Wert beigemessen haben.

Der Film beginnt mit den Schreien des Jungen im Wald. Dazu werden die Zeugen gezeigt, die diese Rufe vernehmen, und - sich davon auch beeindruckt zeigen, weil sie ihre Arbeit unterbrechen - letztlich aber keine weiteren Schritte unternehmen. Im Gegensatz zu den zwei Ohrenzeugen weiß der Zuschauer bereits, dass diese Schreie auf ein schweres Verbrechen hindeuten – und nicht auf einen Familienstreit.

Auch die anwesenden Personen in dem Lokal, das der Fremde betritt, wissen nicht, wie sie sich in der abspielenden Situation „richtig“ verhalten sollen. Sie wundern sich zwar über den seltsamen Unbekannten, können sich aber auf dessen ungewöhnliches Verhalten keinen Reim machen. Da ihnen von einem Verbrechen zu dem Zeitpunkt natürlich nichts bekannt ist, erahnen sie in ihm auch keinen Mörder.

Beide Szenen verdeutlichen Zimmermanns Eingangsstatement. Es ist zwar müßig zu überlegen, ob eine anders geartete Reaktion der Zeugen den Mord verhindert hätte. Vielleicht wäre eine Aufklärung des Falls früher möglich gewesen, wenn die betreffenden Personen entsprechend aufmerksamer gehandelt hätten. Die beiden Ohrenzeugen hätten durch Rufe bzw. durch direkte Nachforschungen eingreifen können; Personal und Gäste des Lokals hätten sich mit dem Mann unterhalten können bzw. sich Merkmale wie Autokennzeichen notieren können.

Die polizeilichen Ermittlungen setzen zu dem Zeitpunkt ein, als die Eltern ihren Sohn vermisst melden. Im Film wird der letzte Tag im Leben des Jungen nach dem Kenntnisstand zum Zeitpunkt der Ausstrahlung beleuchtet. Der Schüler wird als lebhaft und fröhlich dargestellt. Ungewollt komisch wirkt die Sequenz, in der Lars seiner Oma von dem Fußballspiel erzählt und dass er gewonnen habe. Sie fragt ihn daraufhin, ob er denn auch ein Tor geschossen habe, woraufhin er entgegnet, dass er ohne ein Tor zu schießen dieses Spiel auch nicht gewinnen könne. Dieser markante Dialog stellt exemplarisch die unterschiedlichen Welten der Generationen dar.

Die Zeit zwischen Verschwinden und Auffinden des Jungens wird durch Einblenden diverser Zeitungsartikel überbrückt, die sein Schicksal zum Inhalt haben und dem Zuseher einen Einblick vermitteln, wie intensiv nach dem Jungen gesucht wurde.

Die fruchtbare Entdeckung der Bäuerin ist besonders gruselig dargestellt. Sie bleibt vielen Zusehern noch lange nach der Ausstrahlung in Erinnerung.

In der Sendung wird anschließend nach den verschwundenen Sachen gefahndet und man hofft, den Fremden zu identifizieren. Zudem werden Zeugen gebeten, die die Beobachtungen der Zeugin im Wald bei Müncherlbach bestätigen können, sich mit den Ermittlungsbehörden in Verbindung zu setzen.


Nach der Sendung

Verbrechen an Kindern rufen bei den Zuschauern von Aktenzeichen XY meist große Anteilnahme hervor. Diesbezüglich stellt dieser Fall keine Ausnahme dar. Dennoch gelingt es nicht, diesen Fall aufzuklären. Die Polizei tappt weiter im Dunkeln. Sie geht insgesamt ca. 1200 Hinweisen nach, ohne Erfolg.

Die Beamten der Ermittlungsbehörden müssen sich noch 28 Jahre gedulden, bis das verbrechen geklärt werden kann. Im Sommer 2003 meldet sich eine Frau in einer anderen Angelegenheit bei der Polizei (in Baden-Württemberg). In dem Gespräch teilt sie der Polizei mit, dass sie in den 90er Jahren mit einem Mann aus der Gegend um Nürnberg liiert gewesen sei, der mittlerweile aber verstorben ist. Dieser gestand ihr zu Lebzeiten, dass er mal einen Jungen im Alter von acht bis zehn Jahren sexuell missbraucht habe. Anschließend habe er den Jungen getötet, weil dieser um Hilfe schrie.

Nach den Erzählungen passt diese Mitteilung zu den Vorkommnissen um Lars. Die weiteren Ermittlungen ergeben, dass der Mann zur Tatzeit in Stein gelebt hat. Seinem Umfeld blieb sein Hang zur Pädophilie nicht verborgen, wie die Polizei weiter erfährt. Zudem habe er zur fraglichen Zeit auch einen Wagen besessen. Da sich die Bäuerin an einen PKW erinnerte und der Fremde im Lokal von einer geplanten Fahrt nach Augsburg erzählte, ist dieser Sachverhalt als weiteres Indiz für seine Täterschaft zu werten.

Die Überprüfungen mit damaligen Gästen im Lokal ergeben, dass er wohl der Fremde an jenem Abend war. Einige Zeugen können nicht mehr befragt werden, weil auch sie mittlerweile verstorben sind. In den weiteren Ermittlungen finden sich keine entlastenden Punkte, die gegen seine Täterschaft sprechen. So kommen Polizei und Staatsanwaltschaft in der Mordsache überein, dass der Mann folglich der Mörder von Lars sei. Die Ermittlungsakte wird geschlossen, dennoch bleibt die Tat aufgrund des Versterbens des Täters ungesühnt.

Ob der Mann weitere entsprechende Straftaten begangen hat, kann nicht mehr geklärt werden. Die Mitwisserin, die solange geschwiegen hat, hätte sich früher melden können. Dann hätte sich prüfen lassen, ob der Verdächtige auch andere Verbrechen zu verantworten hätte. Außerdem wäre es den Angehörigen von Lars möglich gewesen, den Schicksalsschlag zu einem früheren Zeitpunkt vollständig zu verarbeiten. Dennoch ist es zu begrüßen, dass sie schließlich den Mut fand, sich doch noch an die Polizei zu wenden.
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Re: Einige XY-Fälle in komprimierter Form


-)
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Re: Einige XY-Fälle in komprimierter Form

Beitrag Verfasst am Di 9. Okt 2007, 18:32 von 960196
Meinst Du die FF bei xy-ungeloest.tk? Die Faelle sind nicht umsonst vor Download geschuetzt. Die Streams laufen nur direkt vom Server auf dem RealPlayer. Muss aber mit dem neuesten RealPlayer funktionieren. Wenn nicht ... dann wuerde auch ein (vermeintlicher) Upload auf ra*******e nix bringen.
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Re: Einige XY-Fälle in komprimierter Form

Beitrag Verfasst am Do 11. Okt 2007, 21:50 von Bernhard
Hallo Heimo,

vielen Dank für die neue Fallpräsentation (FF1 3.12.1976) & die damit verbundene Recherche-Arbeit! Klasse geschrieben! (Soll heißen, ist schon ausgedruckt & liegt im Hefter Ergänzungen zur FF-Abteilung im XY-Buch - im XY-Buch steht in der FF-Liste übrigens irrigerweise "Kripo Koblenz" )

Diesmal hab ichs gleich mit doppeltem Interesse gelesen, weil ich diesen Fall aus "meiner Region" bislang noch gar nicht kannte (außer aus der FF-Liste im Buch, ). Daß´die filmische Umsetzung perfekt "grimmig" war, kann man Deiner lebendigen Schilderung ja schon entnehmen... den FF werd ich mir baldigst mal besorgen.

Die Lösung des Falls 2004/2005 machte natürlich hier bei uns Schlagzeilen (daß es ein XY-Fall war, war mir da aber irgendwie entgangen). Die Art und Weise, in der sie zustandekam, läßt ein wenig vermuten, wieviel weitere Lösungen zu XY-Fällen inzwischen mit dem Täter ins Grab gewandert sind...

Bernhard.
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Re: Einige XY-Fälle in komprimierter Form

Beitrag Verfasst am Fr 12. Okt 2007, 08:18 von Heimo
Hallo Bernhard,

da hast Du Recht. Da werden viele Taten ungeklärt bleiben, da die Täter mittlerweile verstorben sind. Bei einem Banküberfall mit Ermordung des Bankangestellten in Stade (in den 80 er Jahren XY Fall) spricht z.B. einiges dafür, dass der Mörder auch verstorben ist, man ist sich aber nicht sicher, ob er es tatsächlich war.

Die Angaben im XY Buch sind leider nicht nur in diesem Fall falsch. Da stehen noch weitere, die eigentlich mit der falschen Örtlichkeit angegeben sind (z.B. 18.04.80 FF2 Wiesbaden muss es heißen und nicht Düsseldorf, sowohl bei der Sendung vom 03.10.80, vom 7.11.80 als auch bei der vom 5.12.80 soll Waiblingen die Fälle behandeln, es stimmt aber wohl nur der 03.10.80) hin und wieder hat sich auch ein Fehlerteufel eingeschlichen 10. Mai 74 muss bei FF 1 Viernheim und nicht Wienheim heißen). Mehr weiß ich nicht.

Der Fall selber ist in der Tat spannend. Schön, wenn er Dir (und vielleicht auch anderen) gefallen hat. Die Inszenierung war stark und wenn ich mich an die Bemerkungen im alten Forum erinnere, dann gehörte dieser Fall auch zu den gruseligsten.

Ich bin schon an anderen Fällen dran, die bald niedergeschrieben werden, bzw. noch verfeinert werden müssen. Es freut mich wirklich, wenn einige die Berichte tatsächlich sich ausdrucken und zu ihren Unterlagen geben.
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#2

Re: XY-Fälle in komprimierter Form 2 (Übernahme)

in Filmfälle 04.02.2008 17:12
von Falko Krause • 11 Beiträge
Auch hier danke für den Übertrag und den Beitrag!
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#3

Re: XY-Fälle in komprimierter Form 2 (Übernahme)

in Filmfälle 30.04.2010 20:08
von xyzuschauerseit72 • 1.079 Beiträge
Ich lese diese Falldarstellungen von Heimo sehr gerne, so auch diese:


Beitrag Verfasst am Do 23. Aug 2007, 08:11 von Heimo
35. Die Tote vom Königstuhl

Tatzeit: vermutlich die Nacht vom 05. auf den 06.Februar 1970
Tatort: Frankfurt
Zuständig: Kripo Heidelberg
XY-Ausstrahlung: 01. November 1970


Ergänzend ein Link zu einem Bericht aus dem SPIEGEL-Archiv (DER SPIEGEL 7/1973):


VERBRECHEN
Feine Nuancen

"Karate-Joschi" aus dem Frankfurter Amüsier-Milieu und das Animiermädchen "Jasmin" sind Hauptfiguren eines Mordverfahrens, in dem Anklage und Verteidiger sich schon vor Prozeßbeginn auszutricksen versuchen.


Hier geht es weiter: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-42648961.html
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#4

Re: XY-Fälle in komprimierter Form 2 (Übernahme)

in Filmfälle 30.04.2010 20:18
von xyzuschauerseit72 • 1.079 Beiträge
Und noch ein Link zu diesem Fall (DER SPIEGEL 51/1973):


Joschi, alles klar ...
SPIEGEL-Reporter Gerhard Mauz über die Verurteilung des Yossef Levy in Frankfurt



Quelle: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41810652.html
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#5

Re: XY-Fälle in komprimierter Form 2 (Übernahme)

in Filmfälle 30.04.2010 21:40
von Heimo • 1.534 Beiträge
Ich danke für das Lob und für die Quellen. Die Täternamen waren mir durchaus bekannt, wenngleich ich meine, dass die Namen in meiner Quelle leicht anders waren, das ist aber unbedeutend, da ich in meinen Reviews Täternamen bewusst nicht nenne (in einem anderen Fall weiß ich, dass die Kinder des Täters sich schuldig fühlen und mit einer schweren Last ihr Leben meistern müssen, dieses Leid muss man als nicht betroffener Externer nicht verschärfen.)

Was die Qualität der Reviews angeht, bin ich heute kritisch. Mir standen viele Quellen nicht zur Verfügung, so dass ich die Bedeutung der Komplizin völlig unterschätzte, wenn ich mir diese Quellen des Spiegeld oder den Hörzu-Artikel sehe. Wenn man das nochmal schreiben müsste, würde ich entsprechend ergänzen bzw. den Schwerpunkt verschieben.
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