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Aus dem XY-Archiv : Filmfallreview zur XY-Sendung 048 v. 14.07.1972 ? FF1 ? ?Zeltplatzanschlag?

in Filmfälle 14.02.2008 12:30
von Entlauber • 71 Beiträge
Moin,

im 2. Teil meines alten Schrotts gehts um einen weiteren Schwarzweiß-Klassiker, der m.A.n. bisher viel zu wenig Beachtung bei der XY-Fan-Entourage genießt und mich wieder mal in meiner Meinung bestätigt, das Campen Scheiße ist :




XY-Sendung 048 v. 14.07.1972 – FF1 – „Zeltplatzanschlag“

Netakten-Auszug

Mordanschlag (anschleichen; Schüsse auf Zelt; Auto in Graben fahren; unheimliche Lagerstatt)

Vorgeplänkel

Aktenzeichen XY hat ja, wie wir alle wissen, im nächsten Jahr ( sofern es die Sendung dann noch gibt ) 40jähriges Jubiläum. Fast keine andere Sendung hat so lange überlebt. Dies ist insbesondere deswegen bemerkenswert, als das es sich hier ja um ein Magazin-Format handelt, das nicht politischer Natur ist. Vielleicht hat XY seinen langen Atem seiner zumindest vor 40 Jahren revolutionären Idee an sich zu verdanken. 1967 war Eduard Zimmermann seiner Zeit 10 Jahre voraus, keine Frage. Doch lässt sich daraus der andauernde Erfolg, der auch in der heutigen, völlig veränderten TV-Landschaft noch anhält ( 3 bis 5 Mio. Zuschauer an einem Donnerstag abend sind zwar keine (W)WM-Quoten, aber auch weit entfernt von unterirdisch ), daraus ableiten ?

Nein, sag ich da einfach mal so locker flockig. Bei XY standen schon immer die Verbrechensopfer und ihre Schicksale im Mittelpunkt. Die filmische Umsetzung hat sich zwar grundlegend geändert, das Ziel blieb und bleibt aber immer das Gleiche : Mitgefühl für die Opfer aufbringen, um so die Aufklärung des Falles weiter voran zu bringen. Denn mal unter uns : Das Aufnahmestudio hätte nie auch nur einen Anruf bekommen, wenn in den Filmfällen nur reine Fakten dargestellt worden wären.

Auch die Protagonisten dieses Falles erleben schier Unglaubliches in punkto Schicksal. Aber sehen Sie selbst....


Ede-Einführung

Vor Beginn des eigentlichen Falles schaltet Ede kurz nach Wien, wo ein spindeldürrer Endzwanziger namens Peter Nidetzky keine Neuigkeiten zu einem mysteriösen Fall zu berichten hat, bei dem ein Jugoslawe tot auf einem Wiener Fussballplatz aufgefunden wurde. Wäre nicht 1972 sondern 2006 würde ich sagen, dass aufgrund der grottenschlechten Leistungen der Serbisch-Montenegrinischen Elf bei der WM hier jemand den Tod finden musste. Es könnte sich aber auch um ein schlechtes Omen für die in 2 Jahren just in Österreich stattfindende EM handeln. Könnte aber ebenso sein, dass ich irgendwelchen Mist schreibe, nur um den ungewöhnlichen Fundort der Leiche hier irgendwie zu erwähnen....

Kommen wir also lieber zu einer klassischen Ede-Filmfall-Einleitung, die sich diesmal um die komplizierten und verschlungenen Wege, auf dem sich der Kriminalist ( = Polizei, Ede und wir als XY-Zuschauer ) bewegt um seine Spuren zu verfolgen, dreht. Laien mögen hier vielleicht denken, Spuren führen immer schnurstracks per Gerade von A ( = Tat ) zu B ( = Täter ) und das Bonbon wäre gelutscht. Wir Fachmänner und –frauen wissen aber durch XY gucken, dass solche Spuren wie im Autobahnphantomfall auch mal von A über die Parkplätze Gleisdorf und Flöcking an der Südautobahn Wien-Graz nach B führen können. Ganz zu schweigen von den Pfaden der Schreckensfahrt aus Filmfall 3 der Sendung vom 03.12.76 oder den Wegen, die der Bieler Tramper genommen hat.

Normalerweise käme laut Ede auch niemand auf die Idee auf einer Reise von Hamburg nach Bremen den Umweg über Wien oder Zürich zu nehmen. Scheinbar scheint ihm kurz entfallen zu sein, dass er eben zuvor selber den Umweg über Vetterli und Nidetzky genommen hat, um endlich zum ersten Filmfall zu kommen. Aber der Kriminalist ist ja nicht Niemand, und so ist es kein Wunder, das es für ihn Alltag ist, diese Umwege zu nehmen, denn nicht selten werden dadurch Zusammenhänge sichtbar, die so nie sichtbar geworden wären.

Nach dieser Kriminalisten-Beweihräucherungs-Arie hat sich Ede den rechten Seitenblick ( von uns als Zuschauer aus gesehen ) Richtung unsichtbarer Filmfallfernseher redlich verdient und gibt damit Kurt Grimm den Startschuß zum Knöpfchendrücken : MAZ ab !!




Fallbeschreibung

Montag, 10. August 1970. Auf einer Uferwiese im Moseltal, nahe des Winzerdorfs Wintrich ( dass sich auf seiner Webseite „Auf-Die-Kacke-hauerisch“ als von Gott verwöhnt bezeichnet ) befindet sich ein einsames Zelt. Begleitet wird diese Szenerie des Idyllischen vom Ausflugsdampfer „Bernkastel“, der sich WM-patriotisch mit Deutschlandflagge am Heck durch die Mosel pflügt.
Kein Wunder, das sich die Bewohner des einsamen Zeltes, ein junges Paar aus dem Saarland, hier auf Ihrer Hochzeitsreise breit gemacht haben. Dieses „kein Wunder“ gilt aber nur für die Anfangssiebziger, denn heute geht doch flitterwochentechnisch nix mehr unter DomRep oder Malle ( sowohl –jorca als auch –diven ). Damals konnte man auch wohl noch so mir nichts dir nichts einfach in seine Renault-Pommeskiste steigen und auf irgendner Kuhwiese campen, Zustimmung des Kuhwiesenbesitzers vorausgesetzt. Heute würde so was wahrscheinlich teurer sein als der 4-Sterne-Bunker in El Arenal.

Das es sich nicht um irgendeinen Kurztrip von Anneliese und Matthias B. ( so die Namen unserer Turteltäubchen ) handelt, beweist der Besuch von Bekannten zum Kaffeetrinken. Die haben auch gleich ihren Köttel mitgebracht, der auf der Wiese das macht, was ich damals als Köttel in so ´ner Situation auch gemacht hätte : Irgendwelches Gedöns in die Mosel schmeißen. Doch kurz darauf ist der Kaffee getrunken und die nicht näher beschriebenen Verwandten brechen Richtung Heimat auf.
Erwin (!) das Steinschmeißbalg hat da jedoch überhaupt kein Bock drauf und versucht mit dem schlechtesten aller Mittel ( Quengeln ) noch ein wenig Zeit herauszuzögern. Auch das ist typisch Seventies, denn heutzutage hat die Playsi oder die (Wi)X-Box dem Steineschmeißen den Rang abgelaufen. Da würde sich der Erwin über den Aufbruch eher freuen als quengeln. Das „Bitte komm, lass das jetzt, wir kommen doch am Freitag wieder“ der Mutter überzeugt Erwin mit der kurzen Buxe nicht komplett. Außer einem „Ach, Mensch !“ hat er dem jedoch nix entgegenzusetzen und begibt sich daher in den alten Opel Kadett A der Eltern.
„Tschüß“

„So !“ Erleichtert quittiert Matthias B. nach einer wahren Verabschiedungsorgie die Abreise der Verwandten und freut sich schon gemeinsam mit seiner Anneliese auf einen gemütlichen Abend zu zweit. Da Wolfgang aber gerade in solchen Situationen den Leuten gerne die Stimmung vermiest und einen Satz wie „Sie ahnen nicht, das sie in der Nacht Opfer eines rätselhaften Verbrechens werden sollen“ raushaut, ahnt man schon, was folgt :

W I S C H B L E N D E

Auftritt unheimliche Gestalt mit möglicher Perücke, begleitet von ebenso unheimlicher Schleich-Klimper-Spannungsmusik. Der Unhold nähert sich in etwa dem Schleichtempo der Spannungsmusik der Lagerstatt unseres Frischvermähltenpaares, lässt dabei die Zeit aber nicht ungenutzt und lädt dabei seine mitgebrachte Flinte. Für die nächste Einstellung hat Kurt Grimm extra seine Kamera ins Zelt des Paares befördert ( Frage : Wie hat er das gemacht, ohne das die Beiden was gemerkt haben ? ). Nicht ohne Grund, will er uns doch hiermit eine der besten „Ich-mach-mir-in-die-Hose-vor-Angst“-Bilder kredenzen, denn der Schatten des Bösewichts zeichnet sich gänsehauterzeugend am Zelteingang ab. Eine Szene, die eindrucksvoll zeigt, dass die Schwarzweiss-Zeiten von XY ( abgesehen von 2- bis 3-hundert Film-Fällen in bunt ) irgendwie doch grusliger waren.

In John Wayne – Manier ballert der Unbekannte eiskalt aus der Hüfte ohne Grund gegen halb3 morgens ins Zelt. Resultat : Schreiende Anneliese, schreiender Matthias, mehrere Löcher in Beinen und Zeltplane. Zuerst hatte ich beim Ansehen des Falles sogar noch schlimmeres vermutet, denn Matthias B. eröffnet seiner Anneliese mit schmerzverzerrtem Gesicht, dass er nicht mehr hochkommt. Glücklicherweise kein Unfall für die Familienplanung, denn es war eindeutig das Bein gemeint. Während sich Matthias noch nen Kopf drum macht, „was das bloss für ein Schwein war“, kraucht die ebenfalls beinverletzte Anneliese gen Renault Pommeskiste, um Hilfe zu holen.

Auch Wolfgang empfindet dies als besonders mutig, könnte der Täter doch noch irgendwo im Gehölzenen lauern, um dem Paar endgültig den Garaus zu machen. Diese ganze Szenerie erinnert mich immer wieder an amerikanische Slasher-Filme der 80er, in denen maskierte Unkaputtbare mit Namen Michael Myers oder Jason Vorhees unschuldige Teenies abmurksten, nur weil diese einen gesteigerten Sexualtrieb auslebten. Vielleicht war das auch hier das Motiv unseres John Wayne Lookalike. Was aber ein wenig verwundert, sind die beiden Camper doch miteinander verheiratet ( wenn auch nur kurz ). Doch zurück zum Filmfall...

Hier beweist die Anneliese neben Mut auch Einfallsreichtum und Geschick, indem sie ihr angeschossenes Bein durch einen Holzknüppel ersetzt und damit das Gaspedal des Renault bedient. Dies geht jedoch nur bis zur nächsten Straßeneinmündung gut, denn dort steuert sie die Karre in den Graben. Da aber nur die Harten in den Garten kommen, gibt die Zeltfrau in dieser Situation natürlich nicht auf und hupt die halbe Mosel wach. Wahrhaftig wird sie von der anderen Seite des Flusses erhört. Die Frage ist jedoch, ob sich die per Boot in Richtung Hupen aufmachenden Moselbewohner Anneliese zur Hilfe kommen oder an die Gurgel gehen wollen wegen der nächtlichen Ruhestörung. Das die Situation in Augen der Moselaner nicht so ganz eindeutig ist, beweist auch die Aussage eines der herbeigerufenen Polizisten, der bei Eintreffen am Ort des Hupens zuerst einmal in allerschönster Bullen-Arroganz fragt : „Was ist hier los?“
Schnell wird jedoch erkannt, das Anneliese nicht Täter sondern Opfer ist und ebenso wie ihr Männe somit schnellstmöglichst ins Krankenhaus gebracht wird.
Außer zweier Patronenhülsen kann die Polizei keine weiteren Hinweise auf den Täter entdecken.

Hinfort mit dieser schrecklichen Tat mit Hilfe einer Wischblende. Wir befinden uns 4 Wochen und 50 km entfernt vom Punkt des Geschehens. An einer Eisenbahnstrecke findet ein Bulle nebst Bello eine Lagerstätte, an der jemand genächtigt haben muss. Dem Nächtiger scheints dort recht gut gegangen zu sein, denn neben Bekleidung, einer Tasche, Konserven und Flaschen finden sich eindeutige Beweise dafür, das hier locker ne Handvoll ( Bier- ) Dosen geschossen wurden.
Es stellt sich heraus, das einige der dort gefundenen Sachen aus einem zuvor verübten Einbruch in der Nähe stammen. Und ihr werdet nicht erraten, wer der Bestohlene war bzw. wer ihm wie aus dem Gesicht geschnitten gleicht.

Uns Wolfgang ist es, der im feinen Seidenbademantel nebst Halstuch, mit Spitzbart und vollem gegelten Haar einen distinguierten Möbelfabrikanten spielt. Quasi eine ganz unheimliche Akte XY – Situation, die den aufpassenden Zuschauer schwer verwirrt : Der Mann, der hier bestohlen wurde ist gleichzeitig der Sprecher des Filmfalls. Berichtet er nun über sich selber oder was ? Fox Mulder, bitte melden. Dieser filmtechnische Wirrwarr wird jedoch durch eine furztrockene Bemerkung Wolfgangs mit leicht ironischem touch gemildert, als er in seiner an der Lagerstätte gefundenen Aktentasche eine Illustriertenseite findet, die ihm nicht gehört : „Die ist aber nicht von mir. Ich habe keine Illustrierten im Haus. Sowas lese ich höchstens beim Frisör.“ Is klar, so´n Möbelfabrikant zieht sich zuhause natürlich keine „Frau im Spiegel“ oder „Brigitte“ rein, sondern nur die FAZ und philosophische Betrachtungen über das Leben und Werk von Johann Wolfgang von Goethe.

Das es sich bei dem von Wolfgang gespielten Fabrikanten sowie dem Bahnpolizisten nicht um Blitzmerker gehandelt haben kann beweist folgendes : Der Artikel auf der Illustriertenseite beschäftigt sich mit dem Zeltplatzanschlag mit der Flinte. Wie der Zufall es will, ist dem Möbelheini bei dem Einbruch eine eben solche Flinte abhanden gekommen. Da liegt es doch eigentlich nahe, das der Lagerstättenheini und der Schattenmann von der Mosel ein und dieselbe Person sind, oder ?

Genauso doof verhält sich anfangs ein paar Wochen später die Polizei, als Waldarbeiter in einem hohlen Baum eine verrostete Schrotflinte finden, und zwar direkt in Wintrich, dem Ort des Tatorts. Erst die schusstechnische Untersuchung beweist, das dies die Knarre aus dem Anschlag war. Und erst umfangreiche Interpoluntersuchungen hinsichtlich der Waffe führen dann nach einiger Zeit zum Fabrikanten.
Den ganzen Kokolores hätten sich die in Edes Einleitung noch groß beweihräucherten „Kriminalisten“, die ich hier extra in Anführungszeichen setze, sparen können, wenn die mal mehr ihre Gehirnzellen angestrengt hätten. Aber zu der Zeit gabs scheinbar noch keine Columbos oder Mr. Monks bei der deutschen Polizei.

Dem Möbel-Wolfgang ists egal, da er sich nur darüber aufregt, das der Täter seine schöne Waffe so verhunzt hat, indem er ihr den Schaft abgesäbelt hat. Das auch noch Wochen nach der Tat und auch noch weitere Monate später die beiden Opfer immer noch im Krankenhaus liegen, pupsegal.
Da kann er sich von seinem Sprecher-alter-Ego aber ne gehörige Scheibe Opfermitgefühl abschneiden, denn der erzählt uns anteilsnahmmäßig das ganze Schicksal der Beiden : Anneliese wird Zeit ihres Lebens mit einem Nervenleiden durch die Gegend laufen, Matthias bleibt Invalide.
Und das alles wofür ?


Ede-Ausleitung samt Kripobeamten

Nun, hier passiert nicht mehr allzu viel. Der Kripobeamte im Studio ist die typische Blaupause für Kripobeamte im Studio in den schwarzweißen 70ern : Hornbrille, Kleiderbügel in der Jacke gelassen, vom Zettel ablesend. Immerhin kriegt er´s ohne Versprecher hin.
Da neben der Illustriertenseite, die handschriftliche Notizen enthält die auf die Stadt Saarbrücken hindeuten, die Schrotflinte einziges Beweisstück der Tat ist, wird hier natürlich das Hauptaugenmerk drauf gelegt. Ins Auge fällt dabei nur, dass extra ein animierter, zeitweise nervend blinkender Pfeil Eigenarten der Waffe anzeigt. Ein technisches Kinkerlitzchen, dass glaube ich so nur dieses eine Mal in einer XY-Sendung angewendet wurde. Für die Seventies ein multimediales Highlight, dass seinerzeit bestimmt genauso viel gekostet hat wie die Belohnung in diesem Fall : 2000 DM.


Nachgeplänkel

In der Netakte ist dieser Fall lediglich mit 2 Sternchen bewertet worden, in meiner eigenen Bewertungsskala bekommt der Film satte 8 von 10 möglichen Punkten. Mir ist klar, dass nach der Darstellung der Tat nicht mehr viel kommt außer Wolfgang als Fabrikant und langweiliger Ermittlungsarbeit. Doch bis dahin haben wir besten Grimm-Grusel mit endgenialen Kameraeinstellungen, die die paar Minuten Film ins Hirn einbrennen lassen. Hinzu kommt, das gerade bei diesem Fall das Schwarzweiße passt wie das Schrot in die Flinte.
Ich kann mich nur an eine Handvoll grusligerer Filme bzw. Szenen in schwarzweiß erinnern, die eine ähnliche Atmosphäre haben. Dazu zählen natürlich das Wannenhändchen aus dem XY-Zinkwannenfall, „Psycho“ von Hitchcock, der weithin unbekannte Erstlingsfilm von Coppola „Dementia 13“ sowie „Night of the Living Dead“. Da sieht man mal : Kurt Grimm in einer Reihe mit Alfred Hitchcock, Francis Ford Coppola und George A. Romero. Da gehört er meiner Meinung nach auch hin.
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